Wer im Landkreis Konstanz wohnt einen Anruf von Inga Glomb erhält, sollte ziemlich aufmerksam sein. Die junge Ärztin arbeitet beim Gesundheitsamt des Landkreises und bringt eine unangenehme Nachricht. Glomb meldet sich bei Menschen, die Corona-positiv getestet wurden. Wenn der Infizierte den Befund nicht schon von seinem Hausarzt erfahren hat, dann eröffnet ihm die 29-Jährige den „positiven“ Bescheid. Wenn er ihn schon kennt, dann erklärt ihm Glomb die Folgen und die Therapie. Verkürzt gesagt: Zuhause bleiben ohne Sperenzchen.

Ein Anruf mit Folgen: Inga Glomb ruft Menschen an, die mit Corona infiziert sind. Die Amtsärztin schickt sie dann in die Isolation.
Ein Anruf mit Folgen: Inga Glomb ruft Menschen an, die mit Corona infiziert sind. Die Amtsärztin schickt sie dann in die Isolation. | Bild: Fricker, Ulrich

Isolation stellt ein Leben auf den Kopf

Inga Glomb erfragt die wichtigsten Daten des Erkrankten. Und sie leitet einen Schritt ein, den die meisten Menschen fürchten, weil sie ihn wohl noch nie erlebt haben und weil er das Leben auf den Kopf stellt: Sie verhängt die Isolation über ihren Gesprächspartner (nicht zu verwechseln mit der Quarantäne, die im Corona-Verdachtsfall ausgesprochen wird).

Corona-Fundis erlebt sie kaum

„Die allermeisten nehmen das gelassen auf,“ berichtet sie. Sie erfährt kaum Widerspruch aus der Ecke der Corona-Kritiker und Corona-Besserwisser, welche die Pandemie als Humbug oder mediale Erfindung abtun. Ihre Gesprächspartner hören genau zu. Viele leisten nicht Widerspruch, weil sie etwas anderes bewegt: Sie haben Angst. Fragen über Fragen türmen sich während des Telefonats auf, zum Beispiel diese: Was heißt Isolation?

Gaststätten nehmen die Kontaktdaten jedes Gastes auf. Zwei Wochen lang müssen sie aufbewahrt werden.
Gaststätten nehmen die Kontaktdaten jedes Gastes auf. Zwei Wochen lang müssen sie aufbewahrt werden. | Bild: Fricker, Ulrich

Wer nach einer Ansteckung mit Covid-19 keine gravierenden Symptome erlebt und nicht ins Krankenhaus muss, bleibt strikt zuhause. Isolation ist verschärfte Quarantäne. Also kein Spaziergang, auch kein Ausführen des Hundes. Der oder die Betroffene dürfen keinen Besuch empfangen. Sie sollten in einer Wohnung mit mehreren Personen getrennt essen und sich in verschiedenen Zimmern aufhalten, auch getrennt fernsehen. „Viele wünschen eine Ausnahmeregelung und fangen an zu verhandeln“, berichtet die Ärztin. Geht aber nicht.

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Isolation wird amtlich verhängt

Eine Isolation kann zum Beispiel zehn Tage dauern. Sie wird erst dann aufgehoben, wenn der Patient mindestens 48 Stunden ohne Symptome lebte. Darüber führt er eine Statistik, in die er wichtige körperliche Zustände schreibt – sein persönliches Krankheitstagebuch.

Die Isolation ist ein amtlicher Akt und keine Empfehlung. „Wer sich nicht an die amtliche Verfügung hält, begeht eine Straftat“, sagt Stefan Basel, der Sozialdezernent des Landkreises Konstanz, dem das Gesundheitsamt untersteht. Schließlich kann ein Infizierter andere anstecken.

Stefan Basel, Sozialdezernent des Landkreises Konstanz, sieht bis Sommer 2021 keine Entwarnung in Sachen Corona.
Stefan Basel, Sozialdezernent des Landkreises Konstanz, sieht bis Sommer 2021 keine Entwarnung in Sachen Corona. | Bild: Fricker, Ulrich

Wenn die Isolation angeordnet oder Quarantäne verhängt wird, dann werden beide Formen der begründeten Einschränkung kontrolliert. „Die Ortspolizeibehörde überwacht das“, sagt der Dezernent. Bei Verstößen wird ein Bußgeld fällig.

Mühsame Suche im Umfeld

Die meiste Arbeit macht der Bekanntenkreis des Infizierten – jene Menschen also, mit denen er sich mehr als eine Viertelstunde unterhalten hat in den vergangenen Tagen. Kontaktperson ist ein zentrales Wort in diesen Tagen, abgekürzt KP. Denn auch sie kann sich angesteckt haben und muss gesucht und gefunden werden. Das Contact Tracing – das Nachverfolgen von möglichen Kontakten – ist ein mühsames und personalintensives Geschäft. Es gleich der Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen.

Lucas Thoma gehört zu den Helfern, die Kontakte nachverfolgen (“Containment Scout“). Das Robert-Koch-Institut hat ihn ...
Lucas Thoma gehört zu den Helfern, die Kontakte nachverfolgen (“Containment Scout“). Das Robert-Koch-Institut hat ihn rekrutiert und dem Gesundheitsamt geschickt. | Bild: Fricker, Ulrich

Hinweise können unter anderem die Formulare geben, die zurzeit jeder ausfüllt, der ein Restaurant oder Café aufsucht. Die Unterlagen werden gesammelt und zwei Wochen lang aufbewahrt. Ob der Aufwand gerechtfertigt ist, der Kellnerinnen und Gäste gleichermaßen auf Trab hält? Zumal mancher Gast als Name dann Mickey Mouse und fiktive Adresse einträgt. Doch, die Medizinerin Glomb bejaht den Aufwand – auch wenn sie für ihre Arbeit bisher nur einmal auf die Zettel aus der Gastronomie zurückgriff.

Das Robert-Koch-Institut schickt Verstärkung

Für das Aufspüren der Kontaktpersonen hat sich über Nacht ein neues Spezialistentum entwickelt: Die Nachverfolger (“Containment Scouts“) telefonieren den ganzen Tag mögliche Kontaktpersonen ab. Sie sind Teil der Unterstützung, die das Robert Koch Institut (RKI) den Gesundheitsämtern schickt. Das RKI hat diese Spürnasen (Scouts) den Gesundheitsämtern zur Verfügung gestellt. Im Moment sind es fünf. Bei deutlichem Anstieg der Fallzahlen werden zusätzliche Kräfte geholt.

Das Krankheitstagebuch: Auf einem vorgedruckten Formular soll der Erkrankte täglich wichtige Werte eintragen.
Das Krankheitstagebuch: Auf einem vorgedruckten Formular soll der Erkrankte täglich wichtige Werte eintragen. | Bild: Fricker, Ulrich

Einer davon ist Lucas Thoma. Der gelernte Pflegeassistent, 19, wurde kurzfristig vom RKI angeworben und zum Gesundheitsamt Konstanz gesandt. „Die wenigsten stellen sich quer“, sagt er. Die Menschen, die sein Anruf ereilt, arbeiten mit. Corona-Pessimismus oder Grundrechtsaktivisten hatte er noch nicht an der Strippe.

Das Amt ist wie ein Akkordeon

Unser Gespräch findet im Industriegebiet von Gottmadingen statt. Dorthin wurden große Teile dieser derzeit wichtigsten Abteilung des Konstanzer Landratsamtes ausgelagert. In Radolfzell, wo sonst Amtsärzte und Sachbearbeiter ihre Büros teilen, war schlicht zu wenig Platz.

„Wenn wir hier ausfallen sollten, sieht es im Landkreis schlecht aus“, sagt Ines Rudolf, Verwaltungsleiterin am Gesundheitsamt.
„Wenn wir hier ausfallen sollten, sieht es im Landkreis schlecht aus“, sagt Ines Rudolf, Verwaltungsleiterin am Gesundheitsamt. | Bild: Fricker, Ulrich

Denn die Gesundheitsbehörde ist gewachsen – gewachsen mit der Aufgabe, der Bekämpfung der Pandemie. „Wir haben eine Corona-Zentrale aus dem Boden gestampft“, sagt Verwaltungsleiterin Ines Rudolf mit Stolz.

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Bereits im Februar wurden Mitarbeiter aus anderen Abteilungen abgezogen und in die Sektion Gesundheit gesteckt. Leute aus den Bereichen EDV oder Kfz-Zulassung kümmern sich jetzt um die Coronakrise. Dazu kommen die Spezialisten für Nachverfolgung (Scouts), die das Robert-Koch-Institut schickt. Und: Ärzte und Pfleger von draußen meldeten sich und arbeiten mit. Das Amt ist wie ein Akkordeon, je nach Tonlage wird es gestreckt oder gestaucht.

„Wenn wir hier ausfallen sollten...“

Selten war im Gesundheitsamt so viel los, bestätigen alle. Das Tragen einer Mund-Nase-Maske gehört hier zum guten Ton. „Wenn wir hier ausfallen sollten, sieht es im Landkreis schlecht aus“, sagt Rudolf. Krankmeldungen wie im Schulbereich? „Das gibt es hier nicht“, sagt der Sozialdezernent. Es überwiegt das Gefühl, gebraucht zu werden. Noch nie war es so wertvoll wie heute.

Amtsärztin Inga Glomb: „Die meisten haben sehr viele Fragen – und Angst.“
Amtsärztin Inga Glomb: „Die meisten haben sehr viele Fragen – und Angst.“ | Bild: Fricker, Ulrich

Wie lange hält man diesen Zustand aus? Jene Mischung aus Anspannung, täglicher Neubewertung und permanentem Druck? Dezernent Stefan Basel umschreibt es erst einmal so: „Wir haben einen Zielkorridor, auf den wir hinarbeiten. Bis Sommer 2021 halten wir dies gesamten Maßnahmen aufrecht.“ Erst dann sei mit einem Impfstoff zu rechnen, der die aktuelle Ungewissheit auflösen kann. Bis 2021 also gibt es von Amts wegen keine Entwarnung.