Stunden bevor er in seinem Schlafzimmer wohl tödlich verletzt werden sollte, war Jan Heisig noch in seinen Stammlokalen unterwegs. Nur wenige hundert Meter von seinem Haus entfernt, ging er an jenem 2. Juni 2019, einem Sonntag, abwechselnd in zwei Gasthäuser in Gaienhofen-Hemmenhofen. Wie Ermittlungen zeigen, tat er das oft, denn arbeiten ging er schon länger nicht mehr.

Um 22.14 Uhr zeichnete sein Handy die letzte Verbindung auf, die von ihm selbst ausging. Gegen 23 Uhr soll Heisigs Mitbewohner dann laut Anklage den Mann ins Haus gelassen haben, der den schlafenden Hausherrn dann im Obergeschoss im Schlaf attackierte. Der mutmaßliche Angreifer muss sich derzeit vor dem Landgericht Konstanz wegen Mordes verantworten. 

Alle wussten von seinem Alkoholproblem

Am vierten Tag des Verfahrens in dem Mordfall ohne Leiche hört die Kammer das erste Mal Zeugen aus dem Umfeld des verschwundenen Gaienhofeners an: Die von ihm getrennt lebende Ehefrau, mit der Heisig eine Tochter hat, und die als Nebenklägerin auftritt – und seine Ex-Freundin, die engen Kontakt vor seinem Verschwinden zu ihm pflegte. Richter Hornstein fragt sie: Was war Jan Heisig für einer? Wie würden sie den Mann beschreiben, dessen sterbliche Überreste bis heute nicht aufgetaucht sind?

Richter Arno Hornstein leitet auch dieses Verfahren am Landgericht Konstanz.
Richter Arno Hornstein leitet auch dieses Verfahren am Landgericht Konstanz. | Bild: Felix Kästle

Seine Ehefrau charakterisiert ihn als hilfsbereit und zuverlässig. Ein typischer Familienmensch sie er aber nicht gewesen, eher zurückhaltend bis verschlossen. Er hatte Probleme mit dem Alkohol, daran sei die Beziehung auch gescheitert. Die Miete für die Wohnung in Stuttgart habe er weiterhin gezahlt. Wenn er getrunken habe, habe er sich verändert. Nach außen hin habe Heisig auch gerne geprotzt.

Auch seine Ex-Freundin verschweigt nicht, dass Heisig alkoholkrank war. Aggressiv sei er dann aber nicht gewesen. Klar wird durch die Aussagen der Frauen vor allem: Dass sich Jan Heisig einfach so abgesetzt und bis heute kein Lebenszeichen gesendet hätte, können sie ausschließen. Beide sprechen in der Vergangenheitsform über ihn.

Bis Mitte 2018 etwa soll Jan Heisig noch in der Schweiz in einem Reinigungsunternehmen gearbeitet haben, ehe er seinen Job aufgab, um sich um eine familiäre Angelegenheit zu kümmern. Er lebte vom Geld seiner wohlhabenden Mutter und mietfrei in ihrem Haus unweit des Bodensee-Ufers auf der Höri. Er ließ es sich gut gehen, hob zwischen Januar und April fast 9000 Euro Bargeld ab, während sich der Zustand des Hauses weiter verschlechterte.

Lange Liste an Vorstrafen

In diesem Fall stehen drei Personen im Mittelpunkt, aber nur einer sitzt auf der Anklagebank. Mike W. soll den damals 51-jährigen Heisig in seinem Schlafzimmer unvermittelt so attackiert haben, dass er an den Verletzungen starb. Fest steht: Mike W. kam nicht alleine an den Bodensee. Die Halbschwester des Toten begleitete ihn.

In Konstanz wird nur Mike W. angeklagt, hier mit seinem Pflichtverteidiger Marc Decker. Die Halbschwester des Toten und dessen früherer ...
In Konstanz wird nur Mike W. angeklagt, hier mit seinem Pflichtverteidiger Marc Decker. Die Halbschwester des Toten und dessen früherer Mitbewohner gelten weiterhin als Beschuldigte. | Bild: Hanser, Oliver

W.s Strafregister weist 14 Einträge auf: Er wurde verurteilt wegen Stromdiebstahls, Körperverletzung, Diebstahl, illegalen Waffenbesitzes, Fahrens ohne Führerschein und Urkundenfälschungen. Seine längste Haftstrafe von über sechs Jahren verbüßte er für Drogenschmuggel und -handel.

Gemeinsam mit seiner Ehefrau soll er Dutzende Male Heroin aus den Niederlanden nach NRW geschafft haben. Dabei haben die Kinder des Paares auf der Rückbank gesessen. Der jüngste Eintrag in seinem Bundeszentralregister ist auf Ende September 2023 wegen Hausfriedensbruchs datiert. Hier wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt.

Halbschwester will nicht aussagen

Mike W. und die Halbschwester des Toten sollen sich aus der Krefelder Drogenszene gekannt haben. Auch die Halbschwester wird weiter als Beschuldigte geführt, in diesem Prozess wird sie daher nicht aussagen, ließ sie über ihren Anwalt erklären. Die Frau saß einst in diesem Fall in U-Haft, wurde aber aus Mangel an gerichtsfesten Beweisen wieder entlassen.

Sagt früherer Mitbewohner aus?

Wichtiger könnte der frühere Mitbewohner Heisigs werden: Ob er aussagen wird oder nicht, ist noch unklar. Er ließ das Paar im Juni ins Haus, verbrachte einige Tage mit ihnen und soll noch mit der Halbschwester nach Frankfurt und Krefeld gefahren sein. Zur Polizei ging der Mann aber erst, nachdem öffentlich wurde, dass Heisig vermisst wird.

Dem Mann, eine Tresenbekanntschaft Heisigs, soll der Hausherr einen Tag vor dem Angriff eröffnet haben, dass er ausziehen solle. Auch er saß kurzzeitig in U-Haft. Wie die beiden anderen Protagonisten dieses Falls lebte er in finanziell prekären Verhältnissen.

Zeitverzug erschwerte Ermittlungen

Am Montag hatten Polizeibeamte ausgesagt, die die digitalen Spuren und Vermögensverhältnisse in dem Fall ausgewertet haben: die Handys, Navigationsgeräte, Bankkonten, Chats, Anrufprotokolle, Bewegungs- oder Verbindungsdaten, etc.

Der Zeitverzug machte es den Ermittlern nicht leichter. So konnte beispielsweise Verbindungsdaten beim Provider erst nach mehr als zwei Monaten nach der vermeintlichen Tat abgefragt werden. Da waren viele Datensätze schon gelöscht worden. So bleibt zum Beispiel offen, ob die Mobiltelefone bewusst ausgeschaltet worden sind, als Mike W. und die Halbschwester mit einem Mietwagen aus NRW an den Bodensee fuhren.

Geschäfte unter falschem Namen abgewickelt

Mike W. soll nicht nur ein Handy genutzt haben, sondern auch eines, das nicht auf ihn angemeldet war. Dieselbe, falsche Identität nutzte er, um Goldschmuck und Uhren in Singen oder Schaffhausen zu versetzen – oder Geld per Western Union zu transferieren.

Das Paar war im Juni auf der Höri unterwegs, besuchte ein weiteres Mal die Mutter im Pflegeheim, verbrachte Zeit am Bodensee-Ufer und im Haus von Jan Heisig. Den mutmaßlichen Tatort hatte man dort schon gereinigt. Mike W. blieb eine Zeit lang alleine im Haus zurück, ehe die Halbschwester mit ihren Kindern nach Gaienhofen zurückkehrte. W. legte Mitte Juni, also zwei Wochen nach Heisigs Verschwinden, gar noch ein Netflix-Konto mit dessen Bankdaten an.

Der Prozess wird kommenden Mittwoch fortgesetzt. Ein Urteil wird noch vor Weihnachten erwartet.