Die Nachrichten aus dem Osten Europas sorgen auch in Südbaden für Aufregung. Im Singener Mix-Markt kaufen viele Menschen, die aus Russland, der Ukraine, anderen ehemaligen Sowjetrepubliken oder Rumänien stammen, regelmäßig ein.

Entsprechend der Herkunft gehen die Ansichten, die der SÜDKURIER bei Kunden und Mitarbeitern einsammelt, gewaltig auseinander. Die einen halten fest zu Russland, können gar nicht verstehen, was westliche Medien da kritisch berichten, stellen gar in Frage, ob die Informationen über das Kriegsgeschehen überhaupt korrekt sind. Die anderen stehen auf Seite der Ukrainer. Allen gemein ist der Schrecken über den Krieg.

„Ich halt mich raus, ich kümmere mich nicht um Politik“

Vor dem Eingang des Mix-Markt türmen sich Obst und Gemüse unter roten Schirmen, Mitarbeiter Alexej häuft gerade frische Granatäpfel auf. Mit der Presse reden will er erst nicht: „Ich halt mich raus, ich kümmere mich nicht um Politik“, sagt er, aber dann kommt er doch ins Reden.

Es sei natürlich schade für die Leute dort, meint der Mann, der einst aus Kasachstan nach Deutschland kam, dessen Vorfahren aber in der Ukraine lebten.

Er schaut nur russisches Fernsehen, im deutschen läuft ihm zu viel Werbung. Sein Eindruck ist, dass Wladimir Putin provoziert wurde, dass hinter seinem Rücken agiert wurde. „In UdSSR-Zeiten war alles in Ordnung. Danach find alles an.“ Putin haben das Land gut aufgebaut, der Verwandtschaft dort gehe es wirtschaftlich gut.

„Die Bomben sind nur Propaganda“

Als Lydia Nickel hört, worüber da gesprochen wird, muss sie sich einschalten. „Dass sie da schießen, das stimmt nicht“, sagt die 71-Jährige aus Mühlhausen aufgeregt. „Ich habe Verwandte dort, wir sind immer am Telefonieren. Dass da jetzt geschossen werden soll, das ist ja nur Propaganda.“

Putin hat das volle Verständnis bei der Frau aus Sibirien, die seit 50 Jahren in Deutschland lebt. „Dass er die Leute im Donbass beschützt, das ist sein Recht. Die haben um Hilfe gebeten, er hatte keine Wahl.“ Dagegen kann sie nicht glauben, dass es Putin auf die ganze Ukraine abgesehen hat. „Das hat er noch nie im Sinn gehabt.“

Die deutschen Nachrichten-Ticker melden da längst etwas anderes, an allen Ecken der Ukraine ist von Schüssen und Bombardements die Rede. Aber in die Fernsehnachrichten hat Nickel kein Vertrauen: Die machten sie nur wütend. Putin sei doch keiner, der Krieg wolle. Und die Ukraine solle ihre Probleme selbst klären.

„Alle sind gegen Putin. Dabei gibt er sein Bestes“

Valentina Bengardt stammt aus Kasachstan. Sie hält es mit „Rossia“, Russland.
Valentina Bengardt stammt aus Kasachstan. Sie hält es mit „Rossia“, Russland. | Bild: Angelika Wohlfrom

Ebenfalls zu den Putin-Anhängern gehört Valentina Bengardt aus Singen. „Ich finde das unmöglich: Alle sind gegen Putin. Dabei gibt er sein Bestes“, sagt sie. Schuld sei Wolodimir Selenski, der ukrainische Präsident, der ihr viel besser gefallen hat, als er noch als Schauspieler sein Geld verdiente.

Die 58-Jährige, die in Kasachstan zur Welt kam, nimmt der heraufziehende Krieg mit. Sie hält es mit „Rossia“, also Russland. Aber sie hat auch Verwandte in der Ukraine. Dass dort jetzt Krieg herrscht, findet sie schlimm. Ungute Erinnerungen an den langen kriegerischen Konflikt in Tschetschenien werden bei ihr wach. „Krieg ist am schlimmsten für alle.“

„Das tut mir sehr, sehr leid, was dort passiert“

Ein älteres Paar verlässt mit seinen Einkäufen den Supermarkt. Mit der Presse reden wollen sie eigentlich auch nicht. Während ihr Mann schonmal die Einkäufe im Wagen verstaut, hat Katharina Meier aber doch ein bisschen was zu sagen.

Die 74-jährige Deutsche aus Russland ist entsetzt über die Nachrichten aus dem Osten. „Das tut mir sehr, sehr leid, was dort passiert“, sagt sie. „Warum haben sie nicht schon vor Jahren was gemacht?“, fragt sie und meint die bislang fruchtlosen diplomatischen Bemühungen des Westens. „Und jetzt ist Krieg!“

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Inzwischen berichten die Nachrichtenagenturen bereits von 40 getöteten ukrainischen Soldaten. Aus der Hauptstadt Kiew berichten die Korrespondenten von langen Schlangen vor den Bankautomaten, von Fluchtbewegungen nach Westen, ein Flughafen in der Nähe wird angegriffen.

„Der muss zu Psychiater gehen, der ist krank“

Der Schrecken über die Nachrichten steht Olga Thum regelrecht ins Gesicht geschrieben. Sie scheint fast darauf gewartet zu haben, angesprochen und nach ihrer Meinung befragt zu werden. „Ich bin aus der Ukraine. Dort ist Krieg! Dort fallen Bomben“, platzt es aus ihr heraus.

Ihren Ärger über den russischen Präsidenten kann sie kaum zurückhalten. Putin sei ein Idiot, sagt sie aufgeregt. „Der muss zu Psychiater gehen, der ist krank.“

Es sei eine Katastrophe, sagt die Singenerin, Tränen steigen ihr in die Augen. Vor Aufregung und Wut, aber auch vor existenzieller Sorge. Ihr Sohn lebt in Charkow. Er sei geflohen, aber auch am neuen Aufenthaltsort seien jetzt Bomben gefallen, erzählt sie. Viel mehr reden kann sie nicht. „Mein Herz ist kaputt, ich will weinen.“

Der Mix-Markt an der Berliner Straße in Singen.
Der Mix-Markt an der Berliner Straße in Singen. | Bild: Angelika Wohlfrom

Noch ein Ukrainer hat gerade seine Einkäufe im Mix-Markt erledigt. Michael aus Singen, seinen Nachnamen will er nicht verraten, bedrücken die Nachrichten aus der Heimat. „Dort ist richtiger Krieg“, erzählt er.

Er habe Verwandte dort. „Die haben Angst.“ Er würde sie gerne bei sich aufnehmen, aber wie sollen sie hierher kommen – er weiß es nicht. Auch sonst macht ihn die Situation ratlos. Auf ein militärisches Eingreifen des Westens hofft er nicht. „Wenn die sich einschalten würden, hätten wir den Krieg auch hier“, vermutet er.

Ein nächtlicher Anruf von der Schwester

Drin im Mixmarkt lockt russisches Konfekt in leuchtend-bunter Verpackung, Alkohol in Keramik-Pistolen wird feilgeboten, russische Matroschka-Puppen liegen neben orthodoxen Ikonen-Bildern. Eine Verkäuferin mustert die Reporterin mit strengem Blick. Ob sie sich zum Ukraine-Konflikt äußern will? Schlimm sei das für das Land, meint sie knapp, und verschwindet wieder.

Kurz darauf sitzt sie an der Kasse. Sie ist aus der Ukraine, stellt sich heraus. Die ganze Verwandtschaft lebt dort, auch der Sohn. Am frühen Morgen, noch halb in der Nacht hat sie einen Anruf von der Schwester erhalten und so vom Einmarsch erfahren. Die Sorge steht ihr ins Gesicht geschrieben. Mehr erzählen kann sie nicht – der nächste Kunde wartet schon.