Mit ohrenbetäubenden Trillerpfeifen und lautstarken Buhrufen haben rund 1500 Corona-Demonstranten auf die Durchsage einer Mitarbeiterin des Ravensburger Ordnungsamts reagiert, als sie am Montagabend die unangemeldete Versammlung am Marienplatz offiziell aufgelöst hat. Daraufhin zog die Menschenmasse durch die Ravensburger Innenstadt – ohne dass die Sicherheitsbehörden einschritten.
Viele Menschen wundern sich, dass alle Weihnachtsmärkte wegen des Infektionsgeschehens abgesagt sind, aber sich hunderte und tausende Ungeimpfte ohne Abstand und Maske ungehindert und scheinbar überall versammeln können. Warum unterbinden die zuständigen Behörden – Polizei und städtische Ordnungsämter – gerade im Hinblick auf mögliche Masseninfektionen solche unangemeldeten Corona-Demos nicht entschlossener? Ist die Polizei hoffnungslos unterlegen?
Demo nicht anmelden ist Straftat
„Die Leute denken, dass wir zu wenige sind, aber es ist definitiv nicht so, dass uns ein Mob überrollt oder die Polizei unterlegen sei. Wir wiegen sorgfältig ab und prüfen mit der Versammlungsbehörde die Verhältnismäßigkeit“, sagt Daniela Baier, Sprecherin des Ravensburger Polizeipräsidenten Uwe Stürmer.
Die Polizei erkenne laut ihrem Kollegen Oliver Weißflog die aktuelle Erwartungshaltung der Bevölkerung: „Da ist ein Zustand, der nicht haltbar ist, der beseitigt werden muss – aber der Rechtsstaat ist nicht schwarz oder weiß, sondern muss differenziert betrachtet werden“, sagt der Leiter der Stabstelle Öffentlichkeitsarbeit im Polizeipräsidium Ravensburg.
Grundsätzlich seien Versammlungen bei der zuständigen kommunalen Behörde anmeldepflichtig – und zwar 48 Stunden vor Bekanntgabe der Versammlung. Tun Organisatoren das wie in Ravensburg nicht, handeln sie im Sinne einer Straftat. Die Identität der mutmaßlichen An- und Wortführer der Ravensburger Demo seien laut Polizei entsprechend festgestellt worden, sie müssen mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen.
Bis zu 1000 Euro Geldstrafe für Demo-Teilnahme
All jene Demo-Teilnehmer, die die Auflösung der Versammlung durch das Ordnungsamt ignoriert haben, verübten eine Ordnungswidrigkeit. Diese kann im Extremfall mit bis zu 25.000 Euro Bußgeld geahndet werden kann. „In der Theorie laufen die Polizei und das Ordnungsamt durch und stellen die Personalien fest“, sagt Timo Hartmann, Sprecher des Ravensburger Oberbürgermeisters Daniel Rapp.
Die Polizei könne so eine Versammlung auch mit Zwang auflösen, was aber nicht heiße, dass „immer totale Gewalt angewendet werden muss“. Das gehe auch sanft, zum Beispiel mit einer Polizeikette, die Menschen von den Plätzen herunterlenke, so Hartmann. Aber wie sieht die Praxis aus?
Rein rechtlich hätte die Polizei bei unangemeldeten oder bereits aufgelösten Demos die Möglichkeiten, entsprechende Maßnahmen zu setzen, bestätigt Polizeisprecher Weißflog. Doch der verantwortliche Polizeiführer müsse immer die Verhältnismäßigkeit abwägen, ob eine übertriebene Härte nicht eine Eskalation provozieren und Menschen gefährden könnte.
Anders wäre es, wenn es aus der Menge heraus oder am Rande zu Straftaten kommen würde, was in Ravensburg bis auf einen selbst gebastelten Davidsstern eines Demonstranten mit der Aufschrift „Ungeimpft“ aber nicht der Fall gewesen sei. Die Polizei hat das Symbol, mit dem die NS-Terrordiktatur Juden geächtet hat, beschlagnahmt – gegen den Mann wird wegen Volksverhetzung ermittelt.
„Nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen“
„Das Versammlungsrecht ist ein sehr hohes Rechtsgut, wir müssen mit großem Fingerspitzengefühl agieren. Nicht jeder rechtswidrige Zustand muss unmittelbar abgestellt werden“, sagt der Leiter der Stabstelle Öffentlichkeitsarbeit im Polizeipräsidium Ravensburg.
Solange eine unangemeldete oder aufgelöste Corona-Demo friedlich verlaufe, wie das auch mit etwa 400 Teilnehmern in Villingen-Schwenningen zuletzt der Fall war, lässt die Polizei auch bei ordnungswidrigen Zuständen gewähren. „Nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen“, nennt es Jörg Kluge vom Polizeipräsidium Konstanz.

Aber ist es wirklich tragbar, dass hunderte oder tausende Ungeimpfte ohne Maske und Abstand durch eine Stadt ziehen können? Müsste der gesundheitliche Schutz vor Masseninfektionen nicht über das Versammlungsrecht gestellt werden?
„Lernkurve“ für Stadt
Corona-Demonstranten versammeln sich laut Polizeisprecher Oliver Weißflog aus freien Stücken und gehen damit bewusst ein Risiko ein, sich anzustecken. Würde jedoch eine größere Menge nicht unter freiem Himmel, sondern beispielsweise durch ein Kaufhaus ziehen, dann würde die Polizei die Sachlage anders beurteilen, so Weißflog, und vermutlich entschlossener einschreiten.
Die Stadt Ravensburg rechnet jedenfalls mit weiteren Corona-Protestveranstaltungen. „Wir wissen jetzt, dass wir mit unangemeldeten Demos rechnen müssen und nicht mit vielen Teilnehmern wie am Montag, sondern mit sehr vielen – das ist eine Lernkurve, die wir gemacht haben“, sagt Oberbürgermeister-Sprecher Hartmann. Er kündigt an, genau zu beobachten, was es an Aufrufen in sozialen Netzwerken gebe. „Wir werden vorbereitet sein.“