Enkel in den Arm nehmen, Oma und Opa drücken? Davon wird in Deutschland mit Nachdruck abgeraten. Die Schweizer scheinen damit lockerer umzugehen. Denn der eidgenössische Corona-Beauftragte Daniel Koch sieht darin kein Problem mehr – und sorgt mit dieser Meinung für großen Wirbel.

Wie viele Schweizer Zeitungen berichten, sei sich Koch sicher, dass vom Körperkontakt mit Kindern bis etwa zehn Jahren, keine Gefahr ausgeht. Sie seien kaum infiziert und dürften die Krankheit auch kaum übertragen und auch wenn die Kinder mit Infizierten in Kontakt waren, könne das Virus bei einer Umarmung kaum weitergegeben werden, behauptet er.

Betreuen? Das geht aber dann doch zu weit. Denn wenn Omas Wohnung tatsächlich zur Kita in Corona-Zeiten werden sollte, sei die Gefahr groß, dass sich Covid-19 überträgt. Warum? Nicht etwa, weil die Kinder mit den Großeltern zu eng miteinander spielen. Sondern: Wenn Eltern ihre Kinder zu Oma bringen, seien sie beim ersten Mal noch diszipliniert und gingen Koch zufolge auf Abstand. Beim dritten Mal jedoch trinke man schon wieder zusammen Kaffee.

Daniel Koch, Leiter der Abteilung für übertragbare Krankheiten im Schweizer Bundesamt für Gesundheit.
Daniel Koch, Leiter der Abteilung für übertragbare Krankheiten im Schweizer Bundesamt für Gesundheit. | Bild: Alessandro Crinari/dpa

Viele Menschen, die diese Argumentation zum ersten Mal hören, schütteln wahrscheinlich resigniert mit dem Kopf. So auch Virologe Martin Stürmer. Er kann das Vorpreschen des Schweizer Experten nicht nachvollziehen: „Ich kann absolut nicht verstehen, warum diese Aussagen so getroffen wurden. Die bisherigen Ergebnisse der Studien, die untersuchen, ob Kinder Corona übertragen, sind alles andere als eindeutig. Man sollte jetzt auf keinen Fall das Signal senden, dass wir Kitas öffnen können. Das wäre viel zu früh.“

Martin Stürmer, Virologe und Leiter des IMD Labors in Frankfurt.
Martin Stürmer, Virologe und Leiter des IMD Labors in Frankfurt. | Bild: Martin Stürmer

Viele Indizien deuten laut Martin Stürmer zwar darauf hin, dass Kinder – wenn überhaupt – einen milden Krankheitsverlauf haben. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sie die Krankheit nicht übertragen können. Um Klarheit zu schaffen untersucht die Universität Hamburg in einer eigenen, sowie die Universitäten Heidelberg, Ulm und Freiburg in einer gemeinsamen Studie, die Rolle der Kinder in der Corona-Krise. Hinzu kommt die Studie aus dem Kreis Heinsberg und eine vor kurzem veröffentlichte Studie der Charité in Berlin.

Zwei Szenarien

Bei allen Untersuchungen gibt es im wesentlichen zwei Fragen, die die Forscher interessieren: Produzieren die Kinder ausreichend Virus und werden trotzdem nicht krank? Oder produzieren die Kinder keine Viren und werden deshalb nicht krank? Welche dieser Fragen mit Ja beantwortet wird, ist maßgeblich für den Umgang mit Kindern.

Bei ersterem Szenario sind Kinder nämlich sehr wohl Überträger des Corona-Virus und somit gefährlich für Oma und Opa. Wenn Kinder allerdings kaum Viren bilden sollten, gäbe es keinen Grund sie von Großeltern fernzuhalten.

Ob letzteres möglich sein wird, könnte unter anderem abhängig von den sogenannten Rezeptoren sein. Sie befinden sich auf der Oberfläche unserer Zellen und dienen dem Virus als eine Art Andockstation, um anschließend in die Zelle einzudringen und sich dort zu vermehren. Einige Forscher gehen davon aus, dass diese Rezeptoren bei Kindern bis etwa sechs Jahren noch nicht voll ausgeprägt sind. Das Corona-Virus wäre in diesem Fall ungefährlich. „Dann könnten wir wahrscheinlich darüber nachdenken die Kitas wieder zu öffnen. Aber es ist noch viel zu früh sich darauf zu verlassen“, mahnt Stürmer.

Untersuchungen geben keine Entwarnung

Denn sowohl die wissenschaftliche Untersuchung im Landkreis Heinsberg, als auch die jüngst veröffentliche Studie der Charité in Berlin lassen eher darauf schließen, dass Kinder das Virus nicht nur bekommen und erkranken, sondern auch weitergeben können: „In Heinsberg war es so, dass das Übertragungsrisiko auf 66,67% steigt, wenn in einem Drei-Personen-Haushalt ein Kind unter 18 Jahren infiziert ist, verglichen mit 35,71% unabhängig vom Alter.“, sagt Virologe Martin Stürmer. Die Charité-Studie legt ähnliche Ergebnisse vor.

Abgesperrte Spielplätze sind bald Geschichte, in Baden-Württemberg öffnen sie am Dienstag wieder.
Abgesperrte Spielplätze sind bald Geschichte, in Baden-Württemberg öffnen sie am Dienstag wieder. | Bild: Roland Weihrauch/dpa

Auch deshalb warnt Stürmer vor einem Ansturm auf Kinderspielplätze, die bald wieder geöffnet werden könnten. „Ich als Virologe fände es gesundheitlich betrachtet natürlich besser, wenn die Spielplätze geschlossen bleiben. Aber ich verstehe, dass der Bedarf hier sehr groß ist“, sagt er. Generell spräche nichts dagegen Kinder auf die Rutsche und in den Sandkasten zu lassen. „Aber nur wenn der Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten wird“, sagt Stürmer.