Olaf Scholz präsentiert seine Aktentasche, Olaf Scholz führt durch seine Dienstwohnung, Olaf Scholz besucht die Gebirgsjägerbrigade 23: Sollte es unter jungen Menschen in Deutschland noch irgendjemanden gegeben haben, der den Bundeskanzler von der SPD nicht kannte, dürfte sich das mit dem Start seines TikTok-Kanals im April erledigt haben. Allein das Video zum Inhalt der Aktentasche hat inzwischen 5,2 Millionen Nutzer erreicht.

Kretschmann auf TikTok?

Hätte nicht auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann das Zeug zum TikTok-Star? In nahezu allen anderen sozialen Medien ist die Landesregierung längst aktiv und postet dort auch Beiträge des grünen Regierungschefs.

Manche seiner knurrigen Äußerungen haben es außerdem auf fremden Kanälen zu Achtungserfolgen gebracht, darunter die inbrünstige Verteidigung seines S-Klasse-Dienstwagens („Ich kann doch keinen Fiat fahren!“). Auf TikTok dagegen sind die Grünen und Kretschmann inaktiv, dafür aber Zielobjekt für Spott und Häme, gesteuert insbesondere aus der AfD-Landtagsfraktion.

Umdenken bei den Parteien

Doch inzwischen findet offenkundig ein Umdenken statt, spätestens seitdem die AfD bei der Europawahl unter Jungwählern viele Stimmen abgeräumt hat. „Wir sehen TikTok als relevante Plattform für die politische Kommunikation an, weil sie vor allem die junge Zielgruppe erreicht“, erklärt die stellvertretende Regierungssprecherin Carolin Blarr auf Anfrage unserer Redaktion. Und: „Wir prüfen deshalb, in welcher Form wir TikTok als zusätzlichen Informationskanal nutzen können.“

In Deutschland nutzen mehr als 20 Millionen Menschen die Plattform.
In Deutschland nutzen mehr als 20 Millionen Menschen die Plattform. | Bild: Marijan Murat/dpa

Dass sich Kretschmann auf der Zielgeraden seiner dritten Amtszeit selbst noch auf das Experiment TikTok einlässt, gilt jedoch als unwahrscheinlich. Die Plattform könnte vielmehr eine Spielwiese für das Online-Team im Staatsministerium sein, um Informationen aus dem Regierungsalltag aufzubereiten.

Das Finanzministerium von Danyal Bayaz (Grüne) macht dies als erstes Ressort in Baden-Württemberg seit April vor. Nicht etwa Bayaz ist dort der Hauptdarsteller, sondern junge Mitarbeiterinnen, die mit lustigem Inhalt Aufklärung betreiben. Der Account zeigt aber auch, wie schwierig das Geschäft ist: Mit 1372 Followern spielt er noch in den unteren Ligen.

FDP wird in Kürze einen Kanal starten

Auch im Landtag verstärken sich die Aktivitäten in Richtung TikTok. Von den Fraktionen sind bisher nur die SPD und die AfD auf der Plattform präsent. Nun nimmt die FDP Anlauf: „Wir werden in Kürze einen TikTok-Fraktionskanal starten“, teilte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke unserer Redaktion mit.

„Lange Zeit sahen wir dieses Medium skeptisch. Es lässt sich aber inzwischen nicht mehr vermeiden, wenn wir die junge Generation erreichen wollen“, so Rülke. Risiken beim Datenschutz sollen berücksichtigt werden.

AfD ist Vorreiter auf TikTok

Die AfD-Landtagsfraktion zählt mit ihrem 2022 gestarteten Kanal inzwischen fast 30.000 Abonnenten. Durch Teilen erreichen die provokanten, plakativen und oft primitiv-simplen Botschaften der Rechtspopulisten noch ein weitaus größeres Publikum.

Den mit Abstand größten Erfolg feiert allerdings ein eigener Kanal des AfD-Abgeordneten Miguel Klauß mit mehr als 346.000 Followern. Für Aufsehen sorgte unter anderem sein Werbe-Spot für einen AfD-„Abschiebekalender“ mit den „12 schönsten Abschiebeflugzeugen“ zur Weihnachtszeit.

Anfang 2024 ließ er sich in seinem Wahlkreis Calw mit Schülern fotografieren und verbreitete die Bilder anschließend mit Texten wie „Die Jugend wählt AfD“.

„Müssen der AfD Paroli bieten“

Dabei war es nicht die AfD, die als erstes auf das Portal aufgesprungen ist. Den Anfang machte 2020 SPD-Landes- und Fraktionschef Andreas Stoch, die SPD-Fraktion zog nach der Landtagswahl 2021 nach.

Stoch landete mit einem Wut-Ausbruch gegen die AfD im Plenarsaal schon früh einen Hit, aber auch seine Fangemeinde (1.109 Follower) ist bis heute überschaubar. Die Fraktion hat es mit 1156 Abos ebenfalls schwer, bleibt aber bei ihrem Engagement. „Wir müssen der AfD auch dort Paroli bieten, wo sie besonders erfolgreich ist“, sagt ein Fraktionssprecher.

Sicherheitsrisiko

Die chinesische Plattform TikTok ist aus Datenschutz- und Sicherheitsgründen umstritten. Doch vor allem unter 14- bis 29-Jährigen ist sie kaum noch wegzudenken. In der politischen Kommunikation gibt es Hürden: So ist TikTok auf den Dienstgeräten des baden-württembergischen Staatsministeriums nicht zugelassen.

Das Finanzministerium nutzt für die Verwendung der App ausschließlich separate Smartphones, die sonst keine Daten, Accounts und Profile enthalten. TikTok selbst hat Richtlinien gegen Hassreden und hasserfülltes Verhalten aufgestellt und kontrolliert Inhalte mit technischen Mitteln und mit Personal.