Das letzte Mal, als wir mit Faraz Fallahi und seiner Frau Cassandra aus Rielasingen-Worblingen sprachen, per Videochat, dauerte dieser 20 Minuten. Länger konnte er nicht sprechen. Das Gesicht des 39-Jährigen lag im Dunkeln, Licht hielt er nicht aus. ME/CFS heißt die Krankheit, die den schwer Betroffenen so reizempfindlich macht, dass alle Sinneseindrücke zu viel sind, zu Schmerz und großer Erschöpfung führen.
Er sagte, er wolle kämpfen, für Forschung und bessere Versorgung schwer ME/CFS-Kranker. Sterben war ein Thema – wenn sich nichts ändere. Seit 2020 lag er da schon im Bett, gepflegt von seiner Mutter. Während seine Frau in Tübingen allein in der gemeinsamen Wohnung lebte und das Geld verdiente, ihn nur an Wochenenden besuchen konnte.
Ein Jahr später: Licht und ein fröhlicher Faraz Fallahi
Ein Jahr ist vergangen. Heute kann er das Licht vom Handy anmachen für ein Foto. Er ist fröhlich, spricht viel – mittlerweile kann er bis zu neuneinhalb Stunden am Tag aktiv sein, das heißt sprechen, essen, chatten. Vorher war das genau eineinhalb Stunden lang möglich. Fallahi hatte Glück. Riesiges Glück. Davor jedoch, erzählt er, war er an einem Punkt, an dem er sterben wollte.

Schon nach Sterbehilfe gesucht
Doch von vorne: Nach dem Gespräch mit SÜDKURIER im beginnenden Frühjahr 2022 ging es für Fallahi weiter bergab. „Es fing mir an, besser zu gehen – und ich habe überhitzt“, sagt er. Im Oktober fand er nachts keine Ruhe mehr: Weil sein Hirn jedes Mal, wenn er schlief, mit Krämpfen antwortete. Er hatte keinen Hausarzt, der Besuche macht.
Fallahi solle doch in die Praxis kommen. Aber der Gedanke, das Bett zu verlassen, das zu dem Zeitpunkt seit fast zwei Jahren sein Lebensmittelpunkt war? Ein ferner Traum. „Mein Gehirn war wie Brei, ich war nicht mehr da. Ich wollte nicht mehr, ich wollte sterben, mein Bruder hat für mich nach Wegen gesucht, um Sterbehilfe zu bekommen.“ Auf Twitter setzte er einen verzweifelten Post ab.
Sein Herz, schreibt er, sei gebrochen. Er ist resigniert: Zwar habe er mit Politikern gesprochen, vom Krankenbett aus eine Spendenkampagne organisiert. Aber keinen Arzt gefunden, der ihm zu Hause Infusionen lege. Für Faraz Fallahi sinnbildlich dafür, wie wenig Versorgung und Hilfe schwer von ME/CFS-Betroffene in Deutschland erhalten. Er schreibt auch, das Forschung fehle.
300.000 Betroffene laut Schätzungen der WHO
Obwohl laut Schätzungen der WHO etwa 300.000 Menschen in Deutschland an ME/CFS leiden, ist die Krankheit wenig erforscht. Erst Corona und Long-Covid haben ihr mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Denn wie bei Long-Covid-Kranken haben auch ME/CFS-Kranke eine Belastungsintoleranz. Das heißt, wenn sie aktiv sind, führt das zu einer Verschlechterung der Symptome.
Bei Fallahi war es 2020 eine Dusche, die ihn „crashen“ ließ, so nennen Betroffene diese Verschlechterung. Seitdem liegt er dauerhaft im Bett. Die starke Reizempfindlichkeit, die den 40-Jährigen kein Licht aushalten ließ, ist ebenfalls eine häufige Begleitkrankheit.
Oktober 2020: Er will sterben
Er will nicht mehr im Oktober 2020. Und dann geschieht das kleine Wunder: Eine Ärztin aus Filderstadt meldet sich bei ihm. Sie will zu ihm fahren und ihm eine Infusion legen. Anna Brock, die Ärztin, weiß, wie Faraz Fallahi sich fühlt. Weil sie selbst nach einer Coronainfektion hilflos im Bett lag. Und sie weiß auch, was helfen könnte. Zumindest ihr hatte es damals geholfen: Eine Immunadsorption. Anna Brock fährt zu ihm. Und ist geschockt. Ab da übernimmt sie die Regie.
Ab da übernimmt sie die Regie
Sie legt Infusionen, organisiert Psychotherapeuten, Experten, starke Schlafmittel. Sie stellt Kontakt zum Magazin ‚Der Spiegel‘ her, das über den Kranken schreibt. Sie überzeugt ein Labor, kostenlos Fallahis Blut zu analysieren. Und ja, das Labor findet Autoantikörper. Sie sucht nach einer Klinik, die die Immunadsorption durchführen könnte.
Alle sagen ab, erzählt sie. Denn: Die Betreuung von Faraz Fallahi ist zu aufwendig. Im Dunkeln, keine Reize, allein der Transport, wie soll das gehen? Bis eine im 800 Kilometer entfernten Schleswig-Holstein doch zusagt. Es klappt. Mit Sedierung fahren ihn die Maltester zur Klinik. Er bekommt die Immunabsorption im Januar – auch ein Medikament, das eigentlich gegen Epilepsie verschrieben wird, nimmt er nun ein. Es heißt Perampanel.
Eine neues Laster: Schokolade
Seit Anfang Januar ist er zurück. Er kann wieder schlafen, seine Aktivitätsphasen haben sich von eineinhalb Stunden am Tag auf neuneinhalb verlängert. „Jetzt habe ich keine Schmerzen mehr“, sagt er im Videogespräch mit SÜDKURIER. Mit Hilfe kann er sich sogar an den Bettrand setzen, er hält Schokolade in die Kamera, ein breites Grinsen auf seinem Gesicht: „Mein neues Laster.“
Was noch im vergangenen Jahr unvorstellbar war, funktioniert: Eine Serie mit Frau Cassandra schauen, zwei Folgen „Scrubs“ hintereinander. Der Moment, als ihm das erste Mal seit 2020 die Haare gewaschen wurden, weil Wasser am Kopf immer crashen bedeutet, beschreibt er so: „Das war schon ein geiles Gefühl!“
Mehr Zeit für Aktivismus
Seine neue Zeit nutzt Faraz Fallahi weiter für Aktivismus. Er sagt: „Jeder einzelne Schritt hin zum Heilungsversuch wäre für einen normalen ME/CFS-Betroffenen ohne Hilfe so nicht möglich gewesen. Weil wir im Gesundheitssystem durchs Raster fallen!“ Zu wenig Forschung und damit einhergehend fehlende Therapien für ME/CFS seien nur ein Problem.
Das andere sei der Kampf darum, als schwer Betroffener überhaupt ernst genommen zu werden. Auch Faraz Fallahi wurde zunächst von Ärzten rückgemeldet, all seine Symptome seien psychosomatisch.
Das dritte Problem sei die Versorgung: „Krankenhäuser sind nicht für reizempfindliche Personen ausgelegt. Da ist es laut, da ist es hell, jemand kommt morgens rein und ruft: ‚Frühstück!“ Seine Reise nach Schleswig-Holstein bezeichnet er als „Überwindung unüberwindbarer Hürden.“
Neue Medikamentenstudien starten bald
Die Aufmerksamkeit für die Krankheit, sie ist jetzt da, wird immer größer. Bald sollen mehrere Medikamentenstudien starten. Die Ärztin Carmen Scheibenbogen, die der SÜDKURIER für den Artikel über Fallahi 2022 interviewt hatte, konnte mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach über ME/CFS sprechen. Und Fallahi ist, auch nach dem Artikel im „Spiegel“, ein Gesicht der ME/CFS-Community geworden. Er spricht mit Vize-Bundestagspräsidentin Katrin Göring-Eckhard und renommierten Ärzten aus ganz Deutschland.
Wenn seine Mutter das Krankenzimmer lüftet, schaut er aus dem Fenster. über zwei Jahre ging das nicht, hatte er die Sonne nicht gesehen. Er sagt: „Ich habe einen Baum da draußen. Mein Baum. Irgendwann will ich ihn anfassen.“