Die Unterschriftensammlung für das derzeit laufende Volksbegehren „Landtag verkleinern“, das ein deutliches Ansteigen der Abgeordnetenzahl im baden-württembergischen Landtag ab 2026 noch verhindern will, läuft so schleppend, dass Initiator Dieter Distler beinahe der Mut verlässt.

Initiator Dieter Distler wirbt im Sommer vor dem Landtagsgebäude für seine Petition.
Initiator Dieter Distler wirbt im Sommer vor dem Landtagsgebäude für seine Petition. | Bild: Dieter Distler

„Wenn die Beteiligung nicht exponentiell nach oben geht, wird es wohl nicht gelingen“, sagt Distler gegenüber dem SÜDKURIER. Bis Ende Oktober waren laut Mitteilung des Innenministeriums für seine Initiative bislang rund 21.000 Unterschriften zusammengekommen – nötig wären am Ende allerdings 770.000. Entmutigen lässt sich der 81-Jährige aus Bietigheim-Bissingen dennoch nicht.

FDP wirbt am Samstag für Landtagsverkleinerung

Am 16. November haben Distler und seine Unterstützer Mitstreiter aus der Politik an ihrer Seite. Die baden-württembergische FDP, die ebenfalls eine Vergrößerung des Landtags verhindern will und mit der Zulassung eines eigenen Volksbegehrens „XXL Landtag verhindern!“ 2023 scheiterte, hat alle Orts- und Kreisverbände im Land zu einem „Aktionstag zur Landtagsverkleinerung“ zur Unterstützung von Distlers Volksbegehren aufgerufen.

An landesweit mehreren Dutzend Ständen sollen am Samstag auf Marktplätzen und in Fußgängerzonen Unterschriften gesammelt werden.

Blick ins gut gefüllte Plenum: Schwer vorstellbar, wie dort bis zu 70 weitere Abgeordnete Platz finden sollten.
Blick ins gut gefüllte Plenum: Schwer vorstellbar, wie dort bis zu 70 weitere Abgeordnete Platz finden sollten. | Bild: Bernd Weißbrod/dpa

Hintergrund ist das neue baden-württembergische Landtagswahlrecht, das erstmals 2026 auf eine Zwei-Stimmen-Wahl umgestellt wird. Dadurch könnte die Zahl der Landtagsabgeordneten je nach Wahlausgang durch Ausgleichs- und Überhangmandate deutlich anwachsen – wovor auch die FDP-Landtagsfraktion seit Langem warnt.

Die Einführung des neuen Wahlrechts, seit Jahren schon ein Kernanliegen der Grünen, war der CDU im Koalitionsvertrag von 2021 abgerungen und 2022 mit den Stimmen von Grünen, CDU und SPD beschlossen worden.

Anzahl der Parlamentarier könnte sich fast verdoppeln

Berechnungen des Politikwissenschaftlers Joachim Behnke von der Zeppelin Universität Friedrichshafen zufolge könnte der Landtag in Stuttgart mit dem neuen Wahlrecht bei einer Sollgröße von 120 Abgeordneten und derzeit bereits 154 Abgeordneten von 2026 an auf bis zu 218 Parlamentarier anwachsen.

Joachim Behnke, Politikwissenschaftler an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen.
Joachim Behnke, Politikwissenschaftler an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. | Bild: ZU/Ilja Mess

Plenarsaal, Landtagsverwaltung sowie Landtagsgebäude für Abgeordnete und Mitarbeiter wären dieser Anzahl nicht gewachsen. Auf das Land kämen daher pro Legislaturperiode bis zu 200 Millionen Euro Mehrkosten zu, wie der baden-württembergische Rechnungshof kalkulierte.

Distlers Volksbegehren will die Zahl der Parlamentarier indirekt durch eine Verringerung der Landtagswahlkreise – und damit auch der direkt gewählten Abgeordneten – von derzeit 70 auf 38 Wahlkreise nach dem Zuschnitt der Bundestagswahlkreise begrenzen.

Größe der Wahlkreis soll angepasst werden

Vor allem die Grünen verweisen darauf, dass die Annahme einer deutlich größeren Zahl von Abgeordneten von 2026 an derzeit lediglich eine reine Spekulation sei. Die CDU fürchtet zudem, dass weniger – und damit größere – Landtagswahlkreise von den einzelnen Abgeordneten schlichtweg nicht mehr angemessen betreut werden könnten. Bei der Landtags-FDP allerdings löst diese Sorge Verwunderung aus.

„Ich frage mich nur, wie das denn die Bundestagsabgeordneten schaffen“, sagt FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke mit ironischem Unterton. „Wir wollen nämlich lediglich die Größe der Landtagswahlkreise der Größe der Bundestagswahlkreise angleichen.“

Hans-Ulrich Rülke, FDP-Fraktionschef im Landtag.
Hans-Ulrich Rülke, FDP-Fraktionschef im Landtag. | Bild: Oliver Hanser

Die Liberalen unterstützen das Volksbegehren, obwohl zum jetzigen Stand mehr als die Hälfte der FDP-Abgeordneten durch den Wahlkreiszuschnitt, den das Volksbegehren vorschlägt, persönlich betroffen wäre – unter anderem auch Rülke selbst in seinem Pforzheimer Wahlkreis.

Die CDU will mit sich reden lassen

Nach der Berichterstattung der vergangenen Wochen über die mögliche Landtagsvergrößerung hatte allerdings unlängst CDU-Landes- und Fraktionschef Manuel Hagel öffentlich geäußert, in einem solchen Fall könne man über das neue Wahlrecht noch einmal mit der CDU reden.

Eine Äußerung, die Distler als Witz empfindet. „Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, dann sucht man ein Seil, um es wieder herauszuziehen?“, fragt er. Auf den Brief, den er daraufhin an Hagel schrieb, habe er jedenfalls noch keine Antwort bekommen, so Distler am Donnerstag.

Immer wieder melden sich Bürger bei Organisator Distler, die beklagen, dass sie auf unwissende Rathaus-Mitarbeiter stoßen, wenn sie sich in die Liste eintragen wollen. Ein Selbstversuch der SÜDKURIER-Redakteurin auf der Reichenau bestätigt das nicht: Hier wissen die Mitarbeiterinnen des Bürgerbüros gleich Bescheid, worum es geht – die Liste haben sie auch parat, die Zahl der Unterschriften ist dennoch überschaubar.

„Wir merken schon, dass unsere Sache Fahrt aufnimmt, aber es ist zu wenig und geht zu langsam“, sagt Distler. Die Website der Initiative habe mittlerweile statt zu Beginn etwa 200 mittlerweile täglich mehr als 3000 Zugriffe. Auch die Zahl der aktiven Unterstützer sei von Anfangs zehn auf über 150 Mitstreiter gewachsen. „Das Thema lässt sich nicht emotionalisieren und trifft im Moment keinen Nerv“, so der 81-Jährige. „Aber wir werden kämpfen bis zum letzten Tag.“