Die Corona-Sommerwelle scheint gerade am Abflauen, schon werden Warnungen laut, der Winter könnte hart werden – auch weil das Grippevirus wieder auf dem Vormarsch ist. Doch wie gefährlich ist die Grippe nach zwei Jahren, in denen sie kaum auftrat? Und wer sollte sich mit einer Impfung schützen? Wir haben mit dem Freiburger Virologen Hartmut Hengel gesprochen und die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema zusammengestellt.

Gibt es derzeit eine Sommergrippewelle?
Nein, davon kann man nicht sprechen. Aber: Nach Angaben der Arbeitsgruppe Atemwegserkrankungen des Robert-Koch-Instituts ist die Zahl der akuten Atemwegserkrankungen zuletzt gestiegen. Die Werte liegen demnach auf einem höheren Niveau als in den Vorjahren. Auch der Freiburger Virologe Hartmut Hengel spricht von vereinzelten Infektionen. Das sei für die Jahreszeit zwar eher ungewöhnlich, ob der geringen Zahl aber nicht bedenklich.
Im Nationalen Referenzzentrum für Influenzaviren wurden in Mitte August in 27 der 53 eingesandten Proben Atemwegserkrankungs-Viren identifiziert, davon waren aber nur vier Prozent echte Influenzaviren. Hauptsächlich nachgewiesen wurden stattdessen Coronaviren bei Erwachsenen sowie Parainfluenza- und Rhinoviren bei Kindern.
Wann spricht man von einer echten Grippe?
Die Influenza ist eine durch das Influenzavirus hervorgerufene und über Aerosole, also Luftpartikel, übertragbare Erkrankung. Sie äußert sich meist durch einen plötzlichen Beginn der Krankheit, die sich meist durch hohes Fieber, Muskel- oder Kopfschmerzen, Schüttelfrost und Gliederschmerzen auszeichnet.
Vor allem ältere Menschen und solche mit chronischen Grunderkrankungen sind gefährdet, einen schwereren Verlauf zu erleiden, der auch zum Tod führen kann.
Welche Grippetypen gibt es?
Ähnlich wie beim Coronavirus gibt es unterschiedliche Varianten. Die beim Menschen relevanten Virustypen werden nach den Buchstaben A und B bezeichnet. Der Typ A wird nochmals in Subtypen unterteilt.
Bricht die Grippe nicht eher im Winter aus?
Doch, eigentlich schon. Die jährliche Influenzawelle hat in Deutschland in den vergangenen Jahren meist nach der Jahreswende begonnen, also etwa von Januar bis März. Das heißt aber nicht, dass man sich in den übrigen Monaten nicht anstecken kann. Klassischerweise ist die Grippe aber eher eine Erkrankung der kalten Jahreszeit.
Wogegen schützt die diesjährige Grippeimpfung?
Sie schützt grundsätzlich gegen beide Virusvarianten und ihre jeweiligen Subtypen, insgesamt vier Haupterreger. Das ist deshalb so, weil sich im Vorhinein schwer sagen lässt, welche Variante sich in der nächsten Grippesaison durchsetzen wird.
Wer sollte sich impfen lassen?
Die Ständige Impfkommission empfiehlt die Impfung allen Menschen über 60 Jahren sowie Menschen mit Vorerkrankungen. Auch Menschen, die häufig Kontakt zu diesen Risikopatienten haben, sollten sich impfen lassen. Virologe Hengel sagt: „Wenn sich diese Menschen impfen lassen, wäre das eine vorausschauende Maßnahme, um einer möglichen Winterwelle entgegenzuwirken. Ganz besonders profitieren diejenigen, die die Grippeschutzimpfung in den vergangenen Jahren versäumt haben.“

Ist das Grippevirus jetzt gefährlicher geworden?
Nein. „Die Immunsysteme sind einfach nicht mehr trainiert worden“, erklärt Hartmut Hengel. Was er meint: Die bis ins Frühjahr andauernden Corona-Schutzmaßnahmen haben auch das Grippevirus abgehalten – insbesondere das Maskentragen, aber auch die reduzierten Kontakte zu anderen und das Abstandhalten hätten es dem Virus schwer gemacht, so Hengel. „Das Virus selbst hat sich aber nicht erheblich verändert.“
Deshalb sei es besonders wichtig, dass sich insbesondere ältere und vorerkrankte Menschen vor dem Virus schützen, indem sie Maske tragen und Abstand halten, betont Hengel.
Welche Grippevariante ereilt uns im Winter?
„Das ist schwer vorherzusagen“, sagt Hengel. Eine Orientierung könne aber der Blick auf die Südhalbkugel bieten, die den hiesigen Breitengraden um ein halbes Jahr voraus ist. Dort dominiere derzeit der Grippetyp A, der tendenziell stärkere Symptome hervorruft als der Typ B.
Müssen wir mit einer Influenzawelle im Winter rechnen?
Das ist nicht auszuschließen, glaubt Hengel. Vieles wird aber davon abhängen, ob und welche Schutzmaßnahmen wieder eingeführt werden und inwieweit sich die Bürger selbst schützen durch Maske und Abstand. Und, wie viele Menschen die Grippeimpfung nutzen.
Wann sollte man sich impfen lassen?
Das Robert-Koch-Institut sagt dazu: Der Impfschutz braucht etwa zehn bis 14 Tage, bis er vollständig aufgebaut ist. Um rechtzeitig geschützt zu sein, empfiehlt das RKI deshalb, sich ab Oktober bis Mitte Dezember impfen zu lassen. Wer in dieser Zeit die Impfung versäumt hat, kann aber auch noch zu Beginn der Grippewelle im Januar eine Impfung nachholen.
Kann ich mich trotz Impfung anstecken?
Das ist genau wie bei der Corona-Impfung nicht ausgeschlossen. Der Impfstoff sorgt aber für einen milderen Verlauf.

Warum sollte man sich jährlich gegen die Grippe impfen lassen?
Weil sich das Virus ständig verändert und neue Varianten hervorbringt, die dem Impfstoff ausweichen können. Ähnliches zeigt sich auch beim Coronavirus. Deshalb wird die Zusammensetzung des Grippeimpfstoffs jährlich aktualisiert und angepasst. Je nachdem, welcher Virustyp dominant ist, kann die Vorjahresimpfung besser oder schlechter schützen. Für Risikopatienten empfiehlt sich die saisonale Impfung mit angepassten Impfstoffen, so die Stiko.
Welche Rolle spielen Pneumokokken und was hat es mit der Impfung dagegen auf sich?
Pneumokokken sind Bakterien und können ebenfalls Atemwegserkrankungen auslösen, die besonders bei Risikogruppen schwer verlaufen können. Hier kann es auch zu Hirnhautentzündungen und Blutvergiftungen kommen. Nach RKI-Angaben sterben jährlich mehr als 5000 Menschen an Pneumokokken.
Ein besonderes Risiko haben Kleinkinder in den ersten zwei Lebensjahren, Menschen über 60 Jahren sowie chronisch kranke Menschen, insbesondere solche, die an Lungen-Erkrankungen leiden oder Probleme mit dem Herz-Kreislauf-System haben, erklärt Hengel. All diesen Gruppen empfiehlt die Stiko eine Impfung. Eine Auffrischung ist nur alle sechs Jahre nötig.
Hilft die Grippeimpfung gegen Pneumokokken?
Nicht direkt. Pneumokokken sind aber häufige Ursache für bakterielle Super-Infektionen bei Influenza-Erkrankten, erklärt Experte Hengel. Dieser Komplikation kann durch Impfungen vorgebeugt werden, sowohl gegen Pneumokokken als auch gegen das Grippevirus.
Kann ich mich gleichzeitig gegen Corona und gegen die Grippe impfen lassen?
Ja, das geht. Die Ständige Impfkommission empfiehlt keinen Abstand mehr zwischen Corona-Impfstoffen und sogenannten Totimpfstoffen, zu denen die Grippeimpfung gehört. Die Impfstoffe sollten aber in unterschiedliche Gliedmaßen verabreicht werden, empfiehlt die Stiko.
Kann man sich mit der Influenza und mit Corona gleichzeitig anstecken?
Möglich ist das, aber bislang selten – weil die Grippeviren durch die Corona-Schutzmaßnahmen kaum Angriffsfläche hatten. Außerdem ist es so, dass sich Infektionen gegenseitig unterdrücken können. Der Körper reagiert auf die eine Infektion mit antiviralen Stoffen, die auch die andere Infektion zurückdrängen, weil sie verhindern, dass die Viren sich im Körper weiter vermehren können, wie Hengel erklärt.