Stirbt der Schwarzwald? Der Blick aus der Luft zeigt riesige Löcher im Baumbestand, manche Fläche sieht beinah so kahl aus wie ein frisch gemähter Fußballplatz. Zwischen dem verbliebenen Grün des Mischwalds ragen grau die toten Bäume wie stählerne Laternen aus dem Boden. Es sind hauptsächlich Fichten.

Daten zeigen: Der Nadel- und Blattverlust in den baden-württembergischen Wäldern war im Jahr 2022 so groß wie nie, seit ab 1985 regelmäßig der Waldzustand untersucht wird. Seit Jahren wächst der Verlust.

Vor allem alte Bäume ab 61 Jahren sind massenweise deutlich geschädigt, in den meisten Landkreisen der Region betrifft das über die Hälfte aller Exemplare. Auch das belegt der jährlich erscheinende Waldzustandsbericht.

 

Nirgendwo sind die Baumverluste größer

Aber woran genau liegt das? Zeit für eine Bodenbegehung. In Remetschwiel, einem Ortsteil von Weilheim, liegt ein besonders hart getroffenes Stück Privatwald. Nirgendwo in Baden-Württemberg sind die Baumverluste größer als im Kreis Waldshut, nirgendwo im Kreis Waldshut sind sie größer als hier.

 

Gregor Allgeier kümmert sich um das Waldstück in Remetschwiel. Er ist der Revierförster von Weilheim. Und er macht sich Sorgen um den Wald, sagt er. Allgeier parkt am Rand eines Forstweges und steigt zwischen totem Holz und Gestrüpp einen Hang hinauf, die Sonne steht hoch am Himmel, scheint gnadenlos auf das Grün. Oder auf das, was davon übrig ist.

Gregor Allgeier, Revierförster von Weilheim, zeigt auf natürlich entstandenen Baumnachwuchs zwischen dem Totholz.
Gregor Allgeier, Revierförster von Weilheim, zeigt auf natürlich entstandenen Baumnachwuchs zwischen dem Totholz. | Bild: Jann-Luca Künßberg

Stress für den Wald

„Mehrere Faktoren spielen eine Rolle dabei, dass es hier so aussieht“, sagt Allgeier. „Die vergangenen Jahre waren sehr trocken, das hat die Bäume sehr gestresst.“ Das Waldstück liegt an einem Südhang, „hier scheint die Sonne drauf, dass es kracht“, sagt der Förster.

Dazu der Borkenkäfer, der weltweit den Wäldern zusetzt, vor allem auch den Bäumen in deutschen Mittelgebirgen. Und in immer höhere Höhen vordringt. Inzwischen zerstört er Bäume auch jenseits der Tausendmetergrenze.

Und noch ein Faktor: Sabine. Der Orkan wütete im Februar 2020 durch weite Teile Europas, auch durch den Schwarzwald.

„Als ich 2020 hierher kam, war das ein einschneidendes Erlebnis“, erzählt Allgeier. Sturm, Käfer und Jahre der Dürre haben ihm eine gewaltige Aufgabe hinterlassen. Auch die Geschichte des Schwarzwalds spielt dabei eine Rolle: Nach dem Zweiten Weltkrieg erfüllte Deutschland in der französischen Besatzungszone Reparationsforderungen teilweise mit Holz, das zu der Zeit sehr begehrt war. In kurzer Zeit wurden damals riesige Mengen Holz gefällt.

Aber auch in der späteren Beforstung seien Fehler gemacht worden, erklärt Gregor Allgeier. Denn die Böden im Schwarzwald unterscheiden sich je nach Höhe und Lage teils stark, nicht alle sind für Fichten geeignet, die trotzdem angebaut wurden.

Auch die Pandemie hat dem Wald geschadet

Wenn der Boden nicht zur Baumart passt, können sich die Wurzeln vielleicht nicht so verankern, wie es eigentlich gut wäre. Ein starker Wind, ein Sturm gar wie Sabine, reißt die Bäume dann leicht heraus.

Auch die Pandemie hat dem Wald hier geschadet: Als Weltmärkte brach lagen und Sägewerke nur in Kurzarbeit oder gar nicht tätig waren, blieb viel Holz im Wald liegen. Und wo der Borkenkäfer schon ansässig ist, breitet er sich in herumliegenden Holzbeständen besonders gut aus.

Wie kann es weitergehen?

Doch es gibt auch Hoffnung. Aus der Luft sind in regelmäßigen Abständen kleine türkise Punkte am Waldboden zu erkennen: Frisch gepflanzte Jungbäume mit Verbissschutz, das sind Plastikverkleidungen, die vor Bissen von Wildtieren schützen. Die knabbern vor allem gerne an dem zarten Baumnachwuchs herum – das beschädigt die Pflanzen und hemmt ihr Wachstum nachhaltig. Das wird auch mehr Arbeit für Jäger bedeuten, meint der Förster. Sie müssen mehr Wild schießen, um die jungen Bäume zu schützen. Oder der Wolf macht es: Das Raubtier kann zumindest ein Stück weit den Wildtierbestand in den Wäldern regulieren.

Kleine türkise Punkte am Boden: Mit dem Verbissschutz werden Jungbäume vor Wildtieren geschützt.
Kleine türkise Punkte am Boden: Mit dem Verbissschutz werden Jungbäume vor Wildtieren geschützt. | Bild: Erich Meyer

Von weit oben gar nicht zu sehen, sprießen im Schatten des Totholzes neue Fichten, Tannen, Vogelbeeren aus dem Boden. In kräftigem Grün, Farbe der Hoffnung. Diese Bäume stammen aus der Naturverjüngung. So nennen es Förster, wenn die Jungbäume aus verwehten Samen entstehen, ungeplant, sich also natürlich ausbreiten.

Das werden meist die stabileren Bäume, weil sie anders als jene gepflanzten aus den Baumschulen nie umgesetzt werden und stärkere Wurzeln ausbilden können.

Wie wird der Schwarzwald künftig aussehen?

Gregor Allgeier jedenfalls bleibt hoffnungsfroh, trotz der Größe der Aufgabe. Für ihn geht es künftig darum, verschiedene Baumarten anzusiedeln. Vielleicht nicht nur zwei oder drei, sondern eher sieben bis acht: „Das Ganze auf verschiedene Schultern verteilen“, sagt er.

Der Frühling in diesem Jahr war gut für den Wald, es hat viel geregnet. Das Waldbild werde sich aber verändern, sagt Gregor Allgeier. Der Schwarzwald wird bunter werden. Wie lange der Umbau dauern wird, ist für den Revierförster auch eine gesamtgesellschaftliche Frage. Ein möglichst gesunder Wald müsse in aller Interesse sein, sagt er.

Denn so viel ist klar: „Wir müssen mit viel mehr Extremwetter rechnen“, sagt Allgeier. Mit geballter Dürre und geballten Nassphasen. Nicht kalkulierbar. Hart für den Wald.