Monatelang fiel der bange Blick der Menschen in der Corona-Pandemie auf einen Wert: Die Inzidenz, die unerbittliche Trennlinie zwischen den verschiedenen Stufen der Corona-Regeln. Das ist passé, jetzt ist nur die Situation in den Krankenhäusern entscheidend. Diesmal sind es vor allem Ungeimpfte, die wegen möglicher Verschärfungen zittern müssen. Derzeit gelten zwar weder Warn- noch Alarmstufe – doch wann könnte sich das ändern?

Mit 193 Intensivpatienten und einer Hospitalisierungsinzidenz von 2,25 sind die Warnwerte von 250 und acht derzeit noch deutlich unterschritten. Beide Werte blieben in den vergangenen Tagen recht stabil. Prognosen des Landesgesundheitsamtes (LGA) sehen jedoch einen Anstieg in der kommenden Zeit vor. Auch Uwe Lahl, Amtschef im Landessozialministerium, prognostiziert: „Wenn es so weiter geht, könnte der Warnwert von 250 Intensivpatienten in zwei Wochen erreicht sein.“

Das könnte Sie auch interessieren

Zwar gebe es laut Lahl derzeit eine „Seitwärtsbewegung auf hohem Niveau“, was die Infektionszahlen angehe. Man spüre aber Effekte durch Reiserückkehrer und zehn größere Ausbrüche im Land. Einer davon ereignete sich nach SÜDKURIER-Informationen bei einer Hochzeit im Landkreis Ravensburg. Dort infizierten sich fast 50 Menschen, darunter auch doppelt geimpfte Gäste.

Uwe Lahl.
Uwe Lahl. | Bild: Sebastian Berger/Verkehrsministerium

Lahl verweist darauf, dass Baden-Württemberg derzeit das Bundesland mit der zweithöchsten Inzidenz in Deutschland sei. Tatsächlich liegt nur Bremen mit einem Wert von 112,8 über dem Südwesten mit 92,8, der Bundesschnitt liegt bei 76,3.

Schätzung kann deutlich daneben liegen

Allerdings sind Prognosen über das Erreichen der Warnwerte schwierig. Das Landesgesundheitsamt skizziert nach einem mathematischen Modell in seinen Tagesberichten die weitere Entwicklung auf den Intensivstationen. Wie weit diese Schätzung von der Realität entfernt liegen kann, zeigt ein Beispiel vom 27. August: Hier prognostizierte das Amt für den 8. September eine Intensivbelegung von um die 320 Corona-Patienten – tatsächlich waren es an diesem Tag dann 174.

Bild 2: Warnwert und Alarmwert in BW - wann werden sie erreicht?
Bild: Bernhardt, Alexander

Das LGA ist sich dieser Eigenschaft des Modells aber bewusst: „Die Prognose stellt eine Abschätzung dar, wie sich in den nächsten 14 Tagen unter gleichbleibenden Bedingungen die Intensivpatienten-Anzahl entwickeln wird“, erklärt eine Sprecherin. Im Klartext: Ändert sich etwa deutlich der Reproduktionswert, der angibt, wie viele Menschen ein Infizierter im Schnitt ansteckt, verliert auch die Vorhersage ihre Belastbarkeit. Das war zuletzt der Fall, als die von Lahl angesprochene Seitwärtsbewegung bei der Inzidenz im Land eintrat.

Das könnte Sie auch interessieren

Es ist also auch nicht auszuschließen, dass die 250er-Marke in absehbarer Zeit gar nicht überschritten wird. Unklar ist derzeit zudem der Effekt des Schulbeginns. Frühestens zu Beginn kommender Woche könne man dazu etwas Belastbares sagen, so Lahl. Die Auswirkungen auf die Intensivstationen im Land dürften laut ihm aber ohnehin überschaubar bleiben, derzeit werde nur ein Kind in Baden-Württemberg mit Covid-19 auf einer Intensivstation behandelt.

Verordnung zu kurzfristig? Land widerspricht

Unterdessen weist Lahl Kritik zurück, wonach die neue Corona-Verordnung zu kurzfristig veröffentlicht worden sei. Das Land hatte die neuen Regeln am Mittwochmittag bekannt gegeben, in Kraft traten sie bereits wenige Stunden später, um Mitternacht. „Die Regeln von heute unterscheiden sich in der Praxis aber nicht von denen gestern“, verteidigte sich Lahl am Donnerstag mit dem Verweis darauf, dass die festgelegten Warnwerte für Verschärfungen ja noch gar nicht erreicht seien.

Doch hätte man nicht die Regeln zwar am Mittwoch verkünden, sie aber erst am Montag in Kraft treten lassen können, um den Menschen mehr Vorbereitungszeit einzuräumen? So hält es beispielsweise die Schweiz. Lahl sagt dazu: „Das fänden die einen vielleicht gut, die andern würden uns aber vorwerfen, in der Pandemie wertvolle Zeit verstreichen zu lassen.“ Er halte das Vorgehen des Landes deswegen für die klügere Variante.