Eines ist klar: Am vergangenen Sonntag zogen die Falschen auf die Straße. Nicht die betroffenen Anwohner demonstrierten in Friedrichshafen oder Stuttgart, weil sie den Lärm nicht mehr aushalten. Vielmehr waren es die Motorradfahrer selbst, die mit multipliziertem Getöse für ihre Sache warben. Gegen drohende Fahrverbote drehen sie auf. Die schweigende Mehrheit blieb diesem Schaulaufen fern und schaute sich das Spektakel im Fernsehen an.
Motorrad ist kein Grundnahrungsmittel, sondern Luxus
Warum gehen die Wellen so hoch? Es handelt sich im Kern um eine Luxus-Diskussion. Die Zeit ist vorbei, als das Motorrad das Auto des kleinen Mannes war. In den meisten Haushalten steht das Krad als Zweit- oder Drittfahrzeug in der Garage. Es ist Teil der Freizeit, von wenigen Pendlern einmal abgesehen (die aber nicht im Donautal fahren).
Die Biker sind beruflich nicht darauf angewiesen. Sie ziehen für eine Leidenschaft zu Felde. Wenn die Kinder aus dem Gröbsten heraus sind, erfüllen sie sich einen Jugendtraum und erwerben ein anständiges Gefährt. Und dann kommen andere und halten sich die Ohren zu! Aus Sicht der Biker sind diese Mitbürger in ihren Vorgärten nur kleinliche Spaßbremsen.
Das Getöse ist Teil des Spaßpakets
Nun hat jedes Geräusch zwei Seiten: Einen aktiven Erzeuger und den passiv Hörenden. Für den Fahrer ist das tiefe Orgeln des Motors ein zutiefst beruhigendes Gefühl. Es bestätigt ihn, alles läuft rund. Seine Welt ist in Ordnung, solange die Kolben arbeiten. Der US-Schriftsteller Robert Pirsig hat aus dem Zusammenspiel von Motor und Mensch einen Roman geformt. „Zen oder die Kunst ein Motorrad zu warten“ (1974) wurde zur Hymne an knatternde Zweiräder, die Vater und Sohn durch grandiose Ebenen tragen. Pirsig fuhr über schnurgerade Straßen durch eine fast menschenleere Landschaft.
Ab 85 Dezibel schaden Geräusche
In Baden-Württemberg leben fast überall Menschen rechts und links der Straße. Das ist der Unterschied. Die Anwohner haben sich daran gewöhnt oder sie leiden – still. Ab 85 Dezibel wird ein Geräusch als schmerzlich wahrgenommen. Es schadet objektiv. Diesen Punkt erreichen die meisten Zweiräder heute mühelos. Sie werden nicht gebaut, damit sie leise sind oder Lasten an ein Ziel schleppen.

Die Geräuschkulisse ist Teil des Pakets, das sich die Fahrer (und einige Fahrerinnen) erwerben. Es ist die Freude an moderner Technik oder am Retro, an Tempo, Straßenlage und an der Musik des Motors in vielen Abstufungen. Dessen Klangbild wird wie der Besuch eines Rockkonzerts gehört: Ohne eine kernige Akustik geht die Freude am Konzert verloren. Das Pianissimo wurde nicht beim Motorenbau erfunden.
Tirol zeigt, wie es gehen kann
4,5 Millionen Motorräder sind ganzjährig in Deutschland angemeldet, dazu kommen saisonale Zulassungen. Die Tendenz zeigt weiter nach oben. Das Bedienen dieser Geräte ist mehr als ein Hobby, eher hat es Kultcharakter mit gemeinschaftlichen Qualitäten. Eine Regelung ist also dringend geboten. Der Bundesrat empfiehlt Fahrverbote für bestimmte Strecken an Wochenenden.
Bayern stellt sich dagegen. Schließlich stellt BMW eigene und schöne Maschinen her. Der bayrische Innenminister bekennt sich als Motorradfahrer. Wenn das kein Argument ist...
Die Hersteller können daran drehen
Wenn es um die Gesundheit geht, sollten Regierungen nicht vor dem imposanten Aufgebot lärmender Helmträger in die Knie gehen. Verbote oder Sperrungen können nur ein letztes Mittel sein, etwa um die Zahl tödlicher Unfälle zu begrenzen. Sinnvoller ist der Weg über die Hersteller. Sie können den akustischen Ausstoß ihrer Produkte heruntersetzen. Wer durch nachträgliche Einbauten oder Ausbauten ein Fahrzeug aufdonnert, wird aus dem Verkehr gezogen.
Tirol praktiziert das bereits mit Erfolg. Motorräder mit mehr als 95 Dezibel erhalten ein Fahrverbot. Dort war die Richtung des Protests umgekehrt: Die Bewohner in den Tälern zogen vor den Rathäusern ihre Fahnen auf, bis die Bürgermeister reagierten.