Das Vorurteil hält sich hartnäckig: Wer Bürgergeld vom Staat bekommt, muss faul sein und ruht sich lieber auf der Leistung vom Staat aus, als arbeiten zu gehen. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa denken in Deutschland mehr als 60 Prozent der Menschen so. Aber Daten der Agentur für Arbeit für Baden-Württemberg zeigen: Die meisten Bürgergeldempfänger sind nicht arbeitslos. Und die sie sind keine einheitliche Gruppe.
Die Daten beziehen sich auf Oktober 2023. Aktuellere Daten sind noch nicht verfügbar.
Wie unterschiedlich die Menschen sind, die Bürgergeld beziehen, zeigt auch die Erfahrung der Mitarbeiter der Agentur für Arbeit. „Was ich gelernt habe in den Jahren hier: Es kann jeden von uns treffen“, sagt Sonia Houimli vom Jobcenter Landkreis Konstanz. „Und plötzlich sitzt man auf der anderen Seite des Tisches.“
Große Mehrheit qualifiziert sich weiter
11.000 Bürgergeldempfänger gibt es im Landkreis Konstanz. Die Mehrheit absolviert Weiterbildungs- und Integrationskurse, sagt Claudia Walschburger. Sie ist Bereichsleiterin Markt und Integration beim Jobcenter.

Gering Qualifizierte werden so wieder fit für den Arbeitsmarkt gemacht. Und Menschen mit Migrationsgeschichte erlernen die Sprache. Von den 4000 Menschen mit Migrationsgeschichte beim Jobcenter Landkreis Konstanz sind 2000 ukrainische Geflüchtete.
Die Sprachbarriere ist ein großes Problem, manchmal müssen sich die Sachbearbeiter mit Google Translate helfen. „Es ist beratungsintensiv, auf allen Ebenen“, sagt Claudia Walschburger. Die Wartezeiten auf Sprachkurse sind lang. „Offen gesagt sind wir am Ende mit den Lehrkräften, insbesondere bei den Alphabetisierungskursen.“
Einige hätten Angst, in einem Beruf zu arbeiten, für den sie überqualifiziert sind – weil ihre Ausbildung in Deutschland nicht anerkannt wird. „Da brauchen wir gute Vorbilder – und Arbeitgeber, die mitmachen“, sagt die Bereichsleiterin.
Gibt es Vorurteile von Arbeitgebern?
Erst neulich sei sie auf der Berufsmesse gewesen. Einige Arbeitgeber hätten gefragt, ob die vielen Ukrainerinnen und Ukrainer vom Jobcenter verpflichtet worden seien, zu kommen. „Nein. Die Menschen sind motiviert“, sagt Claudia Walschburger. Wer in Deutschland bleiben will, wolle früher oder später hier arbeiten.
Astrid Koberstein-Pes ist Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt beim Jobcenter Landkreis Konstanz und zuständig für Menschen, die aus der Haft entlassen wurden. Auch sie erlebt eine neue Offenheit bei den Arbeitgebern: „Ich war vor kurzem bei der Berufsmesse und bin von Stand zu Stand. Wer bereit ist, sich weiterzubilden und jeden Tag da zu sein, der ist gefragt, egal, welchen Hintergrund er hat.“ Das liegt auch daran, dass der Arbeitsmarkt sich verändert hat. Die Menschen werden von den Betrieben gebraucht.
Kein Kita-Platz, kein Job
Trotzdem gibt es laut den Frauen vom Jobcenter eine Gruppe, die auf mehr Vorbehalte trifft: Alleinerziehende. „Meine Alleinerziehenden müssen viel stemmen, sind hochmotiviert und bringen viel Kompetenz mit“, sagt Sonia Houimli. Arbeitgeber, die noch keine Erfahrungen mit ihnen gemacht haben, seien manchmal zögerlich bei der Einstellung. Was helfen würde? „Ab einer gewissen Unternehmensgröße eine Quote vielleicht: Damit die Arbeitgeber die Erfahrung machen, wie es wirklich ist, einen Alleinerziehenden im Team zu haben.“ Was Houimli immer wieder erlebe: Nach dem Probe-Arbeiten sind die Bedenken bei den Chefs verschwunden. Dann zähle Motivation und Wille.
Etwas, wogegen weder Motivation, Wille, noch kooperative Arbeitgeber helfen, sind die fehlenden Kita-Plätze im Landkreis. „Allein 800 zu wenig in der Stadt Konstanz“, sagt Claudia Walschburger. Wer keinen Platz für sein Kind findet, der kann häufig nicht arbeiten. „Es kommt auch vor, dass Menschen, die nach drei Jahren Kinderzeit nicht zurückkommen, gekündigt werden“, sagt sie. Von den 11.000 Menschen, die im Jobcenter Konstanz Bürgergeld beziehen, sind 2000 Kinder.
Vollzeit arbeiten, Bürgergeld beziehen
Doch auch, wer einen Job hat, ist nicht davor gefeit, auf Bürgergeld zurückgreifen zu müssen. Ein Teil der Bürgergeldempfänger verdient zu wenig, um davon leben zu können. Entweder arbeiten sie Teilzeit. Oder sogar Vollzeit. „Es reicht nicht, die Familie zu ernähren, weil der Landkreis so teuer ist“, berichtet Claudia Walschburger. Insbesondere die hohen Mieten im Landkreis sorgten für finanzielle Probleme.
„Es gibt nicht DEN Bürgergeldbezieher“
Gibt es die Gruppe derjenigen, die keine Lust zu arbeiten haben? Claudia Walschburger: „Natürlich gibt es Einzelne, die nicht wollen. Oder die nebenher schwarz arbeiten und sagen: ‚So habe ich mehr raus.‘ Das unterbinden wir. Doch es ist ein verschwindend geringer Anteil!“
„Jeder, der solche Vorurteile hat, sollte einfach mal in ein Gespräch mit jemandem gehen, der auf Hilfe angewiesen ist. Und sich dessen Lebensgeschichte anhören“, sagt Astrid Koberstein-Pes.

„Es gibt nicht DEN Bürgergeldbezieher: Bürgergeldbezieher, das sind der Mann und die Frau von Nebenan.“