„Die Kakteen im Pflanzenhaus entwickeln sich so, als wollten sie sich bedanken für den neuen Standort“, sagt Andreas Höfler. Der Leiter der Stadtgärtnerei hat jahrelang mit seinem Team den schweren und gefährlichen Transport der Kakteen aus dem Stadtgarten ins Winterquartier und wieder zurück gestemmt. Erst mit dem Bau des Pflanzenhauses, der durch die Landesgartenschau möglich wurde, bekamen die frostempfindlichen Exemplare eine neue Heimat. Dort gefällt es ihnen fast schon zu gut, wie Markus Wolf, Sachgebietsleiter beim Grünflächenamt, augenzwinkernd hinzufügt. Während der Ruhezeit im Winter müssten einige Exemplare geschnitten werden, weil sie drohen, zu groß und instabil zu werden.

Hermann Hoch importiert Exoten

Die Kakteensammlung, ein Markenzeichen des Stadtgartens, ist Hermann Hoch zu verdanken. Überlingens erster Stadtgärtner brachte von seinen Auslandsreisen Kakteen mit, für die er 1897 das erste Exoten-Beet anlegte, damals noch unterhalb des Gallerturms. Zwanzig Jahre später bekam die größer werdende Gruppe ihren Platz beim Springbrunnen.

Der gesamte Bereich des Stadtgartens, der aus der Zeit zwischen 1874 und Anfang des 20. Jahrhunderts stammt, wurde 1986 als historische Grünfläche aus „wissenschaftlichen und heimatgeschichtlichen Gründen als Kulturdenkmal erfasst“, informiert das Landesamt für Denkmalpflege (LAD). Dort wurde für die Umsiedlung der Kakteen ins neue Pflanzenhaus schließlich die Genehmigung erteilt, wegen der nicht „artgerechten Haltung“.

Die kostbaren und mittlerweile teils sehr großen Exemplare wuchsen in Kübeln, damit sie zweimal im Jahr den Standort vom Beet ins Gewächshaus und zurück machen konnten. Das LAD verknüpfte mit der Genehmigung auch eine Auflage: Im Stadtgarten sollte an gleicher Stelle ein Beet mit winterharten Kakteen und Sukkulenten entstehen.

Aus diesen recht unscheinbaren Knospen werden für eine Nacht die Blüten der Königin der Nacht.
Aus diesen recht unscheinbaren Knospen werden für eine Nacht die Blüten der Königin der Nacht. | Bild: Sabine Busse

Detlev Hellinger trug zur Kakteenvielfalt bei

Damit kam den Überlinger Stadtgärtnern die Aufgabe zu, die frostempfindlichen Exoten im Pflanzenhaus neu zu gruppieren und ein komplett neues Beet im Stadtgarten zu schaffen. „Die Anpflanzung hier ging von null auf 100“, erinnert sich Markus Wolf. Unterstützung bekamen sie dabei von Detlev Hellinger. Der renommierte und bereits verstorbene Experte betrieb den „Kaiserstühler Exotengarten“ und sei von der Idee begeistert gewesen, erinnert sich Andreas Höfler. Er beriet die Überlinger Kollegen und verkaufte ihnen viele Exemplare seiner besonderen Sammlung. „Diesem Glücksgriff“ sei es zu verdanken, dass man heute nicht vor einem Areal mit lauter kleinen Pflänzchen, sondern einem bereits stattlichen Bewuchs stehe, so Höfler.

Exoten kommen mit dem Klimawandel gut klar

Im Mai 2022 brachten die Gärtner zuerst 50 Kubikmeter Kakteensubstrat aus, um den Pflanzen zum Anwachsen Nahrung zu liefern und Staunässe zu vermeiden. Wolf und Höfler freuen sich, wie gut sich die Kakteen und Sukkulenten seitdem entwickelt haben. Für den stimmigen Gesamteindruck rahmen mehrere Palmen das geschwungene Beet ein. Besonders gut hat sich eine Palmlilie entwickelt, die sich auf zwei Etagen prächtig in Szene setzt. Die Opuntien, auch Feigenkaktus genannt, haben frische Triebe entwickelt und die kleinen Escobaria davor blühen gerade. Die Gärtner bringen immer mal wieder schwarzes Lavagranulat auf und jäten Unkraut, ansonsten hielte sich der Pflegeaufwand in Grenzen, betonen die Fachleute.

Auf die Frage, ob der Klimawandel einen positiven Effekt für Freiland-Kakteen mit sich bringt, winkt Markus Wolf ab. Die Exoten könnten zwar prima mit heißen, trockenen Sommern umgehen und auch Minusgrade hielten sie in Maßen aus. „Das Problem an der kalten Jahreszeit sind nicht die Temperaturen, sondern die hohe Luftfeuchtigkeit, die hier an nebligen Tagen am See herrscht“, erläutert Wolf. Das begünstigt Pilzbefall, der sich mit dunklen Stellen auf den Blättern bemerkbar macht.

Die prächtige Agave im Eingangsbereich des Pflanzenhauses hat an ihrem neuen Standort bereits mächtig zugelegt. Die Sorte daneben hat ...
Die prächtige Agave im Eingangsbereich des Pflanzenhauses hat an ihrem neuen Standort bereits mächtig zugelegt. Die Sorte daneben hat schon lange Triebe für die Blüte entwickelt. | Bild: Sabine Busse

Im Pflanzenhaus gibt es immer Neuigkeiten zu entdecken

Das Problem haben die empfindlichen Exoten im Pflanzenhaus nicht. Gleich am Eingang werden die Besucher von einer riesigen Agave empfangen. Das Geschenk von Detlev Hellinger hat sich beeindruckend entwickelt. Nach der Blüte sterben Agaven ab. Das Schicksal steht auch der „werdenden Mutter“, wie es auf dem Schild vor einer anderen Agaven-Sorte steht, bevor. Zwei Exemplare tragen zurzeit Blüte. Anders verhält es sich bei der Königin der Nacht. Sie blühte bereits.

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Kakteen sind ein „Quell der Freude“

„Das ist hier ein ständiger Quell der Freude“, strahlt Markus Wolf und lässt den Blick über seine stacheligen Schützlinge streifen. Jedes Mal, wenn er hierherkomme, gebe es Neuigkeiten zu entdecken, fügt er an. Das Pflanzenhaus ist mit einer Beetfläche von 215 Quadratmetern etwa doppelt so groß wie das Areal im Stadtgarten. Die Exoten konnten daher lockerer und thematisch geordnet nach Herkunft und Gattung gruppiert werden. Es gibt einen Agaven- und einen Opuntienwald, dazu stehen die Madagaskareuphorbien, Pflanzen von den Kanarischen Inseln und solche vom amerikanischen Kontinent in getrennten Bereichen. Informationen über die Herkunft und die Besonderheiten liefern den Besuchern Infotafeln, dazu stehen die Namen der Pflanzen jeweils daneben.

Höfler ist jetzt seit 48 Jahren bei der Stadtgärtnerei. Als er anfing, waren einige der Kakteen schon in ihren 50ern. Die Anlage solcher Parks und Beete erfordert viel Kenntnisse und Vorstellungskraft, wie alles in zehn oder zwanzig Jahren aussieht. „Wer die Anpflanzung macht, erlebt oft nicht mehr, wie das mit ausgewachsenen Pflanzen aussieht“, erläutert Höfler, dem sein Job immer noch Spaß macht, wie er sagt. Überlingen verfügt dank Gärtnern wie ihm über gleich zwei sehenswerte Kakteenbereiche.