Den 26. Juni werden die Oberteuringer so schnell nicht vergessen. Bis zu 70 Liter Wasser pro Quadratmeter stürzen innerhalb kürzester Zeit aus dem Himmel. Wenig später ist der Ortskern überflutet. Keller laufen voll, auf den Feldern steht das Wasser. Heute, bei strahlendem Sonnenschein und Hitze, erinnert nichts mehr an das, was vor einem Jahr geschah. Anders ist es hingegen bei den Menschen, die damals von den Folgen des Starkregens betroffen waren.
„Ich möchte so etwas nicht nochmal erleben“, sagt Andreas Kirsner, der seine Hausarztpraxis in der Eugen-Bolz-Straße hat. Morgens beim Frühstück habe er noch zu seiner Frau gesagt: „Ich habe noch nie so einen riesen Regenguss gesehen.“ Wie jeden Tag ist der Mediziner mit dem Fahrrad nach Oberteuringen gefahren. Die Straßen waren überflutet, der Fahrradweg kaum zu erkennen. In der Praxis angekommen, war zunächst alles noch normal. Den ersten Patienten konnte er noch behandeln, dann kam niemand mehr.
„Plötzlich sind Hölzer an uns vorbeigeflossen“, erinnert sich Andreas Kirsner. Da sei ihm klar geworden, wie ernst die Lage tatsächlich war. Sofort stellten er und sein Team wertvolle Geräte wie Computer auf die Tische. Auch das Ultraschallgerät im Wert von 15.000 Euro und den Server mit allen wichtigen Daten im Keller der Praxis konnte er sichern.
Nach neun Monaten herrscht wieder Normalität
Dass Kirsner erst knapp neun Monate nach dem Starkregen wieder in seiner Praxis arbeiten kann, hätte er nicht erwartet. „Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre ich schon viel früher wieder zurück gewesen“, sagt er. Übergangsweise konnte er mit seinem Team in seiner zweiten Praxis in Friedrichshafen arbeiten. Gemeinsam mit der Gemeinde entstand dann die Idee, die Teuringer Praxis provisorisch im gemeindeeigenen Kulturhaus Mühle unterzubringen. Von Mitte September bis Ende April behandelte Kirsner dort seine Patienten.
Vor allem Unstimmigkeiten zwischen den Versicherungen haben die Renovierungsarbeiten laut Kirsner verzögert. Jetzt ein Jahr später ist in der Eugen-Bolz-Straße wieder alles beim Alten – oder besser: beim Neuen. Spuren von der Zerstörung sind keine mehr zu erkennen. Nur die Klimaanlage funktioniere noch nicht, da das Außengerät erst Anfang Juli geliefert wird. „Wenn das dann läuft, ist endlich alles abgeschlossen“, sagt Kirsner.
Jeder Starkregen bringt die Angst wieder zurück
Doch was bleibt, ist eine gewisse Unsicherheit. Die Gemeinde arbeitet an Starkregenschutzmaßnahmen – doch bis diese umgesetzt sind, wird es noch Jahre dauern. Auch in der Rotach-Apotheke nebenan ist die Angst vor einer Wiederholung groß. „Jeder starke Regen ruft die Erinnerungen wieder hervor“, sagt Inhaberin Susanna Koch. Jedes Mal wenn die Wetter-App Unwetter ansagt, verursache das ein mulmiges Gefühl.

„Es sitzt einfach tief“, sagt sie. An dem Tag des Starkregens hatte das Apothekenteam eigentlich einen Betriebsausflug geplant. Doch als Susanna Koch zur Ladenöffnung die Apotheke betrat, lief das Wasser bereits durch die Tür. Dann ging alles sehr schnell. „Wir haben gerettet, was zu retten war“, erinnert sie sich. Ihr Ehemann habe unten im Keller Teile der Telefonanlage und der Computertechnik in der Eile aus der Wand gerissen – und sie so vor den Fluten gerettet.
Schmerzsalben tauchten auf dem Acker auf
Einige Medikamentenkisten konnten aus dem Keller in Sicherheit gebracht werden. Doch vieles ließ sich nicht mehr retten. „Wir haben Waren im Wert von 15.000 Euro verloren plus Teile der Einrichtung“, erzählt Koch. Dazu gehörten unter anderem teure Medikamente, die im Kühlschrank aufbewahrt werden. Aber auch einfache Tuben Schmerzsalbe wurden nach draußen gespült und später auf dem Acker gefunden.

Erst nach drei Monaten konnte die Apotheke wieder öffnen. Susanna Koch beziffert den Verlust an Einnahmen auf etwa 20.000 Euro pro Monat. Viele der Renovierungsarbeiten haben sie und ihr Mann aus privaten Ersparnissen finanziert, da die Apotheke nicht ausreichend versichert war. „Einen Strich unter die Kosten haben wir nie gemacht“, sagt sie. Ein Spendenaufruf brachte rund 10.000 Euro ein, von denen kleinere Anschaffungen wie ein neuer Tresor oder Lagerregale finanziert wurden.
„70 Prozent der Arbeiten sind nicht erledigt“
Ein Jahr nach der Überschwemmung sind die Spuren noch sichtbar: Löcher in den Fußleisten und im Boden zeugen von Kernbohrungen, um die Trocknung zu beschleunigen. Solche Maßnahmen haben Susanna und Mario Koch in Eigenregie organisiert – lange bevor die Versicherungen aktiv wurden. So konnten sie eine teure Kernsanierung vermeiden. „Hätten wir selbst nicht so viel Eigeninitiative ergriffen, hätten wir heute noch nicht auf“, sagt Mario Koch.

Doch fertig ist längst nicht alles: Der Keller ist weiter unbenutzbar, Regale unvollständig und viele Details wie Sockelleisten oder einzelne Treppenstufen fehlen. Kleinigkeiten, die das Team daran hindert, die Räume vollständig zu nutzen. „70 Prozent der Arbeiten sind eigentlich noch nicht erledigt“, schätzt Mario Koch.
Hochwasser hat den Ort zusammengeschweißt
Die Renovierungsarbeiten laufen über die Hausverwaltung der Wohnungseigentümergesellschaft. Anfangs habe das gut funktioniert, doch mit der Zeit ließ die Kommunikation deutlich nach, wie das Ehepaar Koch erzählt. Dass ein Jahr nach der Überschwemmung immer noch so viele Baustellen offen seien, „ist einfach enttäuschend“, sagt Mario Koch.
Trotz allem blicken Susanna und Mario Koch nach vorn. „So viele haben sich gefreut, dass wir wieder da sind“, erzählt die Apothekerin. Die Hilfsbereitschaft habe sie tief beeindruckt. „Leute haben uns Pizza und Kuchen gebracht und so viel geholfen – das war überwältigend.“ Auch Kirsner lobt die Hilfsbereitschaft. „Die Leute standen vor der Tür und haben uns Nasssauger und Eimer gebracht“, erzählt er. „Wir sind da alle zusammen durch.“