Jeden Monat blieb die Geburtenstation im Konstanzer Klinikum geschlossen für eine Woche geschlossen. Fast ein halbes Jahr lang ging das ab Herbst 2022 so. Der Grund: Personalmangel bei den Hebammen.
Doch dann findet sich eine Lösung. Im April 2023 startete die Geburtenstation wieder in den Normalbetrieb, dank eines neuen Arbeitsmodells mit Beleghebammen.
Die 28-jährige Helena Schneider und ihre 30-jährige Kollegin Naomi Börsig sind zwei von mittlerweile 18 Beleghebammen am Konstanzer Klinikum.
Vor der Umstellung des Arbeitsmodells seien es nur acht Hebammen gewesen, man habe sich also fast verdoppelt, sagt Börsig. Auch in den Geburtenzahlen des Klinikums schlägt sich der Erfolg des Beleghebammen-Modells nieder, sagen die beiden Hebammen.
Knapp 1000 Geburten habe man im Jahr, der Ruf der Konstanzer Geburtenstation habe sich deutlich verbessert, sagt Börsig: „Man merkt, dass unsichere Familien, die vorher für die Betreuung während der Geburt immer einen Plan B, C und D hatten, sich wieder mehr fallen lassen können.“
Das Arbeitsmodell habe für die Hebammen mehr Freiheiten gebracht. Man arbeite selbstorganisiert im Team, habe eine bessere Work-Life-Balance und könnte trotzdem rund um die Uhr für Familien vor Ort sein, sagen Börsig und Schneider.
Nach eigenen Worten „brennen“ sie für das System – ihre Kollegin Katharina Stamml sagte 2023 dem SÜDKURIER gegenüber, dass das Beleghebammensystem das einzige Modell sei, bei dem Hebammen fair entlohnt werden. Doch das könnte sich ab dem 1. November 2025 wieder ändern.
Arbeit der Hebammen soll aufgewertet werden
Am 2. April hat eine bundesweite Schiedsstelle über eine neue Vergütungsregelung für Hebammen entschieden. Diese folgt dem Vorschlag des GKV-Spitzenverbands, einer Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland.
Laut GKV soll eine neue Vergütungsregelung die Arbeit der Hebammen finanziell aufwerten, fixe Pauschalen und damit Bürokratie abschaffen. Die Vergütung von Geburten, die freiberufliche Beleghebammen am Krankenhaus begleiten, soll laut GKV grundlegend verändert werden.
Schlechterstellung der Beleghebammen?
Begleitet eine Hebamme eine einzige gebärende Frau von zwei Stunden vor ihrer Geburt bis zwei Stunden nach der Geburt durchgängig, soll sie für diese 1:1-Betreuung einen Zuschlag bekommen.
Betreut eine Hebamme in derselben Zeit eine zweite oder dritte Frau, bekommt sie für diese nur noch 30 Prozent des vollen Gehalts, ab der vierten Frau gibt es dann gar keine Vergütung mehr. Damit soll laut dem GKV eine „qualitativ hochwertige 1:1-Betreuung der Gebärenden am höchsten vergütet werden und nicht mehr die wechselweise Betreuung von mehreren Gebärenden.“
Im Alltag der Beleghebammen sei das aber kaum realistisch, sagen Börsig und Schneider, auch die Vorsitzende des Hebammenverbands Baden-Württemberg, Ruth Hofmeister, bestätigt das.
Arbeit spiegelt sich nicht im Gehalt wider
Im Klinikalltag betreut eine Hebamme eine Frau während der aktiven Geburtsphase. Eine weitere, weniger betreuungsintensive Patientin könnte parallel begleitet werden. „Wir betreuen nicht nur Geburten“, sagen die Hebammen. Zudem könnte jederzeit ein Notfall an der Kreißsaaltür klingeln, der versorgt werden muss, bis eine Rufbereitschaft eintreffe.
Tritt die Gebührenordnung ab 1. November so in Kraft, dürfe man als Hebamme zwei Stunden vor und zwei Stunden nach der Geburt keine weitere Frau anfassen, so Schneider. Auch wenn eine Schwangere unmittelbar vor der Geburt den Kreißsaal betritt, gibt es weniger Geld.
Gleichzeitig tragen die Beleghebammen für jede betreute Frau die gleiche Verantwortung und die gleiche Haftung, was sich aber nicht im Gehalt widerspiegelt: „In welchem Beruf wird man für die gleiche Leistung unterschiedlich bezahlt?“, klagen die Hebammen.
Rund 23 Prozent weniger könnten die Beleghebammen ab November verdienen. Das habe ihnen ihr Abrechnungsdienstleister bereits errechnet, sagen Börsig und Schneider. Manches Team könnte es mit einem Minus von 25 bis 30 Prozent noch härter treffen, der Hebammenverband Baden-Württemberg schreibt von Einbußen bis 40 Prozent – bei gleichbleibenden Fixkosten von rund 3000 Euro pro Monat.
So werde der Beruf schlichtweg unwirtschaftlich: „Bereits jetzt gibt es schon Monate, in denen man gerade nur seine Fixkosten erwirtschaftet“, sagt Schneider.
Fatale Folgen für die Gesundheitsversorgung?
Laut Hofmeister sei zu befürchten, dass viele Beleghebammen ihren Job niederlegen werden, sollte der Vertrag tatsächlich so in Kraft treten. In der Region Hohenlohe und im Landkreis Schwäbisch Hall, wo die Beleghebammen die Geburtshilfe an Kliniken nicht nur ergänzen, sondern erst ermöglichen, sei das fatal.
Ins Angestelltenverhältnis zurückwechseln würden viele Hebammen nicht mehr wollen, sagt Hofmeister. Auch für Börsig und Schneider sei das keine gute Option mehr: Das Beleg-Modell habe Ihnen erst die Freude am Beruf wieder zurückgegeben.
In Konstanz, Friedrichshafen, Tettnang sowie in der Region rund um Ravensburg gebe es ausschließlich Kreißsäle mit Beleghebammen, die Situation sei also vergleichbar. Friedrichshafen hat bereits 2004 auf die Beleghebammen umgestellt.
Ohne die Beleghebammen könnten die geburtshilflichen Abteilungen nach dem Szenario des Hebammenverbands so nicht mehr aufrechterhalten werden. Was das für Kliniken und werdende Eltern bedeuten kann, hat das Beispiel Konstanz vor zwei Jahren deutlich gemacht. Die Konstanzer Klinik selbst wollte sich auf Anfrage vorerst nicht zu den Folgen äußern.
Börsig und Schneider wissen aber: „Wenn Konstanz wegbricht, wo sollen die Leute hin? Wir haben schon vor zwei Jahren gesehen, was passiert, wenn es zu wenig Hebammen gibt.“