„Ein Sprung ins kalte Wasser“: So beschreibt Pauline Otto ihren Schritt in die Selbstständigkeit als freiberufliche Hebamme. Seit 2014 die Versicherungsbeiträge für freiberufliche Hebammen eklatant anstiegen, entscheiden sich immer weniger Frauen für diesen Weg. Und einen Tag nach Ottos Start in die Freiberuflichkeit, am 2. April, entschied die auf Bundesebene eingesetzte Schiedsstelle, dass Beleghebammen im Hebammenhilfevertrag künftig finanziell schlechter gestellt werden als bisher.

Die größte berufsständische Vertretung der Hebammen, der Deutsche Hebammenverband (DHV), sieht die Qualität der Geburtshilfe massiv gefährdet. „Diese Umstellung hat mich jetzt kalt erwischt“, erzählt die 23-Jährige in der Küche ihrer Wohnung am Rande der Altstadt von Meersburg. Wie die meisten ihrer Berufskolleginnen, die in Krankenhäusern arbeiten, startet sie im Juni als Beleghebamme für eine festgelegte Stundenzahl im Klinikum Friedrichshafen.

Doppelte Verantwortung, aber weniger Geld

Eine freiberufliche Hebamme muss auch bürokratische Aufgaben erledigen, wie die Abrechnung ihrer geleisteten Stunden.
Eine freiberufliche Hebamme muss auch bürokratische Aufgaben erledigen, wie die Abrechnung ihrer geleisteten Stunden. | Bild: Lorna Komm

Angestrebt seien bundesweit Eins-zu-eins-Betreuungen, in denen sich jeweils eine Hebamme um eine Gebärende kümmert. Aber natürlich komme es vor, dass mehrere Kinder gleichzeitig auf die Welt kommen wollen. „Wenn ich dann mal zehn Minuten bei einer anderen Frau bin, dann ist es keine Eins-zu-eins-Betreuung mehr“, erklärt Otto das System. Für die zweite Frau im Kreißsaal erhalte sie nach derzeitigem Stand der Entscheidung der Schiedsstelle nur 30 Prozent der Vergütung. „Ich habe dann die doppelte Verantwortung, bekomme aber weniger Geld“, ärgert sie sich. Jedoch sei für sie als Berufsanfängerin noch alles neu. Für Hebammen mit langjähriger Berufserfahrung und diejenigen, die ausschließlich in Krankenhäusern arbeiten, sei dies vielleicht schlimmer, mutmaßt sie.

13.000 Euro für Versicherungen

Eine zusätzliche Herausforderung beim Schritt in die Freiberuflichkeit ist die Tatsache, dass Pauline Otto rund 13.000 Euro für Versicherungen vorauszahlen muss. Betreue sie Geburten, könne sie quartalsweise Rückzahlungen erhalten. Zudem vergüteten Krankenkassen ihre Arbeit durch das Abrechnungssystem erst nach Monaten. Dennoch freue sie sich auf ihren Berufsstart und den Umgang mit den vielen unterschiedlichen Menschen, betont die junge Hebamme.

Der zwei Wochen alte Deniz ist eines der Babys, welches Hebamme Pauline Otto im Rahmen der Wochenbettbetreuung besucht.
Der zwei Wochen alte Deniz ist eines der Babys, welches Hebamme Pauline Otto im Rahmen der Wochenbettbetreuung besucht. | Bild: privat

Bald startet der erste Rückbildungskurs

Neben den Hausbesuchen zur Betreuung Schwangerer und der Nachsorge nach der Geburt inklusive Stillberatung startet Pauline Otto im Mai auch mit ihrem ersten Rückbildungskurs. Mangels eigener Räumlichkeiten ist sie froh, relativ zentral und mit Parkmöglichkeiten den Gemeindesaal im evangelischen Martin-Luther-Haus für die Kursstunden anmieten zu können. Später sollen Geburtsvorbereitungskurse hinzukommen, denn gerade für diese Kurse sei es in der Region schwer, Plätze zu finden.

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„Ich wollte schon immer was Medizinisches machen“, sagt Pauline Otto auf die Frage, wie sie zu ihrem Beruf kam. Doch schnell sei ihr klar gewesen, dass ein Medizinstudium für sie nicht infrage käme. Etwa zwei, drei Jahre vor dem Abitur habe sie sich entschlossen, Hebamme zu werden. Gewissheit habe sie aber erst nach einem Praktikum im Klinikum Friedrichshafen gehabt, wo sie demnächst auch arbeiten wird. „Ich musste erst mal schauen, ob es mir taugt – und war dann ganz angetan“, erzählt sie freimütig. Ihr Freundeskreis habe auf ihren Berufswunsch mit „das macht keiner, den ich kenne“ überwiegend recht gelassen reagiert, auch ihre Mutter habe schon immer gewusst, „dass Pauline etwas Soziales macht“, wie die Tochter erzählt.

Eine wichtige Aufgabe bei der Wochenbettbetreuung ist die Gewichtskontrolle der Babys. Pauline Otto nutzt dafür ein weiches Tuch und ...
Eine wichtige Aufgabe bei der Wochenbettbetreuung ist die Gewichtskontrolle der Babys. Pauline Otto nutzt dafür ein weiches Tuch und eine Hängewaage. | Bild: privat

Witzig sei es aber, wenn sie Frauen, die bereits Mütter sind, erzählt, dass sie Hebamme sei. „Die haben dann ein ganz starkes Bedürfnis, mir ihre Geburtsgeschichte zu erzählen“, lacht Pauline Otto. „Da spürt man dann gleich eine echt tolle Offenheit.“ Darum seien Hebammen auch so wichtig. So sei es eine Motivation für ihre Berufswahl gewesen, Frauen in dieser wichtigen Zeit zu stärken. In der Schwangerschaft und nach der Geburt stehe die Frau und ihre Gesundheit im Mittelpunkt. Für sie sei es wichtig, Frauen und Paaren, die Kinder bekommen, zur Seite zu stehen.

Während Ausbildung bei mehr als 40 Geburten dabei

Bei einem ersten unverbindlichen Kennenlerngespräch bietet sie Schwangeren die Möglichkeit, Vertrauen aufzubauen. „Es muss auch menschlich passen“, erklärt die 23-Jährige das besondere Verhältnis zwischen werdender Mutter und Hebamme. Pauline Otto, selbst noch kinderlos, war im Rahmen ihrer dreieinhalbjährigen dualen Ausbildung bei mehr als 40 Geburten dabei. Dabei hat sie die Erfahrung gemacht, dass es die Gebärenden selten interessiert, ob ihre Hebamme selbst Mutter ist. Die werdenden Mütter spürten, dass da jemand ist, der weitaus mehr Erfahrung mit den Vorgängen im Kreißsaal hat als sie selbst. Hausgeburten möchte die frisch gebackene Hebamme jedoch noch nicht anbieten. Risiken könne niemand vorhersehen und in einer Klinik gebe es im Notfall mehr medizinische Hilfen, begründet die 23-Jährige.