Herr Lahl, die Impfaktionen in unserer Region verliefen bislang chaotisch. Oft reichte der Impfstoff nicht aus und Menschen mussten wieder nach Hause geschickt werden. Ist das die Impfstrategie des Landes?

Ich bin froh, dass immer mehr Menschen bereit sind, sich impfen zu lassen. Das beobachten wir im ganzen Land, in Arztpraxen und bei den Mobilen Impfteams: Die Impfquoten gehen hoch. Bei den aktuellen Impfaktionen gibt es sowohl Drittimpfungen, als auch Erst- und Zweitimpfungen. Beides ist sehr wichtig, um die vierte Welle zu stoppen.

Wie viele Drittimpfungen müssen in den nächsten Monaten bewältigt werden?

Im Dezember müssen eine Million Menschen geimpft werden, im Januar zwei Millionen. Das wird der Höhepunkt sein.

Uwe Lahl, Amtschef im Sozialministerium.
Uwe Lahl, Amtschef im Sozialministerium. | Bild: Sebastian Berger

Im Moment wollen sich aber auch noch einige ungeimpfte Bürger impfen lassen. Wieso fehlt bei solchen Impfaktionen dann entsprechend Impfstoff, um die Nachfrage bedienen zu können?

Es gibt genügend Impfstoff. Glücklicherweise konnten wir beim Bund erreichen, dass dieser wöchentlich ausgeliefert wird und deshalb kurzfristig bestellbar ist. Da ist es natürlich bedauerlich, wenn der Ansturm unterschätzt und zu einem Vor-Ort-Termin zu wenig Impfstoff mitgebracht wurde.

Wäre es da nicht sinnvoller, die Impfzentren wieder hochzufahren? Bei solchen Impfaktionen können bestenfalls ein paar hundert Bürger geimpft werden. Sie sagen selbst, dass die größten Impfzentren bis zu 2500 Impfungen pro Tag geschafft haben…

Das Problem mit dem Hochfahren sind die Strukturen. Als Norddeutscher würde ich diese die Zentralen Impfzentren als Dickschiffe bezeichnen: Sie sind so groß, dass sie nur schwer zu manövrieren sind, brauchen lange, bis sie auf Touren sind und haben einen langen Bremsweg. Wenn wir heute das Startsignal geben würden, müssten wir wieder in jedem Landkreis ein Impfzentrum einrichten. Das wäre erst bis Mitte bis Ende Januar möglich. Vielleicht gäbe es einzelne Standorte Landräte, die das schon vor Weihnachten hinbekämen, aber in jedem Fall wäre es deutlich zu spät. Die Probleme wären also noch größer.

Eine medizinische Fachkraft verabreicht im Impfzentrum in der Stadthalle in Biberach an der Riß eine Corona-Impfung. Nachdem der ...
Eine medizinische Fachkraft verabreicht im Impfzentrum in der Stadthalle in Biberach an der Riß eine Corona-Impfung. Nachdem der Landkreis die landesweit höchsten Inzidenzen aufweist, wurde in der Stadthalle ein Impfzentrum eingerichtet. | Bild: Stefan Puchner/dpa

Aber man könnte dann auch mehr Impfungen am Tag schaffen. Wieso wird das nicht trotzdem auf den Weg gebracht?

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass jene, die sich noch nicht impfen ließen, oft Angst haben oder zweifeln. Ein großes Impfzentrum schreckt da eher ab als eine kleine mobile Anlaufstelle im eigenen Rathaus oder auf dem Marktplatz. Hinzu kommt: Wenn man nur ein zentrales Impfzentrum pro Landkreis schaffen würde, würde das gerade in ländlichen Gebieten sehr lange Anfahrtswege bedeuten. Im Frühjahr waren die Impfzentren die richtige Antwort, aber jetzt brauchen wir lokale Impfstützpunkten vor Ort und nah bei den Menschen.

Was ist dann die Lösung?

Unsere Lösung ist, die mobilen Impfteams hochzufahren. Wir wollen zudem ermöglichen, dass die Teams länger an einem Ort bleiben, also über mehrere Tage impfen, und dann weiterziehen. Das müssen die Landkreise und Kommunen vor Ort organisieren. Konzeptionell bleibt es aber so, dass die Krankenhäuser der Hub sind, wo die Impfstoffe verwaltet werden. Sie sind die Organisatoren, die die Logistik und das Personal stellen.

Südbadener Bürgermeister haben einen offenen Brief an den Sozialminister gerichtet und um zusätzliche Impfteams gebeten. Was antworten Sie Ihnen?

Ich antworte: Wir liefern. Derzeit ist noch nicht einmal die Hälfte der Impfteams im Einsatz, die wir geplant haben. Noch in diesem Monat wollen wir die bisher 80 Impfteams um weitere 75 aufstocken. Innerhalb der nächsten zwei Wochen sind alle 155 Impfteams am Start. Pro Landkreis stehen dann im Mittel zwei bis drei Impfteams zur Verfügung.

Wie viele Impfungen können die Teams dann stemmen?

Wenn wir Anfang Dezember soweit sind, können wir mit unser Infrastruktur gut 600.000 Impfungen im Dezember erreichen – zusätzlich zu den Impfungen der Hausärzte.

Und woher soll das Personal für die Teams kommen? Das ist ja schon in den Krankenhäusern knapp.

Wir machen da zum Glück sehr gute Erfahrungen, denn die Hilfsbereitschaft ist groß, es gibt beispielsweise pensionierte Ärzte, die sich als Impfärzte engagieren.

Und die Hausärzte sollen den Rest stemmen? Die sind doch ohnehin überlastet...

Im Sommer haben die niedergelassenen Ärzte in der Spitze bis zu 400.000 Menschen pro Woche in Baden-Württemberg geimpft. Dass eine so hohe Schlagzahl jetzt im Herbst nicht mehr machbar ist, weil mehr Menschen krank werden, liegt auf der Hand. 300.000 bis 400.000 Impfungen können die niedergelassenen Ärzte jetzt monatlich schaffen. Das wäre gerade ausreichend, um die Boosterimpfungen im Dezember zu stemmen, wenn auch alle Patienten kommen.

Und im Januar?

Für den Januar werden wir nachjustieren müssen – mit weiteren mobile Impfteams. Darüber berät die Landesregierung rechtzeitig.

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Welche Alternativen gibt es, um die Boosterimpfung für die Bevölkerung zu gewährleisten?

Niedergelassene Ärzte können auch in Zusammenarbeit mit der Kommune eigene Impfaktionen starten. Die Vergütung für Ärzte hat der Bund aufgestockt, so dass die Impfung unter der Woche mit 28 Euro honoriert wird, am Wochenende mit 36. Wir sind sehr froh, dass der Bund damit eine Forderung von Baden-Württemberg endlich umgesetzt hat. Damit können die niedergelassenen Ärzte sicherlich wirtschaftlich arbeiten.

War es ein Fehler, die Impfzentren zu schließen? Das wäre doch günstiger gewesen, als jetzt unzählige Impfteams durchs Land zu schicken, oder nicht?

Unter Vollauslastung wären sie durchaus kostengünstiger als das, was wir jetzt machen. Aber wir hatten im September nur noch Auslastungen unter 50, teils unter 10 Prozent. Hätten wir die Zentren einfach beibehalten, dann hätten wir trotzdem die laufenden Kosten gehabt. Da kämen wir sehr schnell auf Millionenbeträge. Es war zwingend, die Zentren aufzulösen, sie wurden nicht mehr genutzt. Da standen große Hallen mit hundert Stühlen nahezu leer. Die Entscheidung war also auch im Nachhinein richtig.

Aber Experten warnten doch schon im Sommer vor einer vierten Welle…

Ja, aber auf Basis einer vermuteten Welle können wir nicht solche Beträge vorhalten. Wir haben alle gehofft, dass sie nicht eintritt. Wir waren lange im Dialog über weitere Öffnungen, aber es war schlicht nicht mehr vertretbar, die Menschen weiter einzuschränken. Die Zahlen waren niedrig, wie will man das dann rechtfertigen? Zudem stieg die Impfquote. Jetzt sehen wir Impfdurchbrüche und haben wieder hohe Infektionszahlen.

Ist unter den aktuellen Vorzeichen eine fünfte Welle absehbar?

Vermutlich wird es zu Ostern nächstes Jahr nur Geimpfte, Genesene und Gestorbene geben – also nur noch Immunisierte. Denn zurzeit infizieren sich vor allem Nichtgeimpfte, wir haben ja jetzt schon teils über 1000 Neuinfizierte pro 100.000 Einwohner, das ist im Kern die Durchseuchung der Ungeimpften.