Der Großherzog ist dran schuld. Der frisch vermählte Friedrich I. von Baden wollte seiner norddeutschen Frau Luise etwas zeigen, was es zwischen Berlin und Königsberg nicht gibt. Er brachte die Prinzessin aus dem preußischen Königshaus auf die höchste Erhebung seines Reichs. Das war schon damals der Feldberg – ein Ziel, das im Jahr 1856 nur Waldarbeiter und Wildschütze kannten. Das machte Schule. Dem großherzoglichen Paar eiferte bald viele Badener nach, später kamen Schweizer und Württemberger hinzu. Sie speisten damals im Feldberger Hof, damals noch ein einfaches Landhaus. Das war die Geburtsstunde einer eigentümlichen Form von Tourismus. Der Feldberg ruft, bis heute.
Stress für die Tiere
Er ruft mit steigender Tendenz. 1,5 Millionen Menschen streben den wenig spektakulären Berg jährlich an. Für seine 1492 Meter Höhe ist das eine Erfolgsgeschichte, könnte man meinen. Doch für sensible Tiere bedeutet diese Attraktivität nur Stress. Auch deshalb wurde das Gebiet um die vier Kuppen des Feldberg unter Naturschutz gestellt, 4260 Hektar sind das auf der Gemarkung von sechs Gemeinden (1989). In diesem Schutzraum ist mehr verboten als erlaubt. Seit 30 Jahre gilt das Wegegebot, will sagen: Alle Besucher wandern auf den markierten Pfaden und nicht abseits.
Alle Gebote sind so gut wie ihre Überprüfung. Für diese Erfahrung steht Achim Laber, 56. Der hauptamtliche Naturschutzwart ist so etwas wie der Hausmeister des Feldbergs: Er schaut, dass sich die Besucher an die Regeln halten.
Enzian stechen für den eigenen Garten
Wir treffen uns in seinem Büro, einem Ort der kreativen Vielfachschichtung mit Videokram, ausgestopften Vögeln und einer Kaffeetasse. Doch viel lieber arbeitet Laber im Freien statt am Bildschirm zu sitzen. Draußen erwischt er jene Besucher, die kreuz und quer über das dichte Heidekraut rennen oder einen Enzian stechen, weil der in den eigenen Vorgarten passt.
Laber ist schwer zu übersehen. Der 1,90 Meter große Mann mit dem leicht angegrauten Bart trägt eine Khakibluse mit dem Landeswappen. Das weist ihn als Ranger aus, und das funktioniert erstaunlich gut. Seine Intervention wird respektiert.

Vespern in der Pampa? Geht nicht
Eine Frau hat sich mit Tochter ein schönes Plätzchen abseits des Pfades ausgesucht. Laber geht auf sie zu, er lobt die Aussicht auf das Herzogenhorn. Dann zieht er die Sätze kürzer, er kommt zur Sache. „Sie wissen, dass hier kleine Vögel brüten. Es sind Bodenbrüter, deren Lebensraum Sie stören.“ Er berichtet von der Feldlerche, die in späten Schneezipfeln auf Nachwuchs wartet. Oder der Bergpieper. Unauffällige Genossen, aber empfindlich. Für sie wird der ganze Aufwand getrieben.
Die Frau versteht, das Kind nickt. Eilends packen sie Thermoskanne und Kekse ein und erheben sich. Es ist genug Platz auf dem geräumigen Plateau des Feldberg.
Öko-Diktatur? Es geht um Naturschutz
Mancher einer ärgert sich über das restriktive Öko-Szenario hier oben. „Typisch deutsch“, nuschelt einer. Er trägt Turnschuhe, ist offenbar mit der Gondel auf den Berg gekommen. Der Mann täuscht sich. Die strengen Auflagen wurden erst spät eingeführt. Vorbild waren die Nationalparks in den USA – einem gewiss freiheitlichen Land.
Achim Laber erklärt ausdauernd und mehrfach am Tag, warum die Naturwarte den Leuten ihre Grenzen aufzeigen. „Vor 30 Jahren war die Hochfläche von Wegen durchzogen. Die Erosion war massiv fortgeschritten“. Deshalb wurde damals die Notbremse gezogen. „Wenn alles kreuz und quer rennt, ist das die logische Folge.“
Der Auerhahn macht Sorgen
Noch eine Tierart treibt ihn um: Die Ornithologen zählen immer weniger Auerhühner am mythischen Berg des Schwarzwalds. Auerhahn und Auerhenne machen sich rar, und Laber weiß keine Erklärung dafür. Dabei ist der schwarze Vogel ein Symbol für den Schwarzwald. Als vor einem Jahr zwei betrunkene Männer einen Auerhahn totschlugen, war die Empörung groß.
Die Bergschützer arbeiten ganzjährig. Der Winter ist härter als der Sommer, berichtet er. Nicht wegen Kälte und Schnee, das schreckt den gebürtigen Hinterzartener Laber nicht. Er beobachtet, dass sich die Touristen in diesen Jahreszeiten kräftig unterscheiden. Er macht es an einem Beispiel deutlich: „Nach der Wintersaison sammeln wir vier bis fünf Tonnen Müll auf.“ Im Sommer finden sie fast nichts. Wanderer, Seilbahnfahrer, Selfie-Jäger, eine Handvoll Radler – sie nehmen ihre Verpackungen wieder mit. „Wir haben im Sommer ein ganz anderes Publikum“, lobt er.

Der Winter hat es in sich
Im Winter überziehen bis zu 10.000 Sportler die Hänge. Der Corona-Winter setzte einen drauf, denn die Lifte waren zu. Laber konnte Kolonnen von Tourengängern beobachten, wo sonst Kleingruppen unterwegs waren. Und die Zahl der Schneeschuhgänger habe sich verdreifacht. Diese Naturfreunde mit den halbierten Körben an den Füßen bilden eine spezielle Gruppe. Die Bergwacht barg immer wieder Sportler, die sich verlaufen oder Distanzen unterschätzt hatten, bevor sie einen Notruf absetzten.
Die Herausforderung ist dieselbe: Viele Menschen stürzen sich auf einige wenige Hektar im sonst riesigen Schwarzwald – weil hier die höchste Erhebung steht. Der Mehrheit der Ausflügler reicht die Feldbergrunde. Wer aber Richtung Belchen oder ins Wilhelmer Tal absteigt, ist von einer Minute zur nächsten alleine. Der Feldberg ist weniger Wandergebiet als vielmehr ein punktuelles Ziel. Ego-Plattformen wie Instagram befördern diese Entwicklung noch: Schnell auf den Seebuck, dann Bismarckturm, dann Feldberggipfel. Reicht völlig.

Der Feldberg ist Opfer seiner Bekanntheit
Laber hat nichts gegen die Sozialen Medien. Er nutzt sie selbst für seine Anliegen. Er hat Spaß gefunden an Videos, in denen er halb streng, halb augenzwinkernd erklärt, was am Feldberg geht und was nicht. Aber seinen Berg nur als Hotspot zu nehmen für schnell geschossene Bildchen, das geht ihm doch über die Hutschnur.
Auf 1492 Meter Höhe dämmert folgende Erkenntnis: Der Feldberg, der einst das junge Großherzogspaar bezauberte, ist anders als der übrige Schwarzwald. Die Hochebene mit ihren Kuppen leidet unter ihrer Bekanntheit. Weil alle hinaufwollen und halt nicht auf Kandel oder Hornisgrinde, wird es eng. Zu eng für die vielen Bedürfnisse an Auslauf, Erholung, Individualität, Meditation. Und die Tiere gibt es ja auch noch.

Das höchstgelegene Parkhaus im Land
Die Raumnot zeigt sich krass am Fuß des Berges. Dort liegt der riesige Feldberger Hof. Wo damals die beiden Königlichen Hoheiten nächtigten, baut sich heute eine Bettenburg auf. Die Werbeschildern erinnern an Disneyland. Der Ranger dreht unwillig den Kopf ab, wenn man ihn darauf anspricht. „Wie kann der Gemeinderat das genehmigen?“, fragt er sich noch immer.
Und das achtstöckiges Parkhaus. Der Naturhüter Laber verteidigt den grauen Klotz: „Früher hatten wir das große Chaos.“ Vor allem im Winter waren Parkplatz und Bundesstraße zweireihig zugestellt. Also rang sich die Gemeinde Feldberg zum Bau der grauen Büchse mit 1200 Stellplätzen durch. „Jetzt haben wir nur noch an 15 Tagen zu wenig Kapazität“, sagt Laber. Der Silo für die Autos hat geholfen. Als Visitenkarte für ein Naturereignis irritiert er dennoch.
Ein wenig wie Rust, nur ohne Achterbahn
Ganz wohl ist dem Ranger in dem ganzen Szenario auch nicht. Er und die FSJ‘ler (Freiwilliges soziales Jahr) sowie die Ehrenamtlichen verscheuchen biedere Wanderer, die einige Meter neben der Spur gehen. Um den Parkplatz herum macht sich ein Drei-Sterne-Tourismus breit, der noch weniger ökologisch daherkommt: Mit dem Auto anfahren, mit der Seilbahn nach oben, mit den Füßen zum Gipfel, dann retour. „Das ist ja wie im Europapark Rust, Herr Laber“? Er widerspricht nicht. Bekannte fragen ihn, wie er es in diesem Affenzirkus aushält.

Weiß es selbst nicht. Fest steht, dass er seine Arbeit liebt. Einige Meter vor uns geht ein Ehepaar, der Hund trabt deutlich im Abseits. Sie werden freundlich informiert. „Ach, die Vögel brüten am Boden“, entfährt es der Frau. Schnell kommt die gutmütige Lilli an die Leine. Gleiches Recht für alle Hunde. Das Ehepaar bedankt sich, der Hund schaut bekümmert, der Ranger zieht weiter. So geht das alle Tage.
Und wo entspannt sich ein Feldberg-Sheriff? Achim Laber lacht breit und sagt im feinsten Alemannisch: „Am Zweribach im Simonswäldertal. Do isch ruhiger.“
Vier kuriose Fakten um den Feldberg
Seltenes Amt: Achim Laber ist der einzige Ranger (Naturschutzwart) am Feldberg. Zwei weitere arbeiten im Wiesental. Auch im neuen Nationalpark am Ruhestein werden Ranger eingesetzt.
Ein Name, drei Gipfel: Der Feldberg hat eigentlich drei erhöhte Kuppen, jede mit eigenem Namen: Seebuck (mit Seilbahn), Baldenweger Buck sowie Feldberggipfel.
Bußgeld: Die Hinweise des Feldhüters sind verbindlich. Wenn jemand nicht Folge leistet, kann er Bußgelder verhängen.
Badeverbot: Ein Bad im Feldsee – wie verlockend. Doch ist das Baden seit 20 Jahren verboten, auch um das seltene Brachsenkraut am Seegrund zu schützen. Der Feldsee liegt 380 Meter tiefer als der Feldberg und ist über einen 12 Kilometer langen Rundweg zu erreichen. (uli)