Jörg Schurig, dpa und Alexander Michel

„Dresden war jetzt wie der Mond, nichts als Mineralien“, schrieb der US-Schriftsteller Kurt Vonnegut in seinem Buch „Schlachthof 5“. Als Kriegsgefangener hatte er im Februar 1945 die Luftangriffe auf die Stadt miterlebt. Dresden sei eine einzige Flamme gewesen, beschrieb er den Feuersturm. Im englischsprachigen Raum gilt der Begriff „Like Dresden“ als Synonym für ein Feuer mit immenser Zerstörung.

Zahlen des Grauens

Vor dem Jahrestag der Zerstörung der Stadt vor 75 Jahren in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 trifft sich Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) mit Zehntklässlern einer Schule. Es geht um Zahlen, die Grauen verbreiten: Hunderte von britischen Bombern griffen die praktisch schutzlose Stadt mit Spreng- und Brandbomben an.

Ein viermotoriger britischer Lancaster-Bomber beim Abwurf von Brandbomben auf eine Großstadt.
Ein viermotoriger britischer Lancaster-Bomber beim Abwurf von Brandbomben auf eine Großstadt. | Bild: Imperial War Museum

In zwei Angriffswellen der Royal Air Force wurde die Innenstadt in ein Flammen-Inferno verwandelt. Am 14. und am 15. Februar zog die US-Luftwaffe tagsüber nach. Bei den Angriffen kamen bis zu 25 000 Menschen um Leben. Der Feuersturm brannte tausende von Häusern nieder und verwandelte weltberühmte Barockbauten in Ruinen, darunter Wahrzeichen der Stadt wie die Frauenkirche, das Stadtschloss, die Semperoper und die Schloss-Anlage des Zwinger.

Zwei Ansichten der Dresdner Frauenkirche mit dem Denkmal von Martin Luther: Links 1971 als Ruine und Mahnmal, rechts nach dem ...
Zwei Ansichten der Dresdner Frauenkirche mit dem Denkmal von Martin Luther: Links 1971 als Ruine und Mahnmal, rechts nach dem Wiederaufbau 2005. | Bild: Matthias Hiekel/dpa

Die Schüler um den Bürgermeister wirken zunächst sprachlos, aber nicht, weil es um die Dimensionen der Bombardements geht. Sie wissen einfach zu wenig darüber. Ein Junge berichtet, dass seine Großeltern nie etwas über diese Zeit erzählt hätten.

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Dirk Hilbert sagt, dass die Augenzeugen der Angriffe nach und nach sterben. „Wenn solch ein schreckliches Ereignis so lange zurückliegt, wie kann man die Erinnerung daran festhalten?“, fragt er die Schüler – und ein bisschen auch sich selbst. Denn seit Rechtsextreme das Datum für ihre Zwecke missbrauchen, ringt die Stadt um die richtige Form des Erinnerns.

Kampf um die Deutungshoheit

Um Dresdens Zerstörung tobt seit langem ein Kampf um die Deutungshoheit. Er dreht sich um Opferzahlen, angebliche Angriffe von Tieffliegern und letztlich darum, ob die Alliierten in Dresden ein Kriegsverbrechen begingen. „Es gibt Völkerrechtler, die diese Frage bejahen. Man muss das aber mit einem großen Aber versehen“, sagt der Historiker Jens Wehner, Kurator am Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden.

Jens Wehner, Kurator im Militärhistorischen Museum Dresden, sagt, Dresden tauge nicht zur Umdeutung des Krieges.
Jens Wehner, Kurator im Militärhistorischen Museum Dresden, sagt, Dresden tauge nicht zur Umdeutung des Krieges. | Bild: Rober Michael/dpa

Die Bombardierung der Stadt war laut Wehner „kein singuläres Ereignis“ im Kriegsgeschehen. Es sei ein „normaler“ Angriff mit einer ungeheuren Wirkung gewesen. Deshalb hätten auch viele Wissenschaftler darüber geforscht und publiziert: „In Tokio sind bei einem US-Angriff etwa 100 000 Menschen ums Leben gekommen. Beispiellos waren auch Hiroshima und Nagasaki.“

Die Luftangriffe über Deutschland im Zweiten Weltkrieg forderten 600 000 Menschenleben. Tote gab es nicht nur in den großen Städten, sondern auch in kleinen Gemeinden und Dörfern Südbadens:

„Wenn Dresden ein Kriegsverbrechen war“, so Wehner, „dann waren das auch viele andere Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg – ob von Deutschen oder Alliierten begangen.“ Dresden tauge nicht zur Umdeutung des Krieges. Es gebe auch keine Belege dafür, dass US-Tiefflieger hier Jagd auf Menschen gemacht hätten. Möglicherweise seien aber bei Luftkämpfen zwischen deutschen und amerikanischen Jägern am 14. Februar Salven bis zum Boden gelangt.

Nachtjäger am Boden

Wehner zufolge war Dresden im Februar 1945 kaum auf Luftangriffe vorbereitet. „Es gab so gut wie keine Luftverteidigungskraft. Auf dem Flughafen standen ein paar Nachtjäger, die unter Spritmangel litten. Die meisten Flugabwehrgeschütze waren abgezogen.“ Die Bevölkerung habe geglaubt, dass Dresden als legendäre Kulturstadt verschont bliebe. Ein Trugschluss.

Eine Frau geht nach Kriegsende in einer Straße in Dresden an Häusern vorbei, von denen nach dem Bombenangriff am 13./14. Februar 1945 ...
Eine Frau geht nach Kriegsende in einer Straße in Dresden an Häusern vorbei, von denen nach dem Bombenangriff am 13./14. Februar 1945 nur noch ausgeglühte Ruinen geblieben sind. | Bild: dpa

Obwohl der Krieg im Februar 1945 längst verloren war und die Alliierten im Begriff waren, auf Reichsgebiet vorzudringen, schlachtete die Nazi-Propaganda die Zerstörung Dresdens für ihre Endsieg-Lüge aus. Die Opfer-Zahlen wurden kurzerhand nach oben frisiert. Während die Behörden nach Bergung der Leichen damals von 18 000 bis 25 000 Toten ausgingen – was eine Historikerkommission 2010 bestätigte – fügte das NS-Regime als Beleg für ein angebliches alliiertes Kriegsverbrechen eine Null dazu.

Die Lüge von den 200 000 Toten

„Im März 1945 wies das Auswärtige Amt die Gesandtschaften im neutralen Ausland an, Opferzahlen von bis zu 200 000 Toten zu verwenden“, heißt es im Kommissionsbericht. Für jene Rechten, die die Geschichte umschreiben wollen, ist die phantasierte Opferzahl noch heute verbindlich.

„Für uns ist es eine Katastrophe, dass wir gerne Wallfahrtsort sind“, sagt Bürgermeister Hilbert.

Tritt rechten Halbwahrheiten entgegen: Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert.
Tritt rechten Halbwahrheiten entgegen: Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert. | Bild: Sebastian Kahnert/dpa

In der DDR wurden die falschen Opferzahlen ebenfalls instrumentalisiert. Ostberlin nutzte das Datum als Beleg für „anglo-amerikanischen Terror“, sagt der Dresdner Historiker Johannes Schütz. Erst in den 1980er Jahren änderte sich das. Staats- und Parteichef Erich Honecker hatte am 13. Februar 1985 zur Wiedereröffnung der Semperoper gesagt, dass der Krieg, der von Berlin ausging, seinerzeit nach Dresden zurückkehrte.

Warum auch Dresden?

Die kritische Sicht auf den Mythos von der „unschuldigen Stadt“ hat sich in den vergangenen Jahren gefestigt. Experten hatten die „Unschuld“ stets bezweifelt und Gründe für ein Bombardement gesehen. Denn Dresden war damals ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt und Standort von Rüstungswerken. „In Dresden wurden Waffen für den Krieg gefertigt und Zwangsarbeiter in Lagern gehalten. Das alles geschah nicht versteckt und heimlich. Es war für jeden sichtbar“, sagte Hilberts Vorgängerin Helma Orosz (CDU) 2014.