Tragödie und "Druschba" (Freundschaft) waren die Worte, die bei den Gedenkveranstaltungen zum 15. Jahrestag des Flugzeugabsturzes vom 1. Juli 2002 ständig in der Luft lagen. "Der Himmel weint", sagte Jürgen Rädler im Regen kurz vor Mitternacht – zur damaligen Absturzzeit – an der Gedenkstätte vor Hinterbliebenen aus Baschkortostan und Weißrussland, die hier 71 Absturzopfer, darunter 45 Kinder, beklagten. Nicht nur deren Namen verlasen wie auch in allen Jahren zuvor Katharina Dahlinger und Irina Petschalina vom Freundeskreis "Brücke nach Ufa", stets wird mit dem 72. Namen dem gut eineinhalb Jahre nach der Katastrophe ermordeten dänischen Fluglotsen gedacht. Nach jedem Namen stieg ein weißer Luftballon in den Nachthimmel auf.
Beim Empfang des Landes Baden-Württemberg hatte Staatsminister Klaus-Peter Murawski die Katastrophe am Himmel über dem Bodensee noch einmal in Erinnerung gerufen, bei der wie durch eine Wunder am Boden niemand zu Schaden gekommen sei. Auch nicht am Ort dieser Begegnung, der Camphill Schulgemeinschaft Brachenreuthe, die nur knapp den großen Trümmern entging.
"Wir können das furchtbare Geschehen nicht rückgängig machen", betonte Murawski: "Doch mit unserem Gedenken dazu beitragen, dass die Opfer nicht in Vergessenheit geraten." Eine ganze Region habe damals unter Schock gestanden. "Die Zeit heilt alle Wunden", sage man gerne: "Doch die seelischen Narben kann sie nicht verdecken." Die Tragödie habe Konsequenzen für die grenzübergreifende Flugsicherung gehabt, erklärte Minister Murawski und bekräftigte, dass diese in Deutschland auf keinen Fall privatisiert werden dürfe. Die Sicherheit und das Wohl der Mensch sei die vorrangigste Aufgabe des Staates.
"Mit wundem Herzen" spreche er hier, sagte Überlingens Oberbürgermeister Jan Zeitler. Viele Menschen, ja viele Kinder seien hier aus ihren Träumen gerissen worden. Den Schmerz der Hinterbliebenen könne man "nicht ermessen und nicht mildern", sagte Zeitler: "Doch wir wissen, dass unsere Anteilnahme ein wichtiger Trost ist."
"Wir wollen Sie mit unserer Anwesenheit nicht stören", entschuldigte sich Sulfat Chammatov: "Doch das Schicksal hat uns für ewig verbunden." Der Sprecher der Hinterbliebenen dankte für die Anteilnahme des Landes und der Region am Schicksal der Angehörigen und sprach gegenüber dem Staatsminister eine offizielle Einladung seiner Regierung an Ministerpräsident Winfried Kretschmann nach Baschkortostan aus. Dem Staatsminister, dem Oberbürgermeister und den anderen Unterstützern überreicht er einen geschnitzten Honigbären. Frischen Honig gebe es erst in den kommenden Wochen und daher werde nachgereicht. Wie die sibirischen Zirbelkiefern, für die er Jan Zeitler quasi eine zertifizierte Schenkungsurkunde überreichte.
Unterstützt worden war die Vorbereitung vom deutschen Honorarkonsul der russischen Föderation in Baden-Württemberg, dem ehemaligen Wirtschaftsmanager Klaus Mangold. Den Vorsitzenden des Vereins "Brücke nach Ufa", Jürgen Rädler und Nadja Wintermeyer, bekundete er am Ende seinen großen Respekt. "Sie haben hier Tolles geleistet. Bitte machen Sie weiter."
Freude über die Anteilnahme
Zum ersten Mal überhaupt am Ort des tragischen Geschehens ist Bildungsministerin Gulnaz Shafikova, die beim Absturz einen jungen Neffen im Alter von 13 Jahren verloren hat. "Ich hatte das zuvor einfach nicht geschafft", sagt sie sichtlich bewegt. Sie freue sich allerdings sehr über die Ehrlichkeit und die aufrichtige Anteilnahme der Menschen am Bodensee, betont sie. "Man spürt, dass das von Herzen kommt." In ihrer Ansprache nannte Shafikova die Begegnung und dieses Zusammensein ein "Symbol des Friedens".
Nach 15 Jahren noch immer im Einsatz
Svetlana Reutener aus Zürich gehörte als Psychologin vor 15 Jahren zu den ersten, die die Angehörigen in Empfang nahm und Gespräche mit ihnen führten. "Wir haben sie damals am Flugzeug abgeholt", sagt sie. Bis heute ist sie ihnen eng verbunden und noch immer bewegt von ihren damaligen Erfahrungen. Sie war in den letzten Jahren immer wieder an der Gedenkstätte. Auch jetzt holte sie eine Gruppe am Flughafen ab, machte mit ihnen eine Stadtrundfahrt durch Zürich und begleitete sie zu einem Gespräch bei Skyguide.
Bis heute schmerzt der Verlust von Tochter Elena
Auch nach 15 Jahren noch untröstlich sind Irik Basyrov und seine Frau Vera, deren Tochter Elena beim Flugzeugabsturz in Überlingen ums Leben kam. Als Lehrerin begleitete die damals 29-Jährige die begabten Kinder auf dem Weg nach Spanien. Mit der zweiten Tochter Diana und deren Mann Ildar Kaimov, die heute in Krefeld leben, sind die beiden nun wieder einmal an den Ort der Katastrophe gekommen. Will man ihnen die Frage übersetzen lassen, wie es ihnen heute in dieser Situation geht und wie sie damit leben, scheut sich der Schwiegersohn dies zu übersetzen. "Ich möchte ihnen diese Frage gar nicht stellen", sagt er und entschuldigt sich: "Aber sie leiden bis heute sehr darunter." Dies ist den beiden durchaus anzusehen, als mit gefalteten Händen fast regungslos die Ansprachen verfolgen. Ein kleiner Trost kann allenfalls die kleine fröhliche Enkeltochter sein, die sich über den Besuch der Großeltern aus Ufa ganz besonders freut und die ihnen hin und wieder ein kleines Lächeln ins Gesicht zaubert.