Der Geist des Wörishofener Pfarrers und Arztes Sebastian Kneipp wehte schon Ende des 19. Jahrhunderts erstmals durch Überlingen. Er hinterließ damals einen Funken, der in den folgenden Jahrzehnten immer wieder aufflackerte, aber auch zu verlöschen drohte. Nägel mit Köpfen machte Mitte der 1950er Jahre der damalige Bürgermeister Anton Wilhelm Schelle, der nach dem Zuzug von Otto Buchinger die Chancen als Gesundheitsstadt zu erkennen glaubte und das Prädikat "Kneippheilbad" beantragte. Bis heute ist Überlingen im Ländle der einzige Spieler auf dieser Klaviatur. Doch auch nach dem 50. Jubiläum 2005, dem 60. Jahrestag im Vorjahr und den dazwischen angesiedelten internationalen Kneipp-Aktionstagen kämpft der Verein nach wie vor damit, die besondere Qualität der vielseitigen Konzepte bewusst zu machen.
Seit mehr als 40 Jahren ist Karl Fussnegger, der bald 80 Jahre alt wird, Mitglied des Kneippvereins und bisher noch immer als Beisitzer im Vorstand aktiv. Kein Wunder: Über ein Jahrzehnt war der gelernte Werkzeugmacher und spätere Abteilungsleiter im Bodenseewerk verantwortlicher Wanderführer der großen Überlinger Kneippfamilie, die mehr als 300 Mitglieder hat. Erstaunt ist beim ersten Hinschauen Karl Fussnegger wie viele seiner aktuellen Mitstreiter, dass Kneipp auf der einen Seite als altbacken und verstaubt betrachtet wird, der Begriff aber offensichtlich doch auch für eine besondere Gesundheitsqualität steht. "In den Kosmetikregalen der Supermärkte ist 'Kneipp' schon zu einer Marke geworden, die für gesunde Pflege steht und von vielen gekauft wird", hat der Überlinger beobachtet: "Ja, hier wird der Begriff assoziiert mit einer naturgemäßen Pflege und gilt für viele als Indiz für hohe Qualität."

Doch wenn sonst das Gespräch auf das Thema Kneipp komme, ernte man bei vielen ein müdes Grinsen. Das Image des Konzepts, das auf fünf modernen Säulen – von der gesunden Ernährung bis zur seelischen Balance – fußt, ist längst nicht so gut wie die Inhalte und lässt sich nur mühsam aufpeppen.
Doch ganz so verwundert dürfte Fussnegger über die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit nicht sein. Denn auch er selbst freundete sich erst in einigermaßen fortgeschrittenem Alter mit den Ideen des Pfarrers und Gesundheitsapostels an. Ob er sich noch an die Anfänge der Kneippbewegung mit der Verleihung des Prädikats Kneippheilbad erinnere, winkt Karl Fussnegger ab. "Davon weiß ich nichts mehr", sagt er. "Auch für mich als junger Mensch war Kneipp damals etwas Verstaubtes für ältere Menschen." Inzwischen ist er selbst einer und verdankt Kneipp und der regelmäßigen Bewegung wohl einen Gutteil seiner Fitness. Fussnegger trauert auch dem Verlust des Felsenbades im westlichen Stadtgarten nach, das aus Sicherheitsgründen geschlossen und inzwischen zugemauert wurde. "Da hätte man doch die Decke im Molassefels irgendwie sichern können", glaubt er. Dafür darf sich der Kneipp-Jünger bald auf ein neues Becken im Kurgarten freuen.

Es ist an der Zeit, dass die Idee wieder stärker sichtbar und in der Stadt präsenter wird. Nur noch zwei Kneipp-Becken sind im Moment vorhanden. Dabei hat der Verein gemeinsam mit der Stadt erst 2011 einen großen Schub zu geben versucht, als Überlingen sich mit einem neuen Weltrekord im Wassertreten am Westbadufer zumindest vorübergehend im Guinnessbuch der Rekorde verewigen konnte. 2664 Beine aus nah und fern harrten im Mai über 90 Sekunden bei kühlen 16 Grad im flachen Seewasser aus – stehend oder im Storchengang tretend.
Das Alleinstellungsmerkmal als einziges prädikatisiertes Kneippheilbad in Baden-Württemberg kann und will die Gesundheitsstadt noch stärker nutzen. Dazu bedarf es unter anderem einer Entlastung der Innenstadt vom Verkehr und einer Verbesserung der Luftqualität. In den Köpfen versucht Überlingen die Ideen Kneipps schon besser zu verankern. Die Vorsitzende Heidi Thies, die inzwischen auch Landesvorsitzende des Kneipp-Bunds und auf Bundesebene aktiv ist, hat die Kindertagesstätten dazu animiert, sich als Kneipp-Kindergarten zertifizieren zu lassen. Nach dem Kinderhaus am Burgberg gelang dies vor Kurzem auch dem Rosa-Wieland-Kinderhaus in Nußdorf als inzwischen 400. Kneipp-Kindergarten in Deutschland.
Für den Nußdorfer Nachwuchs sind die Voraussetzungen geradezu ideal. Mit dem eigenen Seeufer haben sie nicht nur das größte Tretbecken vor der Nase, in dem sie unter Aufsicht die Kneippschen Wassererfahrungen machen können. Sie können auch hautnah die weiteren Säulen des Konzepts erproben. Denn das Kinderhaus hat einen eigenen Kräutergarten angelegt. Das ganzheitliche Konzept nannte Heidi Thies nicht nur eine Quelle der Harmonie, sondern auch einen Gegenpol zur Reizüberflutung. Selbstfürsorge, Selbstwirksamkeit und soziale Gemeinschaft seien dafür wichtige Elemente. Bei alledem dürfe man jedoch nicht vergessen: "Kneipp macht Spaß."
Große kribbeln nach kühlem Guss
- Kaltes Wasser wirkt so gut wie Koffein. Doch ist es wesentlich gesünder. Das wissen wir spätestens seit Pfarrer Sebastian Kneipp, der in Bad Wörishofen Ende des 19. Jahrhundert seine Lehre begründete. Dass das große Kribbeln nach einem kühlen Guss oder einem Gang durch das Tretbecken für den Kreislauf besser ist als jede Tasse Kaffee, betont auch der Überlinger Kneipp-Bademeisters Michael Röther. "Doch nie mit kaltem Körper in kaltes Wasser", warnt er. Auch wer einen Infekt mit sich herumträgt, sollte sein Immunsystem nicht noch mehr strapazieren. In einem gesunden, aufgewärmten Körper kann der Kältereiz nur Positives bewirken.
- Kneippkuren haben in Überlingen eine lange Tradition. Mehr als 60 Jahre ist es her, dass die Stadt als erste und bislang einzige in Baden-Württemberg das Prädikat Kneippheilbad erhielt.