Ohne die Revolution 1918/1919 keine Angela Merkel, keine Annegret Kramp-Karrenbauer, aber auch keine Margot Honecker. Unspektakulär, ja fast unbemerkt führte der Rat der Volksbeauftragten in Berlin im Oktober 1918 das Frauenwahlrecht ein.

Während die Soldaten nach an der Front standen und auf die Kapitulation warteten, wurde im Deutschen Reich bereits die Zeit nach dem Krieg vorbereitet. Als die geschlagenen Väter und Söhne die Heimat wiedersahen, hatte sich vieles verändert. Ab sofort war Damenwahl angesagt, aktiv wie auch passiv.

Baden stand an vorderster Stelle

Baden, damals gerade noch Großherzogtum, stand bei dieser Entwicklung an vorderster Stelle. Die Frauen auch im Südwesten durften bis 1918 nicht wählen. Doch konnten sie sich organisieren und – auch ohne Schlepptau ihrer Mannsbilder – zusammentun. Die Frauenvereine schossen in Baden im Kaiserreich regelrecht aus dem Boden. Dort wurde gehäkelt, gekocht, gelesen und diskutiert.

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Früher als in anderen Fürstentümern durften Abiturientinnen im Großherzogtum studieren. Seit 1900 konnten sie sich in Freiburg, Heidelberg oder Karlsruhe einschreiben. Die akademische Laufbahn und damit der Zugang zu Spitzenpositionen konnte dem als schwach geltenden Geschlecht nicht länger verwehrt werden. Zaghafte Reformen Richtung Geschlechtergerechtigkeit begannen also bereits im Kaiserreich.

Auch Marianne Weber (1870-1954) hatte ihre politische Heimat in den Frauenvereinen. Aufmerksam verfolgte sie die Entwicklungen, die sich besonders in England auftaten: Dort strömten Frauen aus allen Schichten auf die Straßen, um für jene Rechte zu demonstrieren, die ihnen von Männern vorenthalten wurden, wie sie sagten.

Frauen stellten 9,6 Prozent der Abgeordneten im Jahr 1919

Die unerschrockene Arbeit der Suffragetten schlug auch auf den Kontinent durch – mit dem Unterschied freilich, dass in Ländern wie Deutschland oder Österreich das gleiche Wahlrecht früher eingeführt wurde als auf britischem Boden. Die militärische Niederlage des Kaiserreichs und seiner Verbündeten kam auch politisch einem Nullpunkt gleich – ideale Voraussetzung für die Emanzipation immerhin der Hälfte der Bevölkerung.

Marianne Weber gehört zu den badischen Frauen, die am 5. Januar 1919 in den ersten Landtag in Karlsruhe gewählt werden. Sie war nicht die einzige. Frauen stellten 9,6 Prozent der Abgeordneten im Jahr 1919. Dieser Anteil wurde erst wieder nach der Bundestagswahl 1983 erreicht.

Als erste weibliche Abgeordnete überhaupt sprach Weber in einem deutschen Parlament. In dieser historischen Stunde sagte sie unter anderem, „dass wir Frauen besser auf diese Aufgabe vorbereitet sind, als vielleicht die meisten von Ihnen glauben.“

Der Satz lässt tief blicken. Denn viele Männer und auch Ehemänner trauten den Frauen eine vernünftige Wahl nicht zu, geschweige denn die aktive und vernünftige Teilnahme am politischen Leben. Selbst den meisten Frauen war Politik damals etwas Fremdes, ja Anmaßendes.

Auch die Kirchen waren zurückhaltend

Auf dem Land galt die seit Jahrhunderten eingeübte Regel, dass die Frau vor allem als Hausfrau und Mutter zu wirken habe, frei nach dem Merkvers der berühmten drei „K“: Kinder, Küche, Kirche.“ Aber im Parlament und am Rednerpult? Marianne Weber und ihre Kolleginnen waren Vorhut. Die Masse ihrer Genossinnen dachte anders.

Auch die Kirchen waren anfangs äußerst zurückhaltend. Dagegen waren die Zeitungen von Anfang an auf Seiten der neuen Bewegung. In der „Konstanzer Zeitung“ wirbt die liberale DDP (Deutsche Demokratische Partei) dafür, dass die Frauen ihr Recht nützen und an die Urne gehen. Das sei „heiligste Pflicht“, heißt es in dem Artikel vom 28. Dezember 1918. Erst das Wahlrecht mache sie zu „Vollbürgerinnen“, und das zu nutzen sei nun einmal ihre patriotische Pflicht.

Auch in Baden gründen sich in der Folge neuartige Frauenstimmrechts-Vereine. Ihr ausschließlicher Zweck: Sie wollten „die Frau als vollberechtigte Staatsbürgerin“ in Erinnerung bringen und möglichst viele Wählerinnen in die Wahllokale ziehen.

Hartnäckiger Widerstand bis zur völligen Gleichstellung

In der „Konstanzer Zeitung“ vom 24. Dezember 1918 lädt der Verein mit folgenden Worten ein: „Frauen und Mädchen aller Bevölkerungsschichten und aller Geistesrichtungen werden zahlreich erwartet.“ Um möglichen Unmut zu dämpfen, heißt es am Ende vielsagend: „Auch Männer sind willkommen.“

Das mit dem Einbinden der Männer war gar nicht so einfach. Der Widerstand bis zur völligen Gleichstellung war und ist hartnäckig geblieben. Beispiele: Ohne Zustimmung des Mannes durften Frauen kein eigenes Bankkonto eröffnen. Diese Regelung galt noch bis 1962.

Und erst nach 1969 sah das deutsche Recht eine verheiratete Frau als geschäftsfähig an. 1977 schließlich fällt die letzte große Hürde: Erst ab diesem Jahr darf sich eine Frau in eigener Regie bewerben und einen Arbeitsvertrag unterzeichnen. Davor musste sie ihren Ehemann fragen, ob sie arbeiten gehen darf. Und er konnte ihr tatsächlich das Arbeiten verbieten. Das ist noch gar nicht so lange her.