Günter Salzmann

Deutschland befand sich 1954 im Wiederaufbau. Die Menschen mussten mit bescheidenem Einkommen viel tun, um ihr Leben zu meistern. Konrad Adenauer war Bundeskanzler. Auto, Fernseher und Kühlschrank waren Luxusartikel. Kurzum: Wohlstand war damals ein Fremdwort.

Ein Fernseher in einer Gaststätte

Der kleine Zeitspiegel lässt ahnen, wie es um das Selbstbewusstsein im Nachkriegs-Deutschland stand. Und dann kam die Fußball-WM in der Schweiz, die vielen Zeitgenossen unvergesslich bleibt. Auch dem damals 15-jährigen Udo Gabele aus Waldshut, der als Fußballer und Trainer ein Begriff in der Region ist. Gabele erinnert sich: „Meine Mutter war damals Bedienung im „Gasthaus Lamm“ in Waldshut, wo ein Fernseher stand. Natürlich war bei den Spielen der deutschen Mannschaft das Lokal gerammelt voll und man musste schon rechtzeitig da sein, um einen ordentlichen Platz zu haben.“

Und dann kam der 4. Juli, Tag der Entscheidung.

„Ich ging schon morgens um 9.30 Uhr mit meiner Mutter ins Lamm, sicherte mir den besten Platz direkt vor dem Bildschirm“, erinnert sich der in Dogern wohnhafte Gabele, der diesen Platz bis um 17 Uhr zu verteidigen hatte. Entsetzt musste er mit ansehen, dass es nach neun Minuten schon 2:0 für die Ungarn stand. „Hoffentlich kriegen wir nicht wieder eine Packung, wie beim 3:8 in Basel, ging es mir durch den Kopf“, erinnert sich der frühere Verwaltungsangestellte der Stadt Waldshut-Tiengen. Dann aber erzielte Max Morlock den 1:2- Anschluss. „Jetzt war die Hölle los und als Helmut Rahn nach 18 Minuten nach einer Fritz Walter-Ecke den Ausgleich markierte, kannte der Jubel keine Grenzen mehr.“

Gabele weiter: „Keinen störte es, dass Rauchschwaden die Sicht erschwerten, meine Mutter keinen Weg fand, um die Getränke an den Mann zu bringen. Die Nerven flatterten, alle starrten gebannt auf den Bildschirm“.

Udo Gabele
Udo Gabele | Bild: Scheibengruber, Matthias

Dann die zweite Halbzeit. Die Ungarn waren spielerisch besser, doch die deutsche Mannschaft hielt dagegen, kämpfte bis zum Umfallen. Dann die 84. Minute. Boss Helmut Rahn erzielte das 3:2. „Alle lagen sich in den Armen, freuten sich und zitterten bis zum Schlusspfiff. Endlich war das Spiel aus – Deutschland war Weltmeister. Die Sensation war perfekt, die Stimmung und der Jubel im Lokal waren unbeschreiblich“, erinnert sich Gabele an den freien Lauf der Emotionen.

„Ich habe dieses Endspiel in mich rein gezogen und es wird meinen Körper nicht mehr verlassen. Wir lagen uns nach dem Schlusspfiff in den Armen, zum Teil waren es wildfremde Menschen, die sich umarmten. Und als dann die deutsche Hymne gespielt wurde, sind alle im Lokal aufgestanden und haben mitgesungen. Einigen alten „Schlachtrössern“, die den Zweiten Weltkrieg als Soldat mitmachten, liefen die Freudentränen über die Wangen. Auch mir kamen die Tränen...“