Bermatingen Man muss schon Superlative bemühen, um die Historische Dorfbelebung des Seehaufens zum Gedenken an 500 Jahre Bauernaufstand zu beschreiben: Sehr viele Bermatinger und Auswärtige kamen am Wochenende zu einem fantastischen zweitägigen Fest für alle. Mit Kanonendonner wurde es eröffnet, mit gelebter Historie furios fortgeführt.
Hauptmann Tobias Raeder als damaliger Anführer Eitelhans Ziegelmüller schwor den Seehaufen – Bauern, Knechte und Marketenderinnen – auf eine geschlossene Gemeinschaft für die Durchsetzung von Freiheit, Gleichheit und Rechte ein. In und um den Kehlhof, der Schaltzentrale der Bauernaufstände in der Bodenseeregion, hatten sich im Jahre 1525 rund 8000 Bauern für den Aufstand versammelt. Die historische Bedeutung wurde auch von Schirmherr Martin Rupp unterstrichen. Der Bauernkrieg habe spätere Revolutionen in ganz Europa inspiriert und wirke bis heute nach. „Der Blick auf 2024/25 eröffnet Perspektiven von geradezu erstaunlicher Aktualität“, sagte der Bermatinger Bürgermeister.
Danach wuselten die Besucher über Innenhof und Garten der historischen Stätte, durch Haus und Scheune. Wie damals gelebt und gearbeitet wurde, vermittelten auch befreundete Gruppen anschaulich: An manchen Ständen durfte man mit anpacken, Kerzen gießen, Schwarzpulver mörsern, Amulette aus Speckstein schnitzen oder am Waffenstand Schwerter und Langstangen ausprobieren. Es gab viel zu staunen: Die Fertigung eines 17 Kilogramm schweren Kettenhemdes mit tausenden Eisen-Kreisen dauerte mindestens einen Winter. Voll ausgestattet, musste ein Landsknecht 45 Kilo mit sich herumtragen. Atmosphärisch war das Lager, an dem in Kesseln das Gulasch schmorte. „Das Lagerlebenflair ist schön“, sagte Silke Uhl, eine von fünf Helfern des DRK Markdorf.
Schlange standen die Kinder, um Seile zu drehen, und die Erwachsenen an Getränke- und Essensausgabe: Der Turnverein offerierte Kaffee und Kuchen, der Musikverein Bermatingen Käsespätzle sowie Würstchen und Norman Gretsch seine Holzofen-Dinnele. Gedränge herrschte im Wohngebäude: Dort freute sich Seehaufen-Hauptmann Raeder über das große Interesse an der Historie, ein besonderes Anliegen des Seehaufens: Die Dorfbelebung sollte kein Kirmes-Event sein, sondern das damalige Leben zeigen. Das gelang hervorragend und kam bei den Besuchern bestens an. Immens spannend fand Irma Warth aus Immenstaad, wie die Bauern ihre Rechte eingefordert hatten. „Alles ist sehr schön und aufwändig gestaltet, auch die historische Kleidung“, begeisterten sich Christtraude und Gerd Horwarth aus Bermatingen. Fasziniert waren sie und viele andere von der atemberaubenden abendlichen Feuerschau der Schwarzen Bruderschaft, musikalisch begleitet vom Rotwelschen Haufen.
Selbst schuld war, wer anderntags den Gottesdienst mit den Historischen Gruppen verpasste. „Glauben war auch die Triebfeder für den Bauernaufstand“, erklärte Pfarrer Ulrich Hund. Das war eher durch einen Irrtum zustande gekommen, klärte Tobias Raeder auf: Luthers These „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan“ hatte er auf den freien Glauben und seine Beziehung zu Gott bezogen; die Bauern jedoch interpretierten sie anders, und das seit Jahrzehnten schwelende Feuer der Unzufriedenheit entflammte 1525 endgültig. Wie dem auch sei: „Heute genießen wir die nicht selbstverständliche Freiheit, die erkämpft wurde und wieder verloren gehen kann“, so Raeder. Mit Pfarrer Hund war er sich einig, sich dort einzubringen, wo diese Freiheit fehle.
Gänsehaut verursachten nicht nur die lang beklatschten Reden Raeders, sondern auch die extra einstudierten Lieder des Kirchenchors mit Diana Scherers gesungenem „Panis angelicus“ und der Erkenntnis: Bermatingen ist ein historischer Ort, von dem die erste demokratische Bewegung hierzulande ausging. „Das Handeln der Hauptleute des Seehaufens hat dabei vermutlich mehrere tausend Menschenleben gerettet“, betonte Raeder, der seinen Seehaufen anschließend zum Kehlhof führte, wo die Besucher nur dem leichten Regen trotzen mussten.