Zweimal im Jahr, im November und Januar, erfassen Ornithologen europaweit die Zahl der Wasservögel. Von den zehn größten Seen nördlich der Alpen in Deutschland und der Schweiz sticht dabei der Bodensee als Vogelmagnet heraus. Am häufigsten, mit 40 Prozent des deutschen Bestands, ist hier die Kolbenente vertreten. Mit einem Prozent der Kormoran; dieser ist durch die EU-Vogelschutzrichtlinie geschützt.
Ornithologe Stefan Werner stellte den schwarzen Vogel bei einem Kolloquium des Institutes für Seenforschung in Langenargen vor. Der Kormoran ist ein Kosmopolit, nahezu auf dem gesamten Globus vertreten. Er wurde bereits 1557 in einem Vogelbuch als Wintergast am Rhein und am Zürichsee erwähnt. Knochenfunde in der Schweiz deuten darauf hin, dass der Kormoran hier seit 10.000 Jahren heimisch ist. Der Kormoran ist ein Zugvogel, der im Winter von der Nordsee und aus dem Baltikum in die Region kommt. Auf der Suche nach Nahrung legen die Vögel zwischen 20 und 50 Kilometern von ihrer Kolonie in die Jagdgründe zurück. Gebrütet wird grundsätzlich gemeinsam an großen fischreichen Seen in geschützten Auenwäldern und ausschließlich auf Bäumen.
Bestand sank seit 2023 um neun Prozent
In den 60er-Jahren waren in Europa nur noch 250 Brutpaare bekannt. Zehn Jahre später nahezu ausgestorben, wuchs die Population mit Ende der Bejagung kontinuierlich bis auf 371.000 Paare an. Der sprunghafte Anstieg am Bodensee in den vergangenen beiden Jahren könnte mit der Vermehrung des Stichlings in Zusammenhang stehen. Mit Sicherheit vermag Stefan Werner das nicht zu sagen. 2023 wurden am Bodensee 1575 Brutpaare gezählt, 75 Prozent davon am deutschen Ufer. Inzwischen ging der Bestand wieder um etwa neun Prozent zurück.

Der zwei bis drei Kilogramm schwere Vogel frisst täglich etwa 300 bis 500 Gramm Fisch, am liebsten kleine Exemplare von zehn bis 20 Zentimetern Länge. Große Fische sind die Ausnahme, erregen jedoch die größte Aufmerksamkeit. Dabei ist der Kormoran ein Opportunist. Er frisst, was ihm vor den Schnabel schwimmt, eine Auswahl trifft er nicht.
In den 70er-Jahren war der Bodensee stark überdüngt, was für hohe Fangerträge der Fischer sorgte. Mit dem Bau der Kläranlagen wurde der Nährstoffeintrag in den See reduziert und die Erträge der Fischer bewegen sich am Obersee wieder auf dem Niveau der vorindustriellen Zeit.
Stichling steht auf der Speisekarte des Vogels weit oben
2010 tauchte der Stichling im Bodensee auf und stellte eine Zeit lang 95 Prozent aller Fische. Für die Wissenschaft bislang nicht zu erklären, scheint er seit diesem Jahr wieder verschwunden zu sein. Abzuwarten bleibt, wie die Kormoranpopulation auf diese Veränderung reagiert – im Magen der Vögel fand sich eine Menge dieser eingeschleppten Fischart.
Auch die Quaggamuschel sorgt für eine Veränderung des Ökosystems. Sie filtert die verbliebenen Nährstoffe aus dem Wasser und hat in den großen Seen der USA bereits den Fischfang zum Erliegen gebracht. Andere Arten, wie die Felchen, haben unter dem Klimawandel zu leiden. Warme Winter verhindern die Durchmischung des Wassers im Bodensee, sodass sich in der Tiefe der Sauerstoffgehalt reduziert. Und mit steigender Wassertemperatur steigt die Sterblichkeit dieser sensiblen Fische. Während der einstige Brotfisch seltener wird, profitieren Karpfen und Welse.
Fischer holen 230 Tonnen aus dem See, Kormorane bis zu 300 Tonnen
Fischbestände zu erfassen, sagt Stefan Werner, sei kaum möglich. Da nur der Fangertrag gemessen wird, sei von einer großen Diskrepanz zum wirklichen Bestand auszugehen. Denn die Menge der nicht nutzbaren Fische bleibe unbekannt. 230 Tonnen wirtschaftlich relevanter Fische wurden 2022 gefangen. 250 bis 300 Tonnen fraßen die Kormorane im selben Jahr.
Sind die schwarzen Vögel deshalb eine Konkurrenz für die Fischer am Bodensee? Auch wenn sie Schäden an Netzen verursachen und den Fischern den einen oder anderen Fisch klauen, geht der Ornithologe davon aus, dass es sich bei ihrer Beute mehrheitlich um kleine und nicht nutzbare Fische handelt. Felchen fanden sich nur selten in den Mägen verendeter Vögel.

Nicht der Kormoran sei schuld daran, dass Felchen heute mit doppeltem Alter nur halb so schwer sind wie in den 70er-Jahren. Die Gründe dafür sieht der Ornithologe beim Nährstoffrückgang, der durch die Quaggamuschel beschleunigt wird, dem Klimawandel und der jahrelangen Konkurrenz durch die Stichlinge. Allein die Tatsache, dass der Kormoran ähnlich viel oder gar mehr Fisch aus dem See entnimmt wie die Berufsfischerei, könne nicht als Grund für einen Fangrückgang oder eine Konkurrenz herangezogen werden, sagt er.
Zahl der Vögel hat sich in der Schweiz durch Bejagung nicht verändert
Trotzdem werden zunehmend Stimmen laut, die eine Regulierung der Kormorane fordern. In der Schweiz, wo Kormorane anders als in der EU bejagt werden dürfen und jährlich rund ein Drittel der Januarpopulation abgeschossen wird, hat sich in den vergangenen Jahren nichts geändert. Am Bodensee steigen die Zahlen der Vögel sogar an. Denn der Verlust wird aus den 700.000 Vögeln in Nordwest- und Mitteleuropa umgehend aufgefüllt. Im Endeffekt werden durch das Bejagen nur Enten aus ihren Schutzgebieten vertrieben.
Sein Fazit: Regionale Maßnahmen hätten keinen Effekt
Auch eine Dezimierung der Brutplätze sieht Werner als aussichtslos, da die Vögel ihre Kolonien verlegen. Entnimmt man Eier, was naturschutzrechtlich höchst problematisch sei, wird andernorts noch mehr Nachwuchs gezeugt. Regionale Maßnahmen würden deshalb ohne Effekte auf die Kormorane bleiben, ist er sicher. Und das bei einem ungünstigen Kosten-Nutzen-Verhältnis und erwartbar hohen Kollateralschäden.