Tiere sind in medialer Berichterstattung allgegenwärtig. Sie sind süß, witzig oder bedrohlich. Sie sorgen für kuriose oder emotionale Momente. Um Beispiele zu finden, reicht der Blick in die Region: Mit Waldrapp, Kormoran, Wolf und Quagga-Muschel gibt es drei Exoten, deren Erlebnisse viele Leser interessieren.
Aber nicht nur der SÜDKURIER berichtet über diese Wesen. Von „Bild“-Zeitung bis „Spiegel“ hat schon so ziemlich jedes deutsche Medium über die Tiere geschrieben. Für die Waldrappe besuchte sogar ein Journalist der „New York Times“ unsere Region. Aber woher kommt dieses Interesse? Und was sagt es über uns Menschen aus?
„Sie sind definitiv keine Schönheit“
Wer darauf eine Antwort geben kann, ist der Konstanzer Wissenschaftler Clemens Wischermann. Der emeritierte Historiker und Sozialwissenschaftler hat unter anderem das Verhältnis von Mensch-Tier-Beziehungen erforscht und mit anderen Wissenschaftlern eine Forschungsgemeinschaft zu „Human-Animal Studies“ (engl. für „Mensch-Tier-Studien“) ins Leben gerufen. Er kennt die Waldrappe von Besuchen in Heiligenberg und sagt: „Sie sind definitiv keine Schönheit.“

Dass sich Menschen für Tiere wie Waldrappe in Berichterstattung interessieren, liege daran, dass die Menschen den Tieren menschliche Eigenschaften zuschreiben, sagt Wischermann. Tiere mit menschlichen Charakterzügen, das hab es bereits in Fabeln gegeben. „Man transportiert das allerdings in journalistische Erzählformen.“ Die Vermenschlichung funktioniere auf unterschiedlichen Ebenen, zum Beispiel über Namen. „Früher hatten Tiere keine Namen, heute ist das oft der Fall“, sagt er auf Basis seiner Forschungen. Waldrappe tragen beispielsweise Namen wie Enea oder Knubbel.

Beherrscht der Mensch oder die Quagga-Muschel den Bodensee?
Am Interesse für die Tiere zeige sich auch ein „gestiegenes ökologisches Bewusstsein“, sagt Wischermann. Bei Waldrappe sehe er das Interesse am Aufzuchtsprojekt und den Versuch, die Vergangenheit in die Gegenwart zu holen. Andererseits sei da die Quagga-Muschel als „Bedrohung des heimatlichen Lebensraumes“. Gerade bei dem Weichtier gehe es um Herrschaftsverhältnisse und die Frage: Ist der Mensch oder das Tier Herr über den Bodensee? Wischermann sagt: „Es ist ein hoffnungslos erscheinender Kampf, dieses Tier zu beherrschen.“

Spektakuläre Erlebnisse aus dem Tierreich
Menschliche Wesenszüge in Tieren sehen – diesen Erklärungsansatz liefern auch Jan-René Schluchter von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und Christian Hoiß von der Universität Köln. Sie haben gemeinsam die Buchreihe „Tiere – Medien – Bildung“ veröffentlicht und darin die Darstellung von Tieren in medialen Inhalten untersucht. Für den Medienpädagogen Schluchter ist die Antwort klar: „Menschen interessieren sich für diese Tiere, weil die Geschichten über sie und ihre Erlebnisse meist spektakulär sind.“

Literaturwissenschaftler Hoiß nennt einen weiteren Erklärungsansatz: „Es gibt das Phänomen, dass wir Menschen in Dingen und Lebewesen etwas Menschliches, vor allem Gesichter sehen. Tiere bieten sich besonders an, weil sie oft bereits ein Gesicht haben.“
Die Wesen könnten unterschiedlich dargestellt oder wahrgenommen werden. „Sie können im Bereich des Unterhaltsamen, Spöttischen, Skurrilen, Bedrohlichen, aber auch Moralischen angesiedelt sein“, sagt Schluchter.
Auf die Tiere in dieser Region könnte man diese Deutungsweise ebenfalls anwenden: Demnach könnte der Kormoran als schützenswerter, aber gefährlicher Konkurrent der Bodenseefischer gelten. Das Bild der Waldrappe ist geprägt von skurrilen Flugrouten und tragischen Erlebnissen. Der Wolf gilt dagegen eher als bedrohliches Tier, das im Verborgenen lebt und manchmal in den Lebensraum der Menschen eindringt.

Sie sind „Hauptakteure“ in der Umweltkrise
Ein Grund der Faszination ist auch, dass das Verhältnis zu Tieren widersprüchlich sei, sagt Christian Hoiß. Einerseits gebe es die Haustiere zum Kuscheln, andererseits die Tiere, die auf dem Teller landen. „Aber die große Masse an Tieren kriegen wir nur medial zu Gesicht.“
Eher selten sehe man im Alltag einen Waldrapp, Wolf oder Kormoran. „Am Ende sind wir auch Tiere“, sagt Schluchter. „Das Interesse für Tiere ist ähnlich wie unser Interesse für unsere Mitmenschen.“
Was die Zukunft angehe, könnten die Wesen dabei helfen, komplexe Probleme zu veranschaulichen. „Auch weil sie Hauptakteure in der Umweltkrise sind und wir das Problem anhand dieser Tiere besser nachvollziehen können“, sagt Christian Hoiß.