Möglicherweise wäre Hugo Landauer, der einst den elektrischen Strom nach Daisendorf brachte und bis zum Beginn des Dritten Reichs auf einem stattlichen Hof direkt gegenüber der Sankt-Martin-Kapelle lebte, so langsam in Vergessenheit geraten. Wäre da nicht Hasan Ögütcü, Vorsitzender des Ravensburger Alevitischen Bildungswerks Sah Ibrahim Veli, gewesen, der sich an den einst prominenten Bürger des Ortes erinnert hätte.
Interesse an jüdischem Leben in Deutschland
Für die 900-Jahr-Chronik im Jahr 2022 wurden Ideen unter den Bürgern gesucht. ZF-Ingenieur Ögütcü, der seit 50 Jahren mit seiner Familie in Daisendorf zu Hause ist, hatte bereits mit der Jüdischen Gemeinde in Konstanz zusammengearbeitet, etwa beim Projekt „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“, und war dabei auf Landauer gestoßen. Durch Ögütcüs Initiative hat es der frühere jüdische Mitbürger nicht nur in die Ortschronik geschafft. Auch eine Veranstaltung mit 120 Teilnehmern zum Leben von Hugo Landauer hatte Ögütcü im Jubiläumsjahr mit dem Historiker Christoph Knüppel organisiert, welcher zu dessen Familie geforscht hatte und eigens aus Norddeutschland angereist war.

Und nun also die Gedenktafel am Friedhof. „Wir sind froh, etwas zur Erinnerungsgeschichte Daisendorfs beitragen zu können“, sagt Ögütcü am Freitagabend. Als Teil der Gemeinschaft wolle sich das Alevitische Bildungswerk nicht nur mit eigenen Themen beschäftigen, sondern „auch mit denen der Mehrheitsgesellschaft“. Und so hat man die Gedenktafel in Auftrag gegeben, das Einweihungsfest organisiert und auch 2250 Euro an Spenden eingesammelt, die einen Großteil der Kosten decken.
Wie erstmals Strom ins Dorf kam
Doch wer war nun eigentlich Hugo Landauer? Ein ehemaliger Textilhändler, der mit dem Aufbau einer süddeutschen Kaufhauskette reich wurde, sich dann Anfang des 20. Jahrhunderts jedoch „für das Landleben und die Ideen des Sozialismus erwärmt hatte“, wie der Überlinger Historiker Oswald Burger den gut 40 Gästen vortrug. Was vermutlich wenige wissen: Im Jahr 1902 hatte Landauer den heutigen Demeterhof Höllwangen nördlich von Überlingen gekauft, 1917 dann den Homburger Hof bei Owingen und eben das frühere Daisendorfer Gasthaus „Rebstock“ mit reichlich Land. Etliche Daisendorfer fanden hier Arbeit.
Landauer, der eher Landwirtschaftsunternehmer denn Bauer war, sei vermutlich auch der erste Autobesitzer in Daisendorf gewesen, sagt Burger. Er hatte schon mit 20 ein Bein verloren und brauchte einen Chauffeur. Mit Dieselgeneratoren brachte er zudem erstmals elektrischen Strom in das Bauerndorf.
Beeinflusst wurde Hugo Landauer nach Angaben von Oswald Burger mutmaßlich von seinem Cousin Gustav Landauer, einem kommunistischen Schriftsteller und Pazifisten, der 1919 kurzzeitig Minister der sozialistischen Münchner Räterepublik war – und dort schließlich ermordet wurde. Im selben Jahr gründete Cousin Hugo in Überlingen die sozialistische „Bauern-Zeitung“. Die hatte ihr Büro im Zähringer Hof und trat für die Vergenossenschaftung der Landwirtschaft ein – also quasi das Gegenmodell zu Landauers eigener kapitalistischer Privatwirtschaft. Die Zeitung überlebte allerdings nur zwei Jahre.
Landauer, der später die Kinder seines getöteten Cousins ebenso wie andere Familienmitglieder in Daisendorf aufnahm, musste noch die Machtergreifung Hitlers miterleben, bevor er krank wurde und starb. Seine Kinder gingen unter anderem in die USA und nach China.

Klezmermusik umrahmt Einweihung
Zur Einweihung der Gedenktafel sind neben Gemeinderäten und Bürgern übrigens nicht nur zahlreiche Mitglieder des Alevitischen Bildungszentrums gekommen, sondern auch Minja Jonek, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Konstanz, der Landtagsabgeordnete Martin Hahn, die evangelische Dekanin Regine Klusmann, Bettina Kommoss, Leiterin der evangelischen Erwachsenenbildung, Karin Schweizer, Rektorin der Pädagogischen Hochschule Weingarten, der Integrationsbeauftragte der Stadt Ravensburg, Martin Dietz, und der Landauer-Forscher Christoph Knüppel.
Einen musikalischen Rahmen gab der Veranstaltung die Konstanzer Violinistin Jutta Bogen mit Klezmermusik und dem bekannten Oseh Shalom von Nurit Hirsch, das auch in christlichen Kreisen oft zu hören ist.