Zerstörte und mit Eiern beworfene Israel-Fahnen, geschändete jüdische Symbole: Auch in Baden-Württemberg gibt es seit Ausbruch des Kriegs im Nahen Osten eine Zunahme an israelfeindlichen und antisemitischen Angriffen. In Bad Säckingen wurde eine Israel-Flagge mit Eiern beworfen, der Staatsschutz der Kriminalpolizei hat Ermittlungen aufgenommen.
In Überlingen beobachtete ein Zeuge am 25. Oktober beim Bahnhof Mitte folgenden Übergriff: Eine unbekannte Person platzierte eine etwa drei mal fünf Zentimeter große Israel-Flagge im Pissoir einer Toilette am Bahnhof und provozierte, dass symbolisch auf den Staat Israel uriniert wird. Der Zeuge fotografierte den Vorfall und rief die Polizei. Unserer Redaktion liegen die Fotos vor, wir haben entschieden, sie nicht zu veröffentlichen.
Polizei ermittelt zum Fall am Bahnhof nicht
Es ist im Bereich des Polizeipräsidiums Ravensburg nicht der erste Fall, nachdem die islamistische Terrororganisation Hamas am 7. Oktober Israel überfallen und Israel eine Gegenoffensive gestartet hat. Mit Stand 7. November meldet das Präsidium sechsmal den Diebstahl oder die Beschädigung einer gehissten Israel-Flagge in den Landkreisen Ravensburg, Sigmaringen und Bodenseekreis. Im Landkreis Ravensburg wurden darüber hinaus politische Schmierereien an Hauswänden mit Israel- oder Hamas-Bezug festgestellt.
Der Fall vom 25. Oktober am Bahnhof Überlingen zählt nicht in die Statistik. Die Beamten überprüften den Fall, sie dokumentieren ihn, nehmen aber keine Ermittlungen auf. Denn nach Einschätzung der Beamten liegt hier kein in Paragraf 104 des Strafgesetzbuchs beschriebener Fall vor.
Antisemitismusbeauftragter fordert Aufklärung
Der Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung, Michael Blume, sieht dies anders und fordert Aufklärung. „Ich habe mich nicht in konkrete Ermittlungen einzumischen, aber eine allgemeine und klare Meinung dazu“, schrieb er auf Fragen des SÜDKURIER, die ihm mit Verweis auf den Fall in Überlingen gestellt wurden.
Blume: „Wie zuvor schon der Islamische Staat benutzt auch die Hamas gezielt die digitalen Medien, um uns alle durch Schockvideos zu radikalisieren und gegeneinander zu hetzen. Sympathisanten dieser Terrororganisation loten dazu gezielt die Grenzen unseres Strafrechtes aus.“ Die mediale Entweihung der israelischen Flagge feiere die Massenmorde der Hamas an weit über 1000 jüdischen Menschen. „Das facht die Spaltungen auch in Deutschland gezielt an und sollte in einem wehrhaften Rechtsstaat aufgeklärt und bestraft werden.“
Schüler reinigen Stolpersteine in Überlingen
Patrick Konopka, Geschichtslehrer am Gymnasium Überlingen, war mit einer Gruppe von Zehntklässlern am Gedenktag 9. November mit Putzlappen in Überlingen zugange, um an NS-Opfer aus Überlingen zu erinnern, insbesondere an die jüdischen Familien Levi und Levinger und an den wegen seiner Homosexualität ermordeten Franz Klauser. Ihnen sind Stolpersteine gewidmet, die die Schüler reinigten.

Zum Fall in der Bahnhofstoilette kommentierte Konopka: „Ich denke, dass das Verunglimpfen einer israelischen und jeder anderen Nationalflagge eine Schwelle ist, die nicht kommentarlos hingenommen werden sollte.“ Nicht immer sei Antisemitismus für jeden erkennbar. Ist er erkennbar, sollte die Öffentlichkeit grundsätzlich einschreiten, findet Konopka. „Für uns Lehrer bedeutet das sicherlich, uns selbst fortzubilden, die Schüler zu informieren, mit ihnen zu diskutieren und sie zu Zivilcourage aufzufordern.“
Geschichtslehrer betont historische Verantwortung
Zivilcourage fordere Mut. „Wir sollten ihn aufbringen, denn es geht beim Antisemitismus einerseits um das, was von vielen Politkern und Medien zurecht ‚deutsche Staatsraison‘ genannt wird – eine mittlerweile historische Verantwortung der Sicherheit des Staates Israel gegenüber. Andererseits geht es auch ganz konkret um die Verteidigung unserer liberalen Lebensweise“, betont Konopka. „Wir können nicht akzeptieren, dass andere aufgrund ihrer Herkunft, ihres Glaubens oder auch ihrer Sexualität diskreditiert oder gar angegriffen werden.“
Konopka fordert „jetzt dringend Aufklärung und einen gesamtgesellschaftlichen Konsens, dass die Sicherheit des Staates Israel für uns nicht verhandelbar ist und Antisemitismus in unserer Gesellschaft keinen Platz hat. Dieser Konsens sollte nicht nur leise, sondern deutlich nach außen hin vertreten werden.“
Pfarrerin entsetzt über die Entweihung von Flaggen
Bettina Kommoss, Pfarrerin und Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Konstanz, nahm zum konkreten Fall in Überlingen keine Stellung, formulierte aber in allgemeiner Weise: „Mit Entsetzen nehmen wir zur Kenntnis, dass es Menschen in Deutschland gibt, die die israelische Flagge entweihen. Jede Tat, die eine Volkszugehörigkeit herabwürdigt, verurteilen wir aufs Schärfste. Wer deutsche Jüdinnen und Juden damit für den Nahostkonflikt verantwortlich macht, hat jeden ethischen und religiösen Kompass verloren.“ Sie fordere die deutsche Politik auf, solches Verhalten nicht zu tolerieren und entschieden dagegen vorzugehen.