Im vollbesetzten Rathaussaal hat Daisendorfs Bürgermeisterin Jaqueline Alberti bei der Auftaktfeier zum 900-Jahre-Jubiläum der Gemeinde Einblick in ihre momentane Befindlichkeit gegeben: „Ich kann Ihnen sagen: So ein Jubiläum macht echt viel Arbeit. Aber dabei wächst unsere Gemeinde auch weiter zusammen.“ Ihr Dank ging an die Organisatoren der vielen Veranstaltungen im Jahreslauf, besonders an den Arbeitskreis historische Recherche, der sich intensiv um die Aufklärung mehr oder weniger dunkler Vergangenheiten bemüht und am Ende eine hochkarätige Festschrift zu Wege gebracht habe. Unter den Gästen war neben Bürgermeistern der Nachbargemeinden auch Bernhard Prinz von Baden.

Blick in die Geschichte, ganz ohne Aktenstaub
Um diese Vergangenheiten kümmerte sich im Vortrag des Abends Stefan Feucht, im Hauptberuf Chef des Kreiskulturamts. Als Historiker hatte er getan, was Historiker eben so tun, wenn scharfe Blicke ins Vergangene zu werfen sind: Er hatte sich auf Quellensuche begeben und sogar im Generallandesarchiv Karlsruhe und im Freiburger Staatsarchiv Urkunden aufgespürt. Ganz ohne Aktenstaub, aber informativ und unterhaltsam präsentierte Feucht dem Publikum seine Fundsachen quer durch die Zeiten.
Sogar der eigentliche Geburtstag, der 17. Mai 1122, lässt sich belegen
Da war zunächst wichtig zu erfahren, dass die 900 Geburtstagskerzen – und nicht etwa, wie auch behauptet wurde, nur 800 – zu Recht auf dem Daisendorfer Jubiläumskuchen leuchten. Sogar der eigentliche Geburtstag, der 17. Mai, lässt sich aus alten Dokumenten des 12. Jahrhunderts belegen. Illustre Episoden wie etwa die Wilddieberei eines früheren Bürgermeisters, die Auswanderungswelle in den 1850er Jahren, die Elektrifizierung im Jahr 1920 oder das NS-Reichserbhofgesetz von 1933 kamen zum Vorschein.
1975 rettet sich Daisendorf in die Verwaltungsgemeinschaft
Je näher Feucht sich an die Gegenwart heranarbeitete und Hof- und Familiennamen aus jüngerer Zeit erwähnte, desto häufiger gab es im Publikum ein bestätigendes Kopfnicken. Das Thema der Selbstständigkeit Daisendorfs taucht in der Geschichte schon früh auf, nicht erst im Jahr 1975, als sich ein eigenständiges Daisendorf mit Meersburg, Hagnau, Stetten und Uhldingen-Mühlhofen in eine Verwaltungsgemeinschaft rettete. Für das mithin in drei Jahren zu feiernde 50-Jährige dieses Bundes nahm der Historiker gleich den nächsten Forschungsauftrag mit nach Hause.

Meersburgs Bürgermeister Robert Scherer bekannte sich zu der Verwaltungsgemeinschaft: „Manche Dinge gehen nur gemeinsam voran, zum Beispiel der Klimaschutz oder eine Verkehrsplanung über die Gemarkungsgrenzen hinweg.“ Er und seine Amtskollegen überreichten der Gemeinde Daisendorf eine jungstämmige Eiche, die an markantem Punkt gepflanzt werden soll, auf dass sie Besucher in kommenden Zeiten an die Standhaftigkeit, Wuchskraft und Bodenständigkeit des Dorfes im Jahr 2022 erinnere.
Beim Stehempfang bezeugen die Daisendorfer die Lebensqualität im Dorf
Beim anschließenden Stehempfang ließ sich dann besichtigen, wie Daisendorfer, ob alt oder jung, ob zugezogen oder alteingesessen, ob Ober- oder Unterdörfler, die Lebensqualität ihrer Gemeinde gerade am Jubiläumstag bezeugen. „Ohne diese lange Geschichte gäb‘s uns ja gar nicht“, stellte Melanie Schramm in schlichter Klarheit fest.

Erika und Joachim Lübbert hat es vor sieben Jahren mit Eintritt in den Ruhestand von Mecklenburg-Vorpommern an den Bodensee gezogen. Im Internet hatten sie nach einem Haus gesucht und waren in Daisendorf fündig geworden. Beide strahlen die Überzeugung aus: „Wir haben alles richtig gemacht!“ Sie loben die dichte Vereinsstruktur, die ihnen das Eingewöhnen leicht gemacht habe. „Wenn wir heute von Besuchen im Norden wieder zurückkommen, dann fahren wir nach Hause.“
Helmut Menner ist Daisendorfer Urgestein und steckt voller Geschichten aus alten Zeiten, etwa den Erlebnissen, als die jungen Daisendorfer in den 60er Jahren in Meersburg die Schule besuchen mussten: „Da hat‘s mit den Meersburger Buben manche Rauferei gegeben.“

Annely und Hermann Henseler sind seit 1976 Daisendorfer, sie rechnen sich zur Gruppe der Dornianer, der beim Unternehmen Dornier beschäftigten. Auch Hermann Henseler ist in allerhand Bürgergruppen aktiv, währen seine Frau schätzt, dass man hier zwar echtes Landleben genießen, zugleich aber in den nahegelegenen Städten urbanes Lebensgefühl einatmen könne. „Geschichte“, so hatte Stefan Feucht resümiert, „ist, wie man sieht, kein trockenes Aufeinanderstapeln von verflossenen Daten, sondern sie stiftet eine fortschreitende Identität derer, die an dieser Geschichte teilnehmen.“ Daisendorf sei dafür bestes Beispiel.