Die künftige Trasse der B 31 durchschneidet auf sieben Kilometern Länge Feld, Wald und Flur. Alle Flächen sind heute im Besitz des Bundes – bis auf einen Abschnitt bei Schnetzenhausen. Die Grundstücke gehören pro forma nach wie vor einem Landwirt, aber er verfügt nicht mehr über sein Eigentum. Das nennt sich Besitzeinweisung, es ist die Vorstufe zur Enteignung durch den Staat.

Die ganze Sache bringt Anton Schraff, dem diese Flächen gehör(t)en, um den Schlaf. Dabei war eigentlich alles geregelt. Vor über 15 Jahren kam die Stadt einmal mehr auf ihn zu, um über seine Grundstücke zu verhandeln. Dass Mitten durch seine Felder irgendwann mal die neue Bundesstraße verlaufen wird, war ihm längst klar. Für die zunächst zweispurig geplante B 31 hatte er der Stadt die nötigen Grundstücke bereits verkauft, obwohl sie seine Felder durchschneiden würde. Es war auch nicht das erste Mal, dass seine Familie der Stadt entgegenkam, erzählt Anton Schraff sichtlich müde am Küchentisch. Sein Vater Anton Schraff Senior, der wohl bekannteste Schnetzenhausener, war nicht nur Landwirt, sondern auch Gemeinderat, und erhielt für sein kommunalpolitisches Wirken 1978 das Bundesverdienstkreuz. Er gab damals Flächen für den Bau des Krankenhauses ab, sein Sohn später unter anderem für die Ortsumfahrung Schnetzenhausen. „Das ging doch immer alles friedlich und fair über die Bühne. Wir sind immer zu einer Lösung gekommen“, sagt der Landwirt. Er kann nicht verstehen, warum das diesmal so schief gelaufen ist.

Am 14. Januar 2002 jedenfalls gingen die Eheleute Schraff ein Vertragsangebot zum Flächentausch mit der Stadt ein, das auf zehn Jahre befristet war. 2010 wurde die Trasse für die neue B 31 rechtswirksam, da hätte die Stadt einen Knopf dran machen können an den Vertrag, der am 13. Januar 2012 ausgelaufen wäre. Für Anton Schraff hätte das ohne Nachverhandlungen aber nicht funktioniert. „Von den zum Tausch angebotenen Waldflächen waren zwei ganz abgeholzt“, sagt er. Nach Darstellung der Stadt sei „das Waldgrundstück in der Zwischenzeit ordnungsgemäß durch die Stadt bewirtschaftet beziehungsweise beförstert“ worden. „Die Waldflächen sind für uns nicht mehr verwertbar“, teilte Anton Schraff jedenfalls am 12. Januar 2012 der Stadt mit. Aber da war es schon zu spät.

Nach seiner Darstellung habe er im Oktober 2011, also drei Monate vor Ablauf der Vertragsfrist, beim Amt für Vermessung und Liegenschaften (AVL) angerufen und nach dem Stand der Dinge gefragt. „Das war mein größter Fehler. Die hätten den Termin glatt verschlafen“, sagt Anton Schraff. Danach ging alles schnell, ohne dass es der Landwirt zunächst mitbekam. Denn er sei davon ausgegangen, dass der Vertrag nichtig sei, weil er zu den Bedingungen, die zehn Jahre zuvor vereinbart worden waren, ja nicht mehr erfüllbar war. Stutzig sei er allerdings beim Schreiben vom 9. Dezember 2011 geworden, in dem von einem neuen Wertgutachten für die Waldflächen die Rede war, das bei der Kaufpreisabrechnung zugrunde gelegt werden sollte. Diese „Gegenseitige Erklärung“ habe er nicht unterschrieben.

Fakt ist, dass bereits drei Tage, bevor dieser Brief das Rathaus verließ, der Gemeinderat beschlossen hatte, das Vertragsangebot der Eheleute von vor zehn Jahren anzunehmen – vermutlich ohne zu wissen, dass der Landwirt nicht mehr Willens war. Das habe auch die Stadt nicht gewusst, argumentiert Pressesprecherin Monika Blank.

Am 14. Dezember 2011 ließ die Stadt den Vertrag notariell beglaubigen. Einen Monat später legten die Schraffs Widerspruch ein, schalteten einen Anwalt ein. Es dauerte fast zwei Jahre, bis dieser Vertrag aufgehoben war. Seither habe ihm die Stadt lediglich eine Alternativfläche zum Tausch angeboten, die für ihn aber nicht akzeptabel sei, weil sie direkt an der neuen Straße liege. Sonst habe sich keiner mehr gemeldet. „Ich bin doch kein Querulant. Aber die Art und Weise, wie hier mit uns umgegangen wurde, ist absolut unakzeptabel“, schimpft der Landwirt.

Stimmt nicht, sagt die Stadt. Zwischen Dezember 2011 und 2014 hätten „unzählige Gespräche und Verhandlungen“ stattgefunden, in denen Anton Schraff mehrere Angebote unterbreitet worden seien. Aus Sicht der Stadt bestand allerdings erst ab November 2013 die Notwendigkeit, nachzuverhandeln, denn so lange galt ja der Vertrag zum Flächentausch. Und seit dem 1. März 2015 ist die Deges als Bauherrin für die B 31-neu im Auftrag des Bundes in der Verantwortung, die noch offenen Grundstücksangelegenheiten abzuwickeln. Bis dahin hatte die Stadt Friedrichshafen die Vollmacht dafür und habe „alles getan, um Enteignungen zu vermeiden“, bekräftigt Monika Blank.

Dass dies in nur einem einzigen Fall nicht gelungen ist, sei bedauerlich, unterstreiche aber die Bemühungen der Stadt, so Blank: „Wir haben doch keine Motivation, das schwierig zu machen.“ Anspruch auf Tauschflächen hätten zudem nur Landwirte, deren betriebliche Existenz bedroht ist, sonst gebe es Entschädigungszahlungen.

Anton Schraff hätte immer noch gern ein passendes Tauschgrundstück für seinen Betrieb, wohl wissend, dass der Flächenmarkt in Friedrichshafen abgegrast ist. Das Grundstück, das er nicht will, sei immer noch frei, sagt die Stadt.

Chronologie eines missglückten Grundstücksgeschäfts

Neun Jahre und zehn Monate bleibt das Vertragsangebot der Eheleute Schraff in einer Schublade. Dann geht alles schnell:

  • 14. Januar 2002:Vertragsangebot der Eheleute Schraff an die Stadt Friedrichshafen, die für die vierspurige B 31 benötigten Flächen gegen mehrere andere Grundstücke zu tauschen, überwiegend Waldflächen. Das Angebot ist bis zum 13. Januar 2012 bindend.
  • 23. November 2011:Die Stadt lässt von einem Sachverständigen ein Wertgutachten für zum Teil abgeholzte Waldflächen erstellen und legt es vor.
  • 6. Dezember 2011:Der Gemeinderat beschließt, das knapp zehn Jahre alte Vertragsangebot der Eheleute Schraff zum Flächentausch anzunehmen.
  • 9. Dezember 2011:Der damalige stellvertretende Leiter des Amtes für Vermessung und Liegenschaften (AVL), Manfred Häberlein, schickt den Eheleuten Schraff eine „Gegenseitige Erklärung“, in der sie das neue Wertgutachten für die Tauschflächen im Besitz der Stadt anerkennen sollen und damit auch akzeptieren, dass dies bei der Kaufpreis-Abrechnung zugrunde gelegt wird. Die Schraffs unterschreiben das Papier nicht.
  • 14. Dezember 2011:Die Stadt löst durch eine Mitarbeiterin des Amts für Vermessung und Liegenschaften das Vertragsangebot notariell ein. Damit ist der Flächentausch vollzogen. Eine Unterschrift der Schraffs war dafür nicht notwendig.
  • 12. Januar 2012:Die Eheleute Schraff erheben beim Notariat Einspruch wegen Nichteinhaltung des Vertrags seitens der Stadt. Die Waldflächen seien nicht mehr verwertbar. Das Notariat hat keine Handlungsbefugnis und empfiehlt den Gang zum Rechtsanwalt.
  • 18. Januar 2012:Das Notariat teilt den Eheleuten Schraff in einer Eintragungsbekanntmachung mit, dass sie nun Besitzer der Tauschflächen sind.
  • 14. November 2013:Die Stadt genehmigt die Aufhebungsvereinbarung des Tauschvertrags.