Ein Freitagvormittag im Caféhaus von Webers Backstube in der Otto-Lilienthalstraße. Alle Tische sind besetzt, die Verkäuferinnen flitzen von einem Eck ins andere. Auch in der Backstube ist was los. Die Rührmaschinen laufen auf Hochtouren, in den Öfen backen die Laibe, es duftet nach frischem Brot. Mittendrin Hannes Weber, Inhaber der Backstube. 120 Mitarbeiter beschäftigt der Bäckermeister in sieben Filialen in und um Friedrichshafen, zudem liefert die Backstube Gebäck an zahlreiche Häfler Geschäfte und gastronomische Betriebe aus.

Das Geschäft läuft, aber...

Die Kasse klingelt, das Geschäft läuft gut für Weber. Über zu wenig Arbeit kann er sich jedenfalls nicht beklagen, wie er sagt. Wenn da nur eines nicht wäre: die Personalnot. „Es fehlt an jeder Ecke und an jedem Ende an Personal. Ich suche Mitarbeiter im Verkauf, an der Spülmaschine, in der Backstube.“ Besonders Fahrer, die morgens das Gebäck ausliefern, sind gesucht. „Seit einem Jahr bekomme ich diese Stelle nicht besetzt“, so Weber.

Ein Blick in die Backstube.
Ein Blick in die Backstube. | Bild: Denise Kley

Doch auch Fachkräfte – also gelernte Konditoren und Bäcker – sind Mangelware. Gemäß dem überarbeiteten Fachkräfteeinwanderungsgesetz, welches im Frühjahr in Kraft getreten ist, sollen qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland schneller und unkomplizierter an eine Arbeitserlaubnis kommen. Heißt: Wer mindestens zwei Jahre Berufserfahrung und einen im Herkunftsland staatlich anerkannten Berufsabschluss hat, kann als Arbeitskraft einwandern.

Der Berufsabschluss muss künftig nicht mehr in Deutschland anerkannt sein – das bedeutet weniger Bürokratie und damit kürzere Verfahren. Doch dieses Gesetz ist für Weber Augenwischerei. „Wenn jemand kein Deutsch kann, kann er in Deutschland auch nicht als Fachkraft arbeiten – dabei ist es egal, ob er beispielsweise in Ägypten bereits als Bäcker gearbeitet hat. Derjenige kann nicht ad hoc in einer deutschen Backstube eingesetzt werden, zumal er noch keinerlei Wissen über die Teigzubereitung oder die Bedienung der Öfen und Geräte hat.“

Bäckermeister Hannes Weber
Bäckermeister Hannes Weber | Bild: Kley, Denise

Über die Jahrzehnte hinweg hat Weber zwar Dutzende angehende Bäcker und Konditoren ausgebildet. Doch nun fehlt der Nachwuchs. Zumindest auf dem Ausbildungsmarkt hierzulande. Auch die Zahlen des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks bestätigen das. Während im Jahr 2016 noch knapp 18.000 Azubis gezählt wurden, ist die Zahl 2023 auf knapp 9000 Auszubildende geschrumpft. „Ab und zu kommt mal noch eine Bewerbung rein, aber die allerwenigsten Deutschen wollen wirklich das Bäckerhandwerk lernen, das halt in der Tat knallhart ist“, so Weber.

Oft scheitert es an der Sprache

Deshalb hat Weber schon 2015 Geflüchtete eingestellt und ausgebildet. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. „Klar, die Sprachbarriere ist oft ein Problem. Oder dass die Neuankömmlinge auf eine vollkommen neue Kultur stoßen, die nichts mit dem zu hat, wie sie selbst aufgewachsen sind.“ Er schätzt, dass von den rund 50 Geflüchteten, die er seither als Lehrlinge eingestellt hat, rund ein Viertel die Ausbildung geschafft hat.

Momentan absolvieren 15 Azubis in seiner Backstube eine Ausbildung. Und Weber hat einen neuen, ungewöhnlichen Weg eingeschlagen, um die Ausbildungsplätze zu besetzen: Er rekrutiert seine Lehrlinge direkt aus dem Ausland, die sich von dort aus auf die Stelle bewerben und bereits Sprachkenntnisse vorweisen müssen. „Die, die hierherkommen und bereits einen Ausbildungsvertrag in der Tasche haben, sind im Normalfall motiviert, die wollen was erreichen.“

Wer nicht arbeitet, muss wieder ausreisen

Erst mit Vorzeigen des Miet- und Ausbildungsvertrages bekommen die angehenden Lehrlinge eine Arbeitserlaubnis und ein Visum und dürfen einreisen. Die angehenden Azubis unterschreiben bei der Einreise, dass sie in Deutschland keinerlei Sozialleistungen in Anspruch nehmen werden. „Das Visum ist gekoppelt an die Arbeit hier. Sobald sie kündigen, müssen sie wieder ausreisen“, so Weber. Er hat eigens eine Sprachlehrerin engagiert. Einmal wöchentlich findet der Unterricht statt und die Teilnahme ist für alle Lehrlinge verpflichtend. Die Azubis wohnen gemeinsam in Dreier-Wohngemeinschaften. Über die vergangenen Jahre hinweg hat Weber Wohnungen gekauft oder zu diesem Zweck angemietet. Und natürlich bekommen die Neuankömmlinge ein branchenübliches Ausbildungsgehalt.

Eine Bilderbuch-Integrationsgeschichte

Einer, auf den Weber besonders stolz ist, ist Mohamed Al Momsi. Er ist mit der ersten Flüchtlingswelle 2015 von Syrien über die Balkanroute nach München und dann nach Friedrichshafen gekommen. Der heute 31-Jährige hat 2019 seine Ausbildung erfolgreich absolviert und spricht mittlerweile fließend Deutsch. Dieses Jahr hat er sogar seine Meisterprüfung abgelegt und bestanden. „Ich liebe es einfach, mit Teig zu arbeiten, das macht mir Spaß“, sagt er.

Er kann sich vorstellen, in naher Zukunft die Backstubenleitung zu übernehmen. Und für Weber ist er ohnehin unverzichtbar. „Er ist mein Dreh- und Angelpunkt in der Backstube. Einfach toll, wie er sich die letzten neun Jahre entwickelt und wie er geschuftet hat.“ Der 31-Jährige sei nicht nur ein hervorragender Bäcker, sondern auch „der Integrationsmanager im Betrieb“. Mohammed springt als Arabisch-Übersetzer zwischen Weber und den anderen Azubis ein und er erklärt den Neuankömmlingen den Arbeitsalltag und das Leben in Deutschland.

„Keine Perspektive in meinem Heimatland“

Der 19-jährige Walid Razzouk aus Marokko ist erst vor ein paar Wochen in Friedrichshafen angekommen. Er hat nach seinem Schulabschluss in Marokko als Mediengestalter gearbeitet – aber der Arbeitsmarkt in dem nordafrikanischen Land ist angespannt. „Es gibt so wenig Jobs, ich habe dort keine Perspektive“, sagt er. Er hofft, dass er die Bäckerausbildung schafft und langfristig hier bleiben kann.

Yo Minh Tram Nguyen hingegen kommt aus Ho-Chi-Minh-Stadt in Vietnam. Sie hat dort Wirtschaft studiert. Auch die 30-Jährige hat in ihrem Heimatland keine berufliche Perspektive gesehen, die Arbeitslosigkeit sei hoch und die Gehälter seien niedrig. „Und da ich so gerne Süßes esse, dachte ich, dass eine Ausbildung in Deutschland zur Konditorin das Richtige für mich ist, ich liebe nämlich deutschen Kuchen“, erzählt sie lachend.

Walid Razzuok, Hannes Weber, Mathias Richter und Yassin Benjedali haben beim Dreiländer-Marathon in Bregenz mitgemacht.
Walid Razzuok, Hannes Weber, Mathias Richter und Yassin Benjedali haben beim Dreiländer-Marathon in Bregenz mitgemacht. | Bild: Webers Backstube

Zusammen einen Marathon bestreiten

Weber ist der Ansicht, dass er mit seinem Betrieb einen richtigen und zukunftsfähigen Weg eingeschlagen hat. „Ohne diese Lehrlinge aus dem Ausland müsste ich meinen Betrieb dicht machen“, ist er sich sicher. Er hofft natürlich darauf, dass so viele wie möglich nach ihrer Ausbildung bei ihm bleiben. Und deshalb ist es ihm auch wichtig, dass sich seine Schützlinge wohlfühlen und die Stimmung im Team passt.

„Klar, manchmal wird es in der Backstube auch mal lauter und hektisch und es ist auch nicht immer ganz einfach, wenn so viele junge Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammenarbeiten und -leben müssen. Aber wir bekommen das trotzdem ganz gut hin.“ Vor drei Wochen ist Weber mit drei seiner Mitarbeiter sogar nach Bregenz gefahren, gemeinsam haben sie den Dreiländer-Halbmarathon gemeistert. „Das schweißt zusammen – auch außerhalb der Backstube“, so Weber.