Sie sei inzwischen selber süchtig geworden, scherzt Anna-Maria von Stein. Süchtig nach TikTok. Die ZF-Mitarbeiterin habe sie sich mit dem sozialen Medium zunächst nicht ganz freiwillig beschäftigt. Das Unternehmen hätte allerdings mit der Zeit gehen und einen Kanal auf der Plattform betreiben wollen. Als Jüngste in der Konzernkommunikation sei das Thema dann an sie gereicht worden, sagt die 34-jährige von Stein. Nun habe sich die App auch in ihr Privatleben geschlichen, mehrfach habe sie sie zum Selbstschutz bereits gelöscht.

Anna-Maria von Stein aus der ZF-Konzernkommunikation. Sie sei inzwischen selber süchtig nach TikTok, sagt sie.
Anna-Maria von Stein aus der ZF-Konzernkommunikation. Sie sei inzwischen selber süchtig nach TikTok, sagt sie. | Bild: Simon Conrads

Bei TikTok sehen die Nutzer einen konstanten Strom von zumeist kurzen Videos. Wenn ein Video langweilt, ziehen Nutzer den Finger über das Handydisplay nach oben und sehen ein anderes. Der nächste Lacher, der nächste hilfreiche Tipp oder die nächste beeindruckende Tanz-Choreographie ist also möglicherweise immer nur einen Fingerwisch entfernt. „Eins geht noch“ – das scheint die Grundhaltung bei Nutzung der App.

ZF-Azubis in den Hauptrollen

Nun verzeichne ZF, wie viele Unternehmen, seit einigen Jahren einen Rückgang an Bewerbungen auf Ausbildungsplätze, sagt Jochen Mayer, ebenfalls aus der Konzernkommunikation. Also versuche ZF, junge Menschen dort zu erreichen, wo sie viel Zeit verbringen – auf TikTok. Im ZF-Forum in Friedrichshafen erklären einige Verantwortliche diese Strategie. Neben Anna-Maria von Stein sind das Laura Mattes aus der Ausbildungsabteilung und die beiden Auszubildenden Melanie Schmalbach und Luis Bihler. „Wir haben am Anfang ein Konzept erstellt und viel besprochen“, sagt von Stein. Bereits vor etwa einem Jahr hätten sie sich dabei den Kanal-Namen „ZF Group“ gesichert, seit April gibt es nun regelmäßig Beiträge. „Zwei pro Woche ist das Ziel“, sagt Laura Mattes. Sie erarbeitet mit den Auszubildenden nun die Inhalte.

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Sie wollen auf dem Kanal nicht im klassischen Sinne Werbung für die ZF-Produkte machen, sagt Anna-Maria von Stein zur Strategie. „Wir machen keine hochseriösen Beiträge. Wir wollen einen authentischen Einblick in das Unternehmen geben.“ Laura Mattes ergänzt: „Wir versuchen, die sarkastischen Videos zu drehen, die die jungen Leute einfach toll finden.“

Wie sehen die Postings aus?

Wie sieht dieser „authentische Einblick“ aus? In einem Video auf dem ZF-Kanal sind zunächst zwei bedröppelt aussehende Männer zu sehen. Sie laufen mit gesenkten Schultern durch eine Halle. Über ihren Köpfen ist ein Schriftzug eingeblendet: „Azubis bei anderen Unternehmen.“ Die beiden Männer laufen an der Kamera vorbei und hinter ihnen erscheinen junge Menschen, die gut gelaunt wirken und zu Musik ihre Hüften kreisen lassen. Der Schriftzug über ihnen lautet „ZF Azubis“. Die Aussage: Während andere Auszubildende Trübsal blasen, ist bei ZF alles rosig und locker. Das Video ist mit 33.000 Ansichten das bislang Erfolgreichste auf dem Kanal. 900 mal haben Nutzer das Video mit einem Herz, also positiv, bewertet. „Damit haben wir tatsächlich nicht gerechnet“, sagt Laura Mattes. Und Melanie Schmalbach wirft ein: „Ich wurde sehr oft von meinen Freunden darauf angesprochen.“

„Damit haben wir tatsächlich nicht gerechnet“, sagt Laura Mattes aus der ZF-Ausbildungsabteilung über die Reichweite eines ...
„Damit haben wir tatsächlich nicht gerechnet“, sagt Laura Mattes aus der ZF-Ausbildungsabteilung über die Reichweite eines der Videos. | Bild: Simon Conrads

In einem weiteren Clip versucht eine Frau, sich durch ein zu enges Fenster in die Freiheit zu quetschen. Dazu der Schriftzug: „POV: Wenn die Kollegin mit der 100sten Änderung kommt.“ POV steht dabei für point of view (Deutsch: Sichtweise oder Standpunkt). Die anstrengenden Seiten des Berufslebens werden hier also ebenfalls gespiegelt – auch wenn sich der Sinn der Videos nicht für jeden direkt erschließt.

Screenshots der ZF-Videos auf TikTok: Links die tanzenden Azubis, rechts will die Frau den anstrengenden Seiten des Berufslebens entkommen.
Screenshots der ZF-Videos auf TikTok: Links die tanzenden Azubis, rechts will die Frau den anstrengenden Seiten des Berufslebens entkommen. | Bild: Screenshots: TikTok

Alles für den Algorithmus

Wer nicht viel oder gar keine Zeit auf der App verbringt, mag sich fragen: Was passiert hier? Auch bei ZF versteht nicht jeder, was die jungen Leute da auf TikTok machen. „Da muss ich mich auf die ganz jungen Kollegen verlassen“, sagt Laura Mattes, 29, lachend. Den Clip mit den tanzenden Azubis etwa habe sie nicht ganz durchschaut. Mattes segnet die Video-Ideen der Auszubildenden ab. Die folgen bei der Produktion der in aller Regel TikTok-Trends. „Wir haben eine Chatgruppe und da überlegen wir gemeinsam, wie wir diese umsetzen können“, sagt Melanie Schmalbach, 22, die auch Protagonistin einiger der Clips ist. Bestimmte Songs oder Tänze kommen auf der App in Mode und wer mit seinem Content (Deutsch: Inhalt) erfolgreich sein möchte, tut gut daran, diese aufzugreifen. Alles im Sinne eines undurchsichtigen Algorithmus, der gewisse Videos vielen Nutzern zuspielt und andere versanden lässt.

Melanie Schmalbach ist Auszubildende bei ZF. „Wir haben eine Chatgruppe und da überlegen wir gemeinsam, wie wir die Trends ...
Melanie Schmalbach ist Auszubildende bei ZF. „Wir haben eine Chatgruppe und da überlegen wir gemeinsam, wie wir die Trends umsetzen können.“ | Bild: Simon Conrads
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Luis Bihler, 20, ist ebenfalls in den Videos zu sehen und versucht für ZF aktuell, den TikTok-Algorithmus etwas besser zu verstehen. Er studiert an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Ravensburg Wirtschaftsinformatik, den praktischen Teil der Ausbildung absolviert er beim Automobilzulieferer in Friedrichshafen. Für eine Projektarbeit im Studium untersucht er nun, ob Beiträge auf TikTok an bestimmten Wochentagen oder Uhrzeiten besonders vielen Menschen zugespielt werden. „Da gucke ich: Was gibt es für Fakten, die uns nützlich sein können“, sagt Bihler über seine Untersuchung. Fürs Erste sind die TikTok-Beauftragen von ZF mit der Reichweite ihrer Videos zufrieden.

Luis Bihler untersucht im Rahmen einer Projektarbeit, wie die Videos besonders viele Menschen erreichen. „Da gucke ich: Was gibt ...
Luis Bihler untersucht im Rahmen einer Projektarbeit, wie die Videos besonders viele Menschen erreichen. „Da gucke ich: Was gibt es für Fakten, die uns nützlich sein können“, sagt er. | Bild: Simon Conrads

So ist die Resonanz

Ob die Videos tatsächlich zu mehr Bewerbungen führen, wird sich erst in der nächsten Einstellungsrunde zeigen. „Nächstes Jahr werden wir das bei der Abfrage, wie die Leute auf uns aufmerksam geworden sind, einbringen“, sagt Laura Mattes. Die TikTok-Videos aus Friedrichshafen sollen zudem auch in den anderen ZF-Standorten Schule machen, um dort ebenfalls potenzielle Auszubildende anzuwerben.

600 Follower hat der Automobilzulieferer bereits generiert.
600 Follower hat der Automobilzulieferer bereits generiert. | Bild: Simon Conrads

Unter den Clips gebe es zwar durchaus auch mal negative Kommentare, sagt Anna-Maria von Stein. Wiederkehrend in den Kommentarspalten ist etwa eine vereinfachte Gegenüberstellung von ZF und MTU, obwohl das Unternehmen selbst noch nicht auf TikTok ist. „MTU für immer“ heißt es von einem Nutzer. Lob gibt es für die ZF-Videos allerdings auch. Im Wortlaut schreibt ein Nutzer: „Beste Werbung ganz bodensees.“