Viertel vor zwei. In genau 15 Minuten beginnt das Spiel des Deutschen WM-Kaders gegen Japan in Katar. Während im Wüstenstaat die Stadien vor Hitze geschützt werden, hat das Team des Gastronomie Lammgarten Heizstrahler in die Bäume gehängt – und es wird Glühwein ausgeschenkt. Vom Sommermärchen träumt hier niemand. Doch wie ist sonst die Stimmung unter den Fans? Dass will der SÜDKURIER herausfinden – und hat sich unter die Zuschauer gemischt.

Uwe Jäger, Stephan Horvath und Frank Jäger lassen sich die Stimmung nicht vermiesen.
Uwe Jäger, Stephan Horvath und Frank Jäger lassen sich die Stimmung nicht vermiesen. | Bild: Benjamin Schmidt

„Es ist zu spät, sich jetzt über die WM zu beschweren“, findet Uwe Jäger aus Tettnang. Er ist mit Freunden zum Spiel gekommen und trinkt mit ihnen vor Anpfiff ein Bier. Und er ergänzt: „Man sollte diese ganze Diskussion jetzt nicht auf die Spieler abwälzen, die können doch nichts dafür.“ Jäger sagt den Jungs einen Sieg voraus, 2:0 für Deutschland.

Eveline (links) und Anschana Hack aus Ailingen sind Fußball-Fans. Anschana zeigt einen Post der deutschen Mannschaft. „Auch ohne ...
Eveline (links) und Anschana Hack aus Ailingen sind Fußball-Fans. Anschana zeigt einen Post der deutschen Mannschaft. „Auch ohne Binde – unsere Haltung steht“. | Bild: Benjamin Schmidt

Trotz allem Freude am Sport

Einige Tische weiter stehen Eveline und Anschana Hack aus Ailingen, beide eingefleischte Fußballfans. „Ich finde es klasse, dass es Public Viewing gibt“, sagt Eveline Hack. „Aber wie mit den Arbeitern in Katar umgegangen wird, das ist einfach schlimm.“ Ihre Tochter nickt. Die Freude am Sport wollen sich die beiden aber nicht vermiesen lassen. Für die Politik der großen Verbände könnten schließlich die Spieler nichts, finden sie – und die Fans genauso wenig.

Das könnte Sie auch interessieren

Dennoch scheint die Stimmung unter den Zuschauern etwas verhaltener als üblich beim Public Viewing. Das kann auch am kühlen Wetter liegen. Eine Gruppe jüngerer Gewerbetreibender aus der Region will sich besser nicht fotografieren lassen. Einer von ihnen sagt: „Ich sehe mir gerne das Spiel an – das könnten aber meine Kunden anders sehen.“ Dann schiebt er hinterher: „Aber sind wir doch mal ehrlich: Für die Spieler ist es das Größte, bei einer WM auf dem Platz zu stehen. Und viele von ihnen waren noch Kinder, als das entschieden wurde.“ Sein Begleiter fügt an: „Uns geht es um den Sport.“

Joachim und Waltraud Zimmermann sehen sich das Spiel nicht an.
Joachim und Waltraud Zimmermann sehen sich das Spiel nicht an. | Bild: Benjamin Schmidt

„Ich will das boykottieren“

So oder ähnlich äußern sich viele, die gekommen sind. Doch draußen, an der Uferpromenade, sind auch die unterwegs, die das anders sehen. Eine Frau verlässt kurz vor dem Spiel das Areal. „Angesichts der politischen Lage halte ich es unangebracht, sich das hier anzusehen. Ich wollte eigentlich nur das Winterdorf besuchen.

Dann ist Anpfiff. Die gut 120 Zuschauer schauen gebannt auf die Leinwand. In Minute acht fragt der SÜDKURIER ein Pärchen, das von draußen kurz auf die Besucher schaut – und dann weitergeht. Haben sie keine Lust auf Fußball? „Ich will das boykottieren“, sagt Joachim Zimmermann aus Achern. „Die Fans und die Spieler sind doch leider nur Staffage für die Fifa.“ Sonst, so Zimmermann, schaue er auch gerne die WM. Aber diesmal nicht.

Alice Amann und Thomas Vogt vom Lammgarten: Sie freuen sich über die Besucher.
Alice Amann und Thomas Vogt vom Lammgarten: Sie freuen sich über die Besucher. | Bild: Benjamin Schmidt

Minute 18: Lammgarten-Betreiber Thomas Vogt hat kurz Zeit. „Wir sind zufrieden, dass so viele Leute zu Besuch sind.“ Am Sonntag sei zwar mehr los gewesen. Weniger wegen der WM. „Die Leute wollten das Winterdorf sehen.“ Schon seit zehn Jahren veranstaltet Vogt Public Viewing bei großen Fußball-Events. „Dafür haben wir extra einen Leinwand gekauft, die Wind und Wetter standhält.“ Mit der Tradition wollte er nun nicht brechen. „Dennoch ist es im Winter nun ganz was anderes.“ Statt wie üblich 500 bis 600 Besucher sind es nun keine 200. „Das kann aber auch an der Uhrzeit liegen.“ Ein bisschen gemischte Gefühle hat auch er wegen der vielen Debatten über die WM. „Im Internet sind wir auch kritisiert worden, dass wir Public Viewing anbieten.“

Tor! Video: Benjamin Schmidt

Beim Tor wird gejubelt

Minute 33: Tor für Deutschland! Die Zuschauer jubeln, aber nach Euphorie hört sich das nicht an. Bis zur Halbzeit sieht es aber gut aus für das Team. Kurz steht es sogar 2:0 – allerdings wertet der Schiedsrichter das Tor von Kai Havertz als Abseits.

Eddy Buck, Sepp Steidle und Albert Weber stoßen auf die WM an.
Eddy Buck, Sepp Steidle und Albert Weber stoßen auf die WM an. | Bild: Benjamin Schmidt

Halbzeit – Manöverkritik. Eddy Buck, Sepp Steidle und Albert Weber bewerten das bisherige Spiel. Eddy Buck findet: „Die Deutsche Mannschaft ist eindeutig überlegen. Sie haben Spielfreude und den Drang nach vorn. Albert Weber mahnt: „Noch ist das Spiel aber nicht vorbei – wir sind noch immer für ein Gegentor gut.“

Eveline und Anschana Hack aus Ailingen diskutieren derweil einen Post der Deutschen Mannschaft, der zu Spielbeginn veröffentlicht wurde: „Auch ohne Binde – unsere Haltung steht“, ist dort zu lesen. Auf dem Foto halten sich die Spieler den Mund zu. Anschana Hack: „Das ist besser als nichts. Ich finde es einfach krass, dass die Fifa die Binden verboten hat. Auch Mutter Eveline lobt die Aktion. Uwe Jäger, der nicht weit entfernt steht, ist ebenfalls zufrieden mit seiner Mannschaft.

Der Weihnachtsmann ist da

Minute 60: Manfred Netzer sitzt vor dem Eingang des Lammgartens in seinem Rollstuhl und verfolgt von dort aus das Spiel. „Ich bin seit den 60ern Fußball-Fan.“ Eigentlich habe er sich das Match zuhause ansehen wollen. „Aber draußen und mit Leuten ist es doch viel schöner.“ Mit seinem Rauschebart passt er gut vor die Weihnachtsdekoration. „Manche Kinder lachen und freuen sich, dass der Weihnachtsmann da ist“, sagt er und lacht.

Der Rest des Spiels – er war weniger erfreulich für die Fans. Japan gewinnt mit 2:1. Viele von denen, die in den Lammgarten gekommen sind, verabreden sich für das Spiel am Sonntag. Wieder mit Bier und Glühwein. Wieder unter Weihnachtsdeko. Ob es für die Mannschaft noch ein Wintermärchen im heißen Katar gibt, wird sich noch zeigen.