Eva Erben ist eine Frau mit eisernem Willen. Am Vorabend trat sie mit Günther Jauch live in der Sendung Stern-TV auf, am Morgen um 11 Uhr sollte sie bereits in Friedrichshafen sein. Die Zeit war knapp, doch die 94-Jährige wollte auf keinen Fall die Veranstaltung mit den Schülern am Bodensee verpassen. So wurde sie kurzerhand von Köln nach Friedrichshafen geflogen, wo sie von 1500 Jugendlichen im erweiterten Hugo-Eckener-Saal des Graf-Zeppelin-Hauses erwartet wurde. Und sie kam nicht etwa aus der Tiefgarage mit dem Lift oben an. Sie stieg am Haupteingang aus dem Auto aus und lief die Treppe hinunter.

„Nie wieder ist jetzt“, mahnte Bürgermeister Andreas Hein in seiner Ansprache und machte klar, dass nur derjenige, der aus der Geschichte lernt, es in der Zukunft besser machen kann. Die Idee, eine Schulstunde gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit abzuhalten, hatte der stellvertretenden Schulleiter der Realschule Tettnang, Albrecht Elser. Das Interesse der Schüler war so groß, dass es den Rahmen der Schule sprengte.

1500 Schüler begrüßen Eva Erben im Hugo-Eckener-Saal.
1500 Schüler begrüßen Eva Erben im Hugo-Eckener-Saal. | Bild: Anette Bengelsdorf

Kein Handy, kein Tuscheln, kein Gekicher – Philipp Fuhrmann hob den Taktstock und das Jugendsinfonieorchester der Stadt Friedrichshafen stimmte die Titelmelodie des Spielfilms Schindlers Liste an. Als Sologeigerin glänzte die zwölfjährige Mathilda Schöllhorn mit ihrer emotionalen Interpretation und erntete begeisterten Applaus.

Liebe und Geborgenheit, bis die Wehrmacht einmarschierte

Hellblau und rosarot sei ihre Kindheit in der Tschechoslowakei gewesen, erzählt Eva Erben. Sie sitzt mit Gottfried Bühler auf einem sonnengelben Sofa und berichtet unaufgeregt über ihr Leben in Liebe und Geborgenheit. Bis die Deutsche Wehrmacht einmarschierte. 1938 durfte sie als Jüdin zum letzten Mal in die Schule gehen, auch Kino war für Juden tabu. Doch den „Kasper Hitler“, sagt sie, habe ihr Vater nicht ernst genommen. Auch nach der Reichskristallnacht nicht. Das Land der Dichter und Denker würde so etwas nicht zulassen. Davon war er überzeugt.

Doch die Familie wurde aus ihrem Haus vertrieben und mit 50 Kilo Gepäck in eine kleine Wohnung geschickt, 1941 ins Konzentrationslager nach Theresienstadt verfrachtet. 60.000 bis 70.000 Menschen waren dort in riesigen Schlafsälen zusammengepfercht. Tagsüber schufteten die Kinder für die Deutschen auf dem Feld. Das Gemüse landete aber nie auf ihren Tellern. Nur manchmal gelang es dem Mädchen, im BH ihrer Mutter Äpfel zu schmuggeln.

Moderator Gottfried Bühler vom ICEJ spricht auf der Bühne mit Eva Erben.
Moderator Gottfried Bühler vom ICEJ spricht auf der Bühne mit Eva Erben. | Bild: Anette Bengelsdorf

Eine Begegnung mit Adolf Eichmann, als SS-Obersturmbannführer einer der Hauptorganisatoren des Holocaust, blieb ihr besonders in Erinnerung. Als Eichmann einen blonden, blauäugigen Jungen im KZ erblickte, blieb er stehen und schenkte dem Buben ein Bonbon. Schade, habe Eichmann gesagt, dass du ein Jude bist.

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Das Mädchen träumt von zuhause und von Essen

1944 folgten Eva und ihre Mutter dem Vater ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Hunde, Gestank und Gebrüll nahmen sie dort in Empfang, die qualmenden Schornsteine hielt das Kind für jene von Fabriken. 1000 Frauen lebten in einer Baracke zusammen, jeweils fünf mussten sich nachts eine Doppelpritsche teilen. Das Kind träumte von zuhause und, hungrig, ständig vom Essen. Eines Tages, erinnert sich Eva Erben, habe eine Frau für die Kinder ein virtuelles Gulasch gekocht. „Wir konnten es riechen und wurden satt von ihrer Stand-up-Comedy.“ Die Frau sei nicht verrückt, sondern eine Heldin gewesen.

Phillip Schreiner, Lorenz Rösler und Benedikt Kiechle von der Realschule Tettnang sind drei der sechs Schüler, die Eva Erben Fragen ...
Phillip Schreiner, Lorenz Rösler und Benedikt Kiechle von der Realschule Tettnang sind drei der sechs Schüler, die Eva Erben Fragen stellen durften. Moderator Gottfried Bühler hält die Holocaust-Überlebende im Arm. | Bild: Anette Bengelsdorf

Nackt antreten vor dem Lagerarzt Josef Mengele

Hochkonzentriert und aufmerksam hängen die Jugendlichen an den Lippen der zerbrechlich wirkenden Frau, deren Stimme fest und entschlossen klingt, auch wenn sie nach vergessenen deutschen Worten sucht.
Ihre Begegnungen mit Lagerarzt Josef Mengele, der immer nackt antreten und die Frauen und Mädchen oft stundenlang in der Kälte stehen ließ, war ein Alptraum. Er sortierte die Arbeitsfähigen aus den Todgeweihten aus. Eva Erben hatte Glück. Sie überlebte auch die Spritze, die allen mit einer einzigen Nadel verabreicht wurde. Die eitrige Entzündung, die das Experiment hinterließ, bekämpfte eine Ärztin mit einem rotglühenden Messer.

Auf dem Todesmarsch bleibt Eva allein zurück

Dann kam der sogenannte Todesmarsch, auf den die Häftlinge geschickt wurden. Zu Fuß bei Temperaturen bis minus 20 Grad traten die Lagerinsassinnen den Weg in andere Lager an. 700 Kilometer sei sie in einem paar Schuhen gelaufen, das sie von einem wohlwollenden Aufseher bekommen hatte, erzählt Eva Erben. Die meisten der Frauen überlebten den Fußmarsch nicht, starben an Erschöpfung. Auch Evas Mutter verließ die Kraft. Dieser Tag sollte zum Schicksalstag von Eva Erben werden. Die Frauen lagerten in einem Stall und Eva verkroch sich in einem mistverschmutzten, warmen Heuhaufen. Als am Morgen Aufbruch war, fanden selbst die Hunde der Aufseher das Mädchen nicht und es blieb allein zurück. „Das Leben ist ein Zufall“, sagt Eva Erben.

Emotionales Ende einer bewegenden Veranstaltung: 1500 Schüler verabschieden Eva Erben mit ihren Handylichtern.
Emotionales Ende einer bewegenden Veranstaltung: 1500 Schüler verabschieden Eva Erben mit ihren Handylichtern. | Bild: Anette Bengelsdorf

Wie sie ihre Traumata und Ängste verarbeitet habe, fragt Benedikt Kiechle, einer der sechs Realschüler aus Tettnang, in einer Fragerunde auf der Bühne. Ohne einen einzigen Augenblick zu zögern, beteuert die alte Dame: „Ich habe mir nicht erlaubt, Traumata zu haben.“ Und auch die Antwort auf die Frage nach der Bedeutung ihres Glaubens überrascht: „Wenn man nackt vor Dr. Mengele steht, wird man von Gott nicht gesehen.“ Auch nicht auf dem Weg in die Gaskammer. Sie sei nicht gottlos, glaube aber an sich und an ihr Gewissen.