Die Ampel ist mal wieder rot. Dabei möchten Autofahrer an der Kreuzung Ailinger Straße/Keplerstraße in Friedrichshafen eigentlich nur rechts abbiegen. Und rechts der Fahrbahn liegt die Tankstelle Tinol. Entlang der Zapfsäulen wäre die Bahn frei. Manche können der Versuchung nicht widerstehen. Sie schlagen rechts ein, rollen über das Grundstück. Von dort geht es auf die Keplerstraße, die Ampel verschwindet im Rückspiegel. Szenen wie diese spielen sich des Öfteren hier ab.
„Das passiert hier stündlich!“
Wie häufig genau das am Tag geschieht, lässt sich an der Tinol allerdings nicht erfragen: keiner da. Das Verkaufshäuschen ist zu, ein Schild weist darauf hin, den Tankautomaten zu nutzen. Doch es gibt einen Ort, gut 700 Meter Luftlinie entfernt, wo Ähnliches geschieht: Die Esso-Tankstelle an der Eckenerstraße. Dort arbeitet Romina Bruno seit vielen Jahren. Sie sagt: „Das passiert hier stündlich!“

Hier kommen Autos vom Romanshorner Platz und müssen an der kreuzenden Eckenerstraße bei Rotlicht halten. Also kreuzen sie mitunter über die Tankstelle und umgehen so die Lichtanlage. Manche machen dann auf der Straße einen U-Turn – also eine Wende um 180 Grad – und fahren in die Kleinebergstraße weiter, um so auf die Paulinenstraße zu gelangen. „Das machen vor allem Leute, die sich auskennen“, erzählt Romina Bruno weiter. Und tatsächlich: Während sie spricht, rauscht ein Taxi über das Tankstellengelände – und nimmt exakt diesen Weg. „Da, schon wieder“, sagt Bruno und schaut etwas genervt durch die Glasscheibe ihres Ladens nach draußen.
Auch Radfahrer kürzen ab
Doch nicht nur Autos nutzen solche Abkürzungen. „Es sind auch zahlreiche Radfahrer“, erläutert Romina Bruno weiter. Das findet sie problematisch: „Wenn dann ein Auto kommt, wird es gefährlich.“ Und tatsächlich: Während einer gut 20-minütigen Beobachtung vor Ort nutzt zwar kein weiteres Auto die Abkürzung – doch zahlreiche Verkehrsteilnehmer auf zwei Rädern.

Tankstellen werden also mitunter als Schleichwege genutzt – doch auch an Ampelkreuzungen werden Autofahrer bisweilen kreativ. So vom SÜDKURIER vor einigen Tagen auf der Kreuzung Messestraße/Rheinstraße beobachtet: Ein Twingo-Fahrer fuhr auf die rote Ampel zu, der kreuzende Verkehr hatte grün. Statt zu halten, bog der Fahrer nach rechts ab, legte einen U-Turn auf der Straße hin und kreuzte so die Messestraße bei grünem Licht.
Das sagt die Polizei
Was würde eine Polizeistreife tun, wenn sie solche Delikte beobachtet? Polizeisprecher Oliver Weißflog sagt: „Wir würden den Fahrer, ob nun per Rad oder per Auto unterwegs, anhalten und zur Rede stellen.“ Würde der jeweilige Fahrer bestätigen, dass er den Weg zur Abkürzung genutzt hat, würde die Tat zur Anzeige bei der Bußgeldstelle führen. Im Kern polizeilicher Ermittlung stünden solche Taten aber nicht. Schwerpunktkontrollen würden nicht durchgeführt.
Überraschend fällt die Antwort der Bußgeldstelle aus, in diesem Fall von Stadtsprecherin Andrea Kreuzer. Sie schreibt: „Das Umfahren einer roten Ampel über ein Tankstellengelände ist aus Sicht der Bußgeldstelle an dieser Stelle nicht zu beanstanden.“ Die Annahme, dass es sich dabei um einen Rotlichtverstoß halte, sei weit verbreitet. Allerdings habe das Oberlandesgericht Hamm in einer Entscheidung vom 2. Juli 2013 festgelegt, dass dieses Verhalten keinen solchen Rotlichtverstoß darstellt. Kreuzer: „An dieser Rechtsauffassung hat sich soweit ersichtlich nichts geändert.“

Weiter führt sie aus: „Das Rotlicht hat den Sinn und Zweck, den hinter dem Rotlicht liegenden geschützten Bereich – im Regelfall die Kreuzung – zu sichern.“ Das Rotlicht verbiete es dagegen nicht, vor der Ampelanlage abzubiegen und einen Bereich zu befahren, der eben nicht durch die Lichtzeichenanlage geschützt sei. Einen Parkplatz etwa – oder eben ein Tankstellengelände.
Keine Handhabe für Bußgeldstelle
Vielmehr liege die Verantwortung bei den Betreibern: „Sollte der Tankstellenpächter im Verhalten der Verkehrsteilnehmenden ein unberechtigtes Befahren seines Grundstückes erkennen, so fällt das in seinen Verantwortungs- und Zuständigkeitsbereich. Als Bußgeldstelle haben wir hier keine Handhabe.“
Das hört Romina Bruno, die an der Esso-Tankstelle arbeitet, nicht zum ersten Mal. „Ähnliche Probleme haben wir mit Autofahrern, die einfach bei uns parken und zum Einkaufen in die Stadt gehen.“ Auch in solchen Fällen müssten die Tankstellenbetreiber selbst aktiv werden und sich um das Abschleppen der Autos kümmern. Aber: „Dafür müssen wir finanziell in Vorleistung gehen“. Dennoch griffen sie und ihre Kollegen beim Seehasenfest und ließen 28 Autos entfernen.
U-Turn an sich hier nicht verboten
Auch wer per U-Turn ein Rotlicht vermeiden möchte, muss in Friedrichshafen kaum Strafe fürchten. Andrea Kreuzer schreibt hierzu: „Kommt dort ein Fahrzeug von Süden und biegt von der Messestraße rechts in die Rheinstraße Richtung Möbelhaus ab, um dann dort den Turnaround zu machen, ist das in dieser Form nicht verboten, sofern die übrigen Regelungen der StVO eingehalten werden.“
Allerdings ist dieser U-Turn gar nicht so leicht rechtskonform hinzulegen, wie ein Selbstversuch zeigte: Direkt an der Ampel verhindert ein durchgezogener Streifen das schnelle Wenden. Bis das weiter hinten gelungen ist, stand das Lichtzeichen schon wieder auf rot. Wer den durchgezogenen Streifen ignoriert, zahlt laut Bußgeldstelle 10 Euro. Kommt es zu einem Unfall, sind 35 Euro fällig. Einen Punkt gibt es nicht.