Valentin trippelt vorsichtig den Ball im Slalom um die bunten Hütchen in der Turnhalle der Tannenhag-Schule. Dann nimmt er Anlauf und schießt Richtung Tor. Der Ball landet daneben.

Valentin ist 13 und liebt Bewegung. Bei einem physiotherapeutischen Einzelangebot kann er sich in der Halle austoben.
Valentin ist 13 und liebt Bewegung. Bei einem physiotherapeutischen Einzelangebot kann er sich in der Halle austoben. | Bild: Wienrich, Sabine

Trotzdem lacht der 13-Jährige laut und hebt die Arme in die Luft. Für den Jungen mit geistiger Entwicklungsverzögerung ist es ein großer Erfolg, so viel Kontrolle über seine Bewegungen zu haben. Seine Physiotherapeutin applaudiert: „Super gemacht!“ Man spürt: In dieser Turnhalle geht es um so viel mehr als um ein bisschen Ballsport.

Für Valentin ist der Torschuss ein großer motorischer Erfolg.
Für Valentin ist der Torschuss ein großer motorischer Erfolg. | Bild: Wienrich, Sabine

Toben, Spielen, Laufen – der Stellenwert von Bewegung ist hoch

„Unsere Kinder haben aufgrund ihrer kognitiven und körperlichen Beeinträchtigungen meist Schwierigkeiten bei der Koordination und Planung von Bewegungen“, erklärt Christian Urff, Konrektor der Tannenhag-Schule, „wenn wir das üben und fördern, fördern wir gleichzeitig die gesamte Entwicklung der Kinder, da Bewegung und Kognition ja eng miteinander verknüpft sind.“ Toben, Spielen, Springen, Laufen – Bewegung hat einen hohen Stellenwert in den beiden SBBZ, die sich die Turnhalle mit angeschlossenem Schwimmbecken teilen. „Wir sind Bewegungsschulen“, sagt Ulrike Oechsle, Leiterin der Schule am See, die – anders als die städtische Tannenhag-Schule – in privater Trägerschaft (Stiftung KBZO) ist.

Christian Urff, Konrektor der Tannenhagschule, und Ulrike Oechsle, Schulleiterin der Schule am See, in den sanierungsbedürftigen ...
Christian Urff, Konrektor der Tannenhagschule, und Ulrike Oechsle, Schulleiterin der Schule am See, in den sanierungsbedürftigen Umkleideräumen. | Bild: Wienrich, Sabine

Doch ausgerechnet die beiden Räume, in denen sich die insgesamt rund 183 Schüler der beiden Schulen, mitunter am liebsten aufhalten, sind stark in die Jahre gekommen. Seit 1972 wurde hier kaum investiert. „Wir bangen jedes Jahr darum, dass das Bad weiter für den Badebetrieb freigegeben werden kann“, sagt Urff. Seit einigen Jahren bereits sei der höhenverstellbare Hubboden defekt und werde durch ein Gerüst gestützt. „Wir können nur noch 90 Zentimeter Wassertiefe einstellen, was natürlich für die älteren Schüler mit schweren Beeinträchtigungen und die Therapieangebote der Vereine, die das Bad auch nutzen, nicht funktioniert“, erklärt der Konrektor.

Der Hebeboden des Beckens ist seit Jahren defekt, daher beträgt die Wassertiefe nur 90 Zentimeter.
Der Hebeboden des Beckens ist seit Jahren defekt, daher beträgt die Wassertiefe nur 90 Zentimeter. | Bild: Wienrich, Sabine

Ende 2019 gab es Hoffnung. Vertreter von Verwaltung, Schulen, Gesamtelternbeirat und Gemeinderat erarbeiteten damals eine Priorisierung, bei der die Baumaßnahmen an der Tannenhag-Schule nach dem Neubau der Albert-Merglen-Schule, der Erweiterung der Gemeinschaftsschule Graf Soden und der Erweiterung der Ludwig-Dürr-Schule auf Platz vier stand. Diese Entscheidung wurde vom Gemeinderat im Januar 2020 bestätigt. Die Baukosten für eine Halle mit Bad: 4,2 Millionen Euro.

Verwaltung: Vor 2026 gibt es keine Mittel

Daraus wird vermutlich nun nichts, denn die Verwaltung hat diese Baumaßnahme vorerst geschoben. „Der Verwaltung war bei der Aufstellung des Haushaltsentwurfs durchaus bewusst, dass bei der Beschränkung auf laufende und rechtlich verpflichtende Maßnahmen viele andere wichtige, begründete und wünschenswerte Maßnahmen warten müssen“, heißt es aus der Stadtverwaltung. Vor 2026 sollen keine Mittel eingestellt werden. Heißt: Wenn das Bad nicht mehr betriebsfähig ist, ist es vorbei mit dem Wasser-Therapieangebot der Schulen.

Brauchen diese Schulen ein Bad?

Jeder Stuhl vor der Umkleide ist farblich gekennzeichnet, damit die gehandicapten Kinder genau wissen, wo sie warten müssen.
Jeder Stuhl vor der Umkleide ist farblich gekennzeichnet, damit die gehandicapten Kinder genau wissen, wo sie warten müssen. | Bild: Wienrich, Sabine

Doch brauchen die beiden SBBZ überhaupt ein eigenes Bad? „Das Ausziehen, Anziehen funktioniert mit körperlich schwer gehandicapten Kindern ja ganz anders“, berichtet Oechsle und zeigt auf mehrere Stühle vor der Umkleide, die mit bunten Punkten gekennzeichnet sind. Die Kinder bekommen farbige Punkte als Hilfe zugewiesen und wissen genau, wo sie warten und sich umziehen sollen.

Drinnen finden sich Bildtafeln mit Anleitungen für die Kinder, die besonders für Schüler mit Autismus wichtig seien, so Urff. Umziehen ist hier also nicht nur Mittel zum Zweck, sondern Lerninhalt. „Für unsere Kinder ist die räumliche Nähe des Bads und der Halle zur Schule extrem wichtig“, sagt er, „für viele Kinder sind lange Distanzen sehr schwierig zurückzulegen und sie benötigen diese Vertrautheit.“

Umziehen – bei Kindern mit Förderbedarf funktioniert das nur mit viel Unterstützung.
Umziehen – bei Kindern mit Förderbedarf funktioniert das nur mit viel Unterstützung. | Bild: Wienrich, Sabine

Daher sei ein Besuch im Sportbad gerade mit den jüngeren Kindern unmöglich. „Da wäre der personelle Aufwand viel zu groß, denn unsere Kinder brauchen eine 1:1-Betreuung“, erklärt Oechsle. Mit den älteren Kindern der Tannenhag-Schule funktioniere das Sportbad besser – aber auch nur deshalb, weil sie den Umgang mit Wasser im kleinen, vertrauten Rahmen bereits gelernt haben, so Urff.

Sabine Scheffer-Bulach mit Lorena, heute 15 Jahre alt.
Sabine Scheffer-Bulach mit Lorena, heute 15 Jahre alt. | Bild: privat

Schwimmen gehen mit Kindern und Jugendlichen mit geistigen und körperlichen Handicaps – das ist alles andere als eine lustige Planscherei. Sabine Scheffer-Bulach, Mutter der 15-jährigen Lorena und Vorsitzende des Elternbeirats der Tannenhag-Schule, weiß, was es bedeutet ein entwicklungsverzögertes Kind in ein öffentliches Bad mitzunehmen.

„Ein öffentliches Bad überfordert die Kinder oft“

„Es ist laut, überall sind Reize, die Blicke der anderen machen die Kinder und Eltern nervös“, sagt sie. Zwei Schwimmkurse habe sie mit ihrer Tochter begonnen, beide erfolglos. „Lorena ist eine große Wasserratte, aber sie ist völlig überfordert in diesen Bädern gewesen und hat das Schwimmen erst mit dem Wechsel in die Tannenhag-Schule gelernt“, sagt Scheffer-Bulach. Da könne ein Bad noch so behindertengerecht ausgestaltet sein, wie das Sportbad, das nutze nichts, solange die Kinder nicht selbstständig genug seien dafür.

In dem kleinen Becken spüren Kinder, die sich kaum bewegen können, Schwerelosigkeit.
In dem kleinen Becken spüren Kinder, die sich kaum bewegen können, Schwerelosigkeit. | Bild: Wienrich, Sabine

„Wir Eltern rechnen jedes Jahr damit, dass das Bad zugemacht wird“, sagt die zweifache Mutter, „dabei ist es so unglaublich wichtig für unsere Kinder.“ Am schlimmsten sei es, immer wieder enttäuscht zu werden: „Wir hatten wirklich Hoffnung, dass das die nächsten Jahre etwas wird. Irgendwie haben wir das Gefühl mit unserer vergleichsweisen kleinen Schule und unseren Kindern oft vergessen zu werden.“

Neben der Turnhalle gibt es dort ein kleines Schwimmbad mit einem Becken, das direkt angrenzt.
Neben der Turnhalle gibt es dort ein kleines Schwimmbad mit einem Becken, das direkt angrenzt. | Bild: Wienrich, Sabine

Das wollen die beiden Schulleitungen verhindern – und zumindest eine baldige Planung der Maßnahmen auf den Weg bringen, damit dann 2026 spätestens auch direkt gestartet werden kann. „Wir wollen uns nicht vordrängen, denn wir wissen, wie wichtig die Baumaßnahmen an den anderen Schulen sind und unterstützen auch die Priorisierung“, sagt Urff. Aber wer mal gesehen habe, wie schwerbehinderte Kinder, die sich kaum bewegen können, im Wasser aufblühen, sich tragen lassen, gleiten und in diesen Momenten Bewegung sehr intensiv spüren, der wisse, dass es dabei nicht um Luxus geht.