Früher habe er mit seinen Angestellten schimpfen müssen, wenn Gäste sich beschwerten. Heute muss er mit der Kundschaft diskutieren und seine Angestellten in Schutz nehmen, damit sie bei ihm bleiben. So schildert Thomas Vogt die angespannte Personalsituation in der Gastronomie. Er ist Geschäftsführer des „Lammgarten“ an der Promenade in Friedrichshafen. Er zitiert einen Satz, der die Situation zusammenzufassen scheint. Gerichtet ist der an die Kundschaft: „Unsere Kellner sind uns wichtiger als ihr.“
Behandelt wie ein Hund
Als „Katastrophe“ beschreibt Thomas Vogt die Situation. Er habe es mit Zeitungsanzeigen probiert, ein Imagevideo gedreht, über Lohn und Freizeitausgleich versucht, den Job attraktiv zu machen. Aber: „Da kommt nichts nach.“ Gleichzeitig komme immer mehr Kundschaft, mit immer höheren Ansprüchen. „Die wollen perfekt behandelt werden“, sagt Thomas Vogt. Wenn es mit Bestellungen mal etwas länger dauert, gebe es direkt Beschwerden und schlechte Bewertungen online. „Da wird man manchmal behandelt wie ein Hund“, sagt der Gastronom. Er nimmt eine richtige Aggressivität bei der Kundschaft wahr. Und teilweise hielten das seine Mitarbeiter nicht aus – während der Pandemie wechselten drei seiner Beschäftigten in die Industrie.
Nun überlegt Thomas Vogt, ob er den „Lammgarten“ einen Tag die Woche schließt, um etwas Druck aus der Situation zu nehmen. Das komme für eine Gastronomie in der Tourismusregion aber eigentlich nicht in Frage, da sei jeder Tag wichtig. Eine Anwerberprämie von 1000 Euro auszuschreiben, wie es kürzlich ein Restaurant in Ravensburg tat, sieht der Gastronom nicht als Lösung. „1000 Euro sind schon eine Nummer“, sagt Vogt. Er hat das Glück, dass die ganze Familie aushilft – denn Besserung sei nicht in Sicht.
Freizeitausgleich als Anreiz
„Die Familie fängt das auf“, sagt auch Raphael Santoni, Geschäftsführer des „Zum Klosterwirt“ in der Häfler Flugplatzstraße. Aber er bestätigt: „Wir haben, wie alle anderen, zu kämpfen.“ Eine Anwerberprämie sei keine Seltenheit, aber er sieht sie problematisch. Denn in der Branche herrsche eine hohe Fluktuation. „In Deutschland liegen mehr Rechte beim Arbeitnehmer. Wenn die Leute wechseln wollen, sind sie weg“, sagt Santoni. Bei der Auszahlung einer Anwerberprämie nach einer Probezeit würde er befürchten, dass die Leute direkt im Anschluss kündigen.
In seiner Wahrnehmung hat die Pandemie zur Notsituation beigetragen: Das Personal der Gastrobranche sei es gewohnt gewesen zu arbeiten, wenn andere Menschen ihr Leben genießen. Als die Gastronomie geschlossen war, hätten die Beschäftigten ihre Freizeit wiederentdeckt, sagt Santoni. Deshalb versucht er, seinen Mitarbeitern eine gute Balance von Arbeit und Freizeit zu ermöglichen. Am Sonntag hat das Restaurant geschlossen, dazu bekommen die Arbeitskräfte einen weiteren Tag komplett frei. Drei Mitarbeiter-Benefits sind im Karriere-Abschnitt auf der Website des Klosterwirt gelistet: „Zeit für deine Lieben“, faire Vergütung und Wertschätzung.
Nur die Hälfte der Bewerber erscheint zum Vorstellungsgespräch
Trotzdem hätten die Stellenausschreibungen wenig Erfolg, sagt Raphael Santoni. „Wir bekommen nur selten vollständige Bewerbungen.“ Und: Nur die Hälfte der eingeladenen Bewerber erscheine auch zum Vorstellungsgespräch. Wenn er Arbeitskräfte aus dem Ausland anwirbt, müsste er Unterkünfte zur Verfügung stellen. Beim angespannten Wohnungsmarkt in Friedrichshafen eine weitere Hürde. Anstrengende und ungeduldige Gäste erlebt Santoni zwar auch, das beschränke sich aber auf einen Bruchteil seiner Kundschaft.
Das sagt die IHK Bodensee-Oberschwaben
Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Bodensee-Oberschwaben ordnet für den SÜDKURIER die Dimensionen des Personalmangels ein. „In der Corona-Pandemie haben sich bis zu 30 Prozent der Beschäftigten in der Tourismuswirtschaft, zu der auch Hotellerie und Gastronomie gehören, beruflich umorientiert. Nach der Pandemie sind nur wenige dieser Beschäftigten wieder in die Tourismusbranche zurückgekehrt“, schreibt Bernhard Nattermann, Referent für Handel, Dienstleistungen und Tourismus.

Das hat eingeschränkte Leistungsangebote zur Folge: In Hotels würden teils weniger Zimmer vermietet, in der Gastronomie komme es eben zu Schließtagen und verringerten Öffnungszeiten. Das Angebot auf Speisekarten werde eingeschränkt, es gebe in Hotels statt Bedienung am Platz Büfetts und manche Neueröffnungen würden wegen des Fachkräftemangels verschoben oder verworfen.
Betriebe müssen sich arrangieren
Die IHK spiegelt zu den Gründen für den Personalmangel die Erfahrungen von Raphael Santoni aus dem „Klosterwirt“: Dass Beschäftige im Gastgewerbe auch an Wochenenden und Feiertagen arbeiten müssen, schrecke viele Menschen ab. Zusätzlich sei die Arbeit zu den Stoßzeiten durchaus fordernd. Eine einfache Lösung des Fachkräftemangels sei nicht in Sicht, schreibt Bernhard Nattermann. „Deshalb müssen sich die Betriebe so gut es geht mit den schwierigen Rahmenbedingungen arrangieren und für sich selbst Wege finden, wie das Angebot auch mit weniger Personal ohne allzu große Einschränkungen aufrechterhalten werden kann.“