Eine Viertelstunde vor Beginn sieht es nicht so aus, als würden viele Häfler dem Aufruf des Bündnisses für Demokratie und Toleranz folgen. Die Menge derer, die sich auf dem Fridolin-Endraß-Platz eingefunden haben, ist bunt, aber überschaubar, und mancher zeigt sich enttäuscht, dass nicht mehr für das Motto „Herz und Haltung statt Ausgrenzung“ an diesem sonnigen Sonntagnachmittag auf die Straße gehen wollen. Nach einer kurzen Ansprache eines Ordners, der darauf hinweist, dass Partei- und Länderfahnen verboten, andere Schilder aber herzlich willkommen seien, setzt sich der Tross in Richtung Eugenstraße in Bewegung. Und dann werden es immer mehr.

Vom Fridolin-Endraß-Platz ziehen die Demonstranten über die Riedleparkstraße Richtung Adenauerplatz.
Vom Fridolin-Endraß-Platz ziehen die Demonstranten über die Riedleparkstraße Richtung Adenauerplatz. | Bild: Anette Bengelsdorf
Das könnte Sie auch interessieren

Da sind die Omas gegen Rechts, Familien mit Kindern, Christen, Muslime, Aktive gegen Homophobie und Queere, Großväter und Mitglieder des Gewerkschaftsbunds. Als der Zug die Unterführung der Riedleparkstraße passiert, ist sein Ende nicht zu sehen. Zuschauer gibt es nur wenige, auf dem Bürgersteig in der Friedrichstraße stellen ein paar Andersdenkende die bestehende Ordnung auf Pappschildern infrage. Die Demonstration ist friedlich, es wird gesungen und aufkeimende, polarisierende Kampfrufe im Keim erstickt. Auf dem Adenauerplatz angekommen, stehen die Menschen dicht gedrängt bis in die Karlstraße. Auf etwa 2300 Teilnehmer kommt jetzt die Zählung der Polizei, die die Kundgebung sichert.

„Wir sind für Demokratie“

„Wir sind für und nicht gegen etwas“, stellt Ralf Brennecke, evangelischer Pfarrer und Moderator der Kundgebung, fest. „Wir sind für Demokratie“. Wobei hier durchaus auch gegen Dinge demonstriert wird. So wird zum Beispiel ein Wischmopp mit der Aufschrift „Friedlicher Mopp gegen Rechtsextremismus“ geschwenkt oder ein Schild „braune Sch… braucht niemand“ hochgehalten. Auf einem anderen Schild stürzt die AfD vom Felsen des Grundgesetzes. Neben einem stilisierten schwarzen Oberlippenbart ist zu lesen: „Nein“.

„Einige von Ihnen haben noch den Übergang von der Diktatur zur Demokratie erlebt“, vermutet Eugen Lippus stellvertretend für den Seniorenrat. Heute sei sie zu einem selbstverständlichen und nicht verhandelbaren Teil unseres Lebens geworden.

Eugen Lippus spricht für den Seniorenrat. Für ihn ist Demokratie nicht verhandelbar.
Eugen Lippus spricht für den Seniorenrat. Für ihn ist Demokratie nicht verhandelbar. | Bild: Anette Bengelsdorf

Dafür zu sorgen, dass das so bleibt, sei die Verpflichtung der Mehrheitsgesellschaft, findet Barbara Zierhut-Vozikis. Als Ärztin und Mutter mit griechischen und österreichischen Wurzeln schätze sie Friedrichshafen für seine Vielfalt und sein friedliches Miteinander. „Die Welt ist zu Hause in Friedrichshafen“, sagt sie fürs Forum der Kulturen und wird dafür mit Applaus belohnt. Auch der Imam der Ahmadiyya-Muslime, Sharib Ahmad, fordert: „Lasst uns als verschiedene Kulturen und Völker zusammenkommen, anstatt uns zu spalten. Denn vor Gott sind wir alle gleich und eine Familie.“

Für das Forum der Kulturen spricht Barbara Zierhut-Vozikis über das friedliche Miteinander in Friedrichshafen.
Für das Forum der Kulturen spricht Barbara Zierhut-Vozikis über das friedliche Miteinander in Friedrichshafen. | Bild: Anette Bengelsdorf

Dann nutzt er die Plattform vor dem Rathaus, um den Krieg im Nahen Osten zu thematisieren, was bei manchen Demonstranten für Unmutsbekundungen sorgt. Matthias Brugger, Musiker aus Tettnang, stimmt seine Gitarre und den musikalischen Appell für eine bessere Welt, gegen Habgier, Krieg und Hunger an. Die Menge singt die berühmte Ballade „Imagine“ von John Lennon mit.

Matthias Brugger singt „Imagine“ von John Lennon: ein Appell gegen Habgier, Krieg und Hunger.
Matthias Brugger singt „Imagine“ von John Lennon: ein Appell gegen Habgier, Krieg und Hunger. | Bild: Anette Bengelsdorf

Oberbürgermeister Andreas Brand tritt ans Rednerpult. „Nicht nur deutschlandweit, auch in unserer Stadt zeigen Bürger klare Kante“, sagt er. Es sei ein kraftvolles Zeichen, für die Demokratie auf die Straße zu gehen, die unsere Freiheit sichere, jederzeit unsere Meinung sagen zu dürfen. Blende man in die Zeit des Widerstandskämpfers Fridolin Endraß zurück, „dann wissen wir, wofür wir eintreten“, so Brand. Und weil Gleichgültigkeit und Wegschauen die Waffen derer seien, die unsere freiheitlich demokratische Grundordnung zerstören wollen, sei es wichtig, wählen zu gehen. „Wir haben es selbst in der Hand, unsere Demokratie und unsere Stadt zu gestalten“, sagt der OB.

Oberbürgermeister Andreas Brand fordert die Bürger auf, wählen zu gehen, um zu verändern und zu gestalten.
Oberbürgermeister Andreas Brand fordert die Bürger auf, wählen zu gehen, um zu verändern und zu gestalten. | Bild: Anette Bengelsdorf

Es ist 16.15 Uhr, als Stefan Ardemani, Diakon der katholischen Gesamtkirchengemeinde, und der evangelischen Schlosskirchenpfarrer Reimar Krauß ein Friedensgebet einer kenianischen Ordensschwester vortragen. Danach betritt der jüngste Redner die Bühne. Stefan Piram, Mitglied des Jugendparlaments, zitiert den ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer: „Demokratie ist mehr als eine parlamentarische Regierungsform, sie ist eine Weltanschauung, die wurzelt in der Auffassung von der Würde, dem Wert und den unveräußerlichen Rechten eines jeden einzelnen Menschen.“ Damit macht der Zehntklässler unmissverständlich klar, wofür er als Jugendlicher steht.

Stefan Piram spricht stellvertretend für das Jugendparlament und zitiert Konrad Adenauer.
Stefan Piram spricht stellvertretend für das Jugendparlament und zitiert Konrad Adenauer. | Bild: Anette Bengelsdorf

Dann wird zum ersten Mal die Partei beim Namen genannt, der die klare Kante gilt. Frank Kappenberger vom Deutschen Gewerkschaftsbund Ravensburg erinnert an den 2. Mai 1933, als alle Gewerkschaften geschlossen und Mitglieder ermordet wurden. „Solange wir die Demokratie verteidigen, solange wird es der AfD nicht gelingen, sich als bürgerliche Partei etablieren zu können“, sagt er. „Nie wieder ist jetzt!“

Das könnte Sie auch interessieren

„Wir dürfen die Demokratie niemals wieder aufgeben“

Wie wichtig der rechtzeitige Kampf gegen Feinde der Demokratie ist, macht der letzte Redner klar. Peter Gerstmann, Vorstandsvorsitzender des Zeppelin-Konzerns, erinnert sich an seinen Großvater, der ihm mit Tränen in den Augen erzählte, dass sich das Unheil damals nicht verhindern ließ. „Es ist unsere Pflicht, dafür zu kämpfen, dass wir keinen einzigen Wähler an die Faschisten verlieren“, sagt er. „Wir dürfen die Demokratie niemals wieder aufgeben. Dafür stehe ich heute hier.“