Das trübe Wetter konnte die Laune der Demonstrierenden nicht trüben. Immerhin fielen nur vereinzelt Regentropfen. Vom Sammelpunkt auf dem Adenauerplatz zog der Queer-Pride-Marsch mit einer Schlaufe über Kirchplatz, Schanzstraße und Buchhornplatz zur Musikmuschel, wo die Kundgebungen stattfanden.
Mit einem ernsten Hintergrund fühlen sich viele Transsexuelle dazu gezwungen, sich zu positionieren. Einerseits befindet sich das deutsche Transsexuellengesetz fast noch auf demselben Stand wie bei seiner Verabschiedung im Jahr 1981, andererseits erfahren Transsexuelle auch anderweitig Diskriminierung oder werden zu Opfern von Gewaltverbrechen. Allein die Hellziffer transphober Morde lag nach Angaben des Trans-Murder-Monitoring-Projekts im Jahr 2019 bei 331. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen, da viele Länder Transidentitäten gar nicht statistisch erfassen.
Kleines Glossar
Joshua Kosorg ist als Dragqueen „Miss Electra Edwards„ zur Kundgebung gekommen: „Ich möchte meine Unterstützung für die LGTBQ-Bewegung zeigen und dachte außerdem, es ist ein guter Ort, um mit Vorurteilen über Dragqueens aufzuräumen. Es ist ein ganz normales Hobby, genau wie etwa zu gärtnern und im Garten besonders schöne Blumen zu pflanzen.“ Maske ist trotz Make-up keine Frage: „Das verschmiert zwar etwas, aber Gesundheit geht vor.“
Nicole Schaening und Britta Scholl machen zur Zeit Urlaub in Kressbronn. Scholl sagt: „Ich habe ein Plakat zu heute in einer Buchhandlung entdeckt und da haben wir uns gesagt: Wir gehen mal hierhin.“ Schaening erklärt: „Es ist bedenklich, was es derzeit für Strömungen in unserer Gesellschaft gibt. Und wenn man dann noch ins Ausland schaut, nach Ungarn und Polen, das macht schon Angst. Es ist wichtig, dem entgegenzutreten.“
Janina Winter kommt aus Mühlhofen und fragt halb im Ernst, ob sie über diesen Artikel ihre Traumfrau finden könne: „Gerade jetzt zur Corona-Zeit fehlen Begegnungsorte und generell ist das in kleinen Orten selten. Ich glaube, es ist wichtig, sichtbar zu sein, Präsenz zu zeigen und ich freue mich, hier die Gelegenheit zu haben, auf Menschen zu treffen, die ähnlich fühlen wie man selbst.“
Janka Kluge gehört zu den Rednerinnen bei der Kundgebung und erinnert sich an die Verabschiedung des Transsexuellengesetzes, das 1981 in Kraft trat: „Das traf mich wie ein Schlag und ich wusste: Jetzt kann ich leben, jetzt kann ich überleben.“ Kluge betont aber auch, dass auch heute noch Diskriminierung Realität sei: „Ich habe eine Facebookseite, auf der ich alle Übergriffe auf Transpersonen zusammenfasse und bin sprachlos, was ich da sehe. Fast jeden Tag wird jemand von uns ermordet. Aus den Gesprächen mit Geflüchteten weiß ich außerdem, wie der Umgang mit uns in Westafrika und teilweise auch Ostafrika ist. Ich fordere daher: Transsexualität muss als Fluchtursache anerkannt werden.“
Christa Rembold kommt aus der Nähe von Ulm und engagiert sich dort in einem CSD-Verein: „Es geht letzten Endes um Sichtbarkeit, denn es gibt immer noch viel zu tun, auch wenn in den letzten 20, 30 Jahren schon viel erreicht wurde. Es ist immer noch nicht so weit, dass wir ganz selbstverständlich als Teil der Gesellschaft behandelt werden.“
Jonas Lang kommt aus Dornbirn und ist bei der „foqus“-Gruppe Ravensburg aktiv, die sich in der Region für die Rechte der LSBTTIQ+-Gemeinschaft einsetzt: „Ich bin einerseits hier, um foqus zu repräsentieren. Andererseits finde ich es einfach wichtig, auch in Friedrichshafen Flagge zu zeigen und Regenbogen zu tragen.“
Susana Pereira-Dias gehört zu den Rednerinnen und bedauert: „Ich bin nicht lesbisch genug für die lesbische Community und nicht heterosexuell genug für den Rest der Gesellschaft. Ich sehe mich nicht einmal in meiner eigenen Community. Das ist keine Phase. Ich liebe Männer und ich liebe Frauen.“ Gleichzeitig mag sie mit den Vorurteilen gegen Bisexuelle aufräumen: Auch sie sei treu, auch sie könne ein Leben lang in einer Beziehung bleiben.
Martin Mohr kommt aus Weingarten, verortet sich selbst innerhalb der queeren Community, und gehört zum Verein foqus: „Die Schwierigkeit ist ja, dass es gar nicht zur Debatte steht, hierherzukommen. Es ist die Notwendigkeit, die leider immer noch da ist. Es gibt immer noch Wunden, in die man den Finger legen muss.“
Nils Mayer kommt aus Ravensburg und kombiniert die Regenbogenflagge mit antifaschistischen Symbolen. Er sagt: „Ich finde, gerade in der linken Bewegung müssen wir uns positionieren, wenn wir uns selbst als weltoffen bezeichnen wollen. Denn ich sehe schon auch in der linken Bewegung, dass die oft sehr weiß und sehr cis-männlich ist. Ich bin selbst Cis-Mann und kann zur Thematik nicht so viel sagen, aber ich bin hier, um meine Unterstützung zu zeigen.“
Helene Hartly kommt aus Ravensburg und ist eng mit einer der Veranstalterinnen befreundet: „Ich bin heute nicht nur hier, weil ich selbst ein queerer Mensch bin. Ich bin auch hier, um andere zu unterstützen: Das ist ein Geben und Nehmen. Es ist schön zu sehen, wie viele hier zusammengekommen sind, obwohl es eher ein kleines Einzugsgebiet ist.“
Aleksandra Dismeska kommt aus Friedrichshafen und möchte den Anlass nutzen, um auf eine aktuelle Problematik aufmerksam zu machen: „Ich weiß, was derzeit in Polen passiert. Ich habe Freunde da. Das Land macht gerade 100 Schritte zurück nach 20 Jahren Queer Pride. Das ist traurig.“ Sie selbst stammt aus Nordmazedonien und ist mit einer kleinen Gruppe da.
Tristan Barteczek ist Sozialarbeiter und macht bald seinen Master. Die Aufklärung zu Transsexualität ist ihm als Transmann ein großes Anliegen: „Ich hatte lange gar kein Wort für das, was ich bin. Ich finde, es muss viel mehr Aufklärung und Bildung darüber geben. Und ich denke auch, wenn Menschen mich dann fragen und die Frage vielleicht diskriminierend formuliert ist, geht es erst einmal darum, dass der Austausch da ist. Dann kann man gemeinsam schauen, was ist politisch korrekt. Ich persönlich wünsche mir einfach nur, dass ich ein normales Leben führen kann. Ich bin derzeit zwischen Ulm, Heilbronn und Bad Schussenried unterwegs, um zur Psycho- und Hormontherapie und an meinen Arbeitsplatz zu kommen. Es wäre schön, wenn ich für Arztbesuche als Transmann nicht durch die halbe Republik müsste.“
Felix Heinzelmann-Emden (gebürtiger Häfler, aktuell Student in Konstanz) nutzt die Bühne, um auszusprechen, was er als Transmann an Diskriminierung erfährt und erklärt, wieso es wichtig wäre, dass eine Namensänderung einfacher erfolgen könnte, als es derzeit der Fall ist: „Ich muss bis zu zehnmal täglich meinen alten Namen eingeben, wenn ich mich ins Intranet meiner Uni einloggen möchte. Und weil auch auf den Namenslisten, die zu Semesterbeginn an die Dozenten verteilt werden, mein ‚dead name‘ steht, bin ich dazu gezwungen, mich zu Beginn jedes Semesters vor jedem Dozenten zu outen und um die Verwendung meines richtigen Namens zu bitten.