Im Schaufenster von Saupp-Moden in der Schanzstraße stehen nackte Schaufensterpuppen, zu haben für 30 Euro. Der benachbarte Herrenausstatter Müller verkündet mit roten Plakaten den Räumungsverkauf. Ein paar Schritte weiter heißt es bei „Deep Blue“ an der Seepromenade „Alles muss raus“ wegen Geschäftsaufgabe. „Totalräumung“ steht auch bei „Dizi“ in der Karlstraße an. Traditionsgeschäfte wie die Stoff Galerie oder Nähmaschinen Hättig haben schon dicht gemacht. Die Gründe wie Alter, Corona und Online-Handel machen es dem Einzelhandel in der Innenstadt schwer.

Saupp-Moden verkauft sein Inventar.
Saupp-Moden verkauft sein Inventar. | Bild: Corinna Raupach

Martin Ruf ist neuer Vorsitzender des Stadtforums und im Immobiliengeschäft tätig. „Das Stadtforum fordert die Verbesserung der Aufenthaltsqualität, viele empfinden die Stadt als etwas öde“, sagt er. Eine attraktive Innenstadt müsse Event-Charakter bieten: „Die Leute wollen zum Beispiel einkaufen, Kleinkunst und schön essen gehen. Friedrichshafen ist wegen der Lage am See im Nachteil, weil es nach Süden keine Infrastruktur und kein Einzugsgebiet gibt. Andererseits bietet der See tolle Chancen für eben diesen Event-Charakter. Und die Kaufkraft ist da“, sagt er.

Martin Ruf
Martin Ruf | Bild: Toni Ganter

Daher begrüße das Stadtforum, dass die Planungen für das Zoll-Areal begonnen haben. „Wir vom Stadtforum wollen positive Kreativität wecken, viele kleine Schritte gehen, die nicht viel kosten“, sagt Ruf. Er könnte sich mehr Gastronomie vorstellen, Cafés, gehobene Restaurants, regionale Spezialitäten und mehr Ausgehmöglichkeiten nach 18 Uhr. Zu einer lebendigen Innenstadt gehöre die Verbindung mit Kunst und Kultur, eine gute Infrastruktur etwa bei der ärztlichen Versorgung und eine gute Erreichbarkeit.

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Da seien alle gefordert, auch die Eigentümer. Ruf plädiert für funktionierende Gesamtkonzepte statt Mietenmaximierung. Er rät seinen Kunden, bei Vermietung auf Nachhaltigkeit zu setzen. „Bei einer Spielothek oder einem Schnellimbiss im Erdgeschoss kann ich hohe Mieteinnahmen erzielen. Dafür werde ich kaum langfristige Mieter für die Wohnungen darüber bekommen und schade dem Gesamtumfeld“, sagt er.

„Der kleine Händler kann sich das auf Dauer nicht leisten.“
Thorsten Reber, Geschäftsführer der Meixner-Stadtentwicklung

Thorsten Reber, Geschäftsführer der Meixner-Stadtentwicklung, hält das hohe Mietniveau in den Innenstädten ebenfalls für ein Hauptproblem. „Der kleine Händler kann sich das auf Dauer nicht leisten“, sagt er. Neben Online-Handel und Corona seien Einkaufszentren an den Stadträndern eine Konkurrenz mit Wettbewerbsvorteilen: „Das ist für die Kunden praktisch, die Erreichbarkeit mit dem Auto ist besser und das Parken kostet nichts.“

Räumungsverkauf beim „Deep Blue“ an der Seestraße.
Räumungsverkauf beim „Deep Blue“ an der Seestraße. | Bild: Corinna Raupach

Um eine Innenstadt zu beleben, brauche es zwingend einen Mix aus Wohnen, Kultur, Sozialem, Handel und Dienstleistungen. Vieles sei in Friedrichshafen gegeben: „Ein Museum in der Stadt, das zieht Leute an, auch schöne Buchläden und die Uferpromenade im Sommer, da gehen die Menschen gern hin. Aber man müsste für das Innenstadtbild etwas tun, es etwas aufhübschen“, sagt er. Auch mehr sozialer Wohnungsbau könne eine lebendige Durchmischung fördern.

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Thomas Goldschmidt, Leiter des Stadtmarketings, sieht die Herausforderungen für den Einzelhandel. Friedrichshafen stehe aber vergleichsweise gut da: „Die Leerstandsquote in der Innenstadt war bisher in Friedrichshafen – entgegen der Gefühlslage vieler Häfler – traditionell okay. Sie schwankte vor Corona meist um fünf bis acht Prozent – eine Leerstandsquote von fünf bis zehn Prozent gilt für Innenstädte als völlig normal, da es immer einen gewissen Wandel gibt“, erklärt er. Es gebe einen guten Mix zwischen Filialisten und inhabergeführten Geschäften.

Thomas Goldschmidt
Thomas Goldschmidt | Bild: Georg Wex

Auch das Ausmaß der coronabedingten Leerstände sei mit dem anderer Städte der Region vergleichbar. Allerdings sei die Neuvermietung von Ladenlokalen und Flächen in Innenstädten aktuell in ganz Deutschland schwierig: „Niemand will riskieren, etwas anzumieten, ohne zu wissen, wie lange die Phase der Lockdowns geht. Das betrifft übrigens nicht nur den Handel, sondern weitaus mehr noch die Gastronomie und Kultur, die stark vom Lockdown betroffen sind.“

Mehr Aufenthaltsqualität und eine bessere Durchmischung wünschen sich Stadtplaner für die Innenstadt.
Mehr Aufenthaltsqualität und eine bessere Durchmischung wünschen sich Stadtplaner für die Innenstadt. | Bild: Corinna Raupach

Grundsätzlich hält auch er eine gute Mischung aus guten Einzelhandelsgeschäften, Kultur, Genuss, Wohnen und Arbeiten für wichtig. „Dazu braucht es in den Innenstädten attraktive Zonen ohne Konsum, die als Treffpunkt dienen können“, führt er aus. Das Integrierte Stadtkonzept (ISEK) habe Ziele wie „Innenstadt vielfältig und lebendig“ oder „Einkaufsstadt mit Aufenthaltsqualität“ formuliert. Mit der Planungen zur Aufwertung des Adenauerplatzes und des Zoll-Areals habe der Gemeinderat erste Startpunkte gesetzt.

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Auch „Dizi“ in der Karlstraße macht das Geschäft zu.
Auch „Dizi“ in der Karlstraße macht das Geschäft zu. | Bild: Corinna Raupach

Mit den Rahmenbedingungen für den Einzelhandel befasst sich die Stadtverwaltung. Sie versuche die Attraktivität des Stadtbildes zu steigern und so Neuansiedlungen und Modernisierungen zu erreichen, teilt eine Sprecherin mit. Als Beispiele nennt sie die Gestaltungssatzung zur Innenstadt mit dem Konzept zur Möblierung des öffentlichen Raums und das Einzelhandelskonzept mit Aussagen zur Sortimentsstruktur. „Darüber hinaus wird es aber letztendlich auf die Privatinitiative ankommen, um das Einkaufsverhalten wieder stärker aus dem Online- in den Vor-Ort-Rahmen zu bringen“, schränkt sie ein. Das Vorweihnachtsgeschäft bietet den Häflern dafür zahlreiche Gelegenheiten.

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