Nach ihrer Tour durch Unternehmen der Region sind sich Gewerkschaften und Betriebsräte einig: Nur weitere Investitionen in Bildung, Ausbildung und Innovationen wird die Industrie im Bodenseekreis und in der Region fit für die Herausforderungen der Zukunft machen. „Unsere Stärke in Deutschland ist das, was in den Köpfen entwickelt und mit den Händen gebaut wird. Rohstoffe haben wir kaum“, fasst Martin Kunzmann, Landesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), bei einem Pressegespräch zusammen. Dass es in diesem Jahr rund zehn Prozent weniger Ausbildungsverträge in der Region gebe, erfülle ihn daher mit Sorge.
Der Fachkräftemangel bleibe auch nach Corona eine wesentliche Schwachstelle der Industrie. Achim Zinser, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender von MTU in Friedrichshafen, sagt: „Die Fachleute für die Zukunft fallen nicht vom Himmel, die Unternehmen können sich nicht aus der Verantwortung stehlen.“ Er nannte beispielhaft die Kooperation der MTU mit der Technischen Universität in Karlsruhe bei einem Masterstudiengang für Ingenieure.

Unternehmen auf Forschungsinstitute vor Ort angewiesen
Achim Dietrich, Gesamtbetriebsratsvorsitzender bei ZF, sagt, dass Unternehmen auf Grundlagenforschung und Forschungsinstitute vor Ort angewiesen seien, um alternative Antriebe voranzutreiben, wie etwa die Verbrennung von Wasserstoff, die Brennstofftechnologie oder die Technologie „Power to Liquid“, aber auch für Entwicklungen im Softwarebereich. „Für die Region brauchen wir noch etwas anderes als die Zeppelin-Universität.“ Am Standort in Saarbrücken etwa kooperiere ZF mit der dortigen Universität: „Da entwickelt sich etwas.“

Stadt und Land sollen sich an Kosten für technische Institute an Universität beteiligen
Dabei ist ihm klar, dass technische Institute schon bei der Ausstattung wesentlich mehr kosten als eine wirtschafts- und geisteswissenschaflich ausgerichtete Universität. „Da bräuchte es einen entschiedenen Einsatz von Stadt und Land“, sagt Dietrich. Auch bei den Rahmenbedingungen für die Entwicklung sei die Politik gefragt. „Wir können autonomes Fahren nicht nur auf unserer Teststrecke ausprobieren dürfen.“
Corona-Krise wird mit Verzögerung auch Unternehmen am See treffen
Die Arbeitnehmervertreter haben dabei auch die durch die Corona-Pandemie bedingte Krise der Unternehmen im Blick. Einige Unternehmen habe sie gleich getroffen, andere mit Verzögerungen, auf andere kämen die Einbußen noch zu. „MTU hat am Anfang noch von vollen Auftragsbüchern profitiert“, berichtet Zinser. Auch ZF arbeite zurzeit auf Hochtouren, sagt Dietrich. Aber die Veränderungen der Reisebranche, die Diskussion über den Diesel und die Krise der Luftfahrtindustrie werden auch die Unternehmen am See treffen.
Zukunftsthemen Digitalisierung und Innovation durch Corona beschleunigt
Helene Sommer, Geschäftsführerin IG Metall Friedrichshafen-Oberschwaben, sagt: „Corona ist nicht ein Bremser der Transformation, sondern ein Beschleuniger. Wenn wir uns jetzt nicht um Zukunftsthemen wie Digitalisierung und Innovation kümmern, könnte es sein, dass wir beim Hochfahren der Prozesse nicht mehr dabei sind.“ Gerade beim Thema Digitalisierung werde das auch im Alltag deutlich.

Bei den Fahrzeugen der Zukunft werde nicht mehr nur beim Ausliefern verdient, sondern auch beim Aufspielen immer neuer Programme für autonomes Fahren und smarte Ausstattung.
Gewerkschaften wollen Mitglieder durch Transformation begleiten
Die Gewerkschaften wollen ihre Mitglieder durch diese Transformationen begleiten. „Wir können nicht darauf warten, was passiert, wenn der letzte Kolben vom Band gelaufen ist“, sagt Sommer. Die Gewerkschaften hätten neben den großen auch die kleineren Unternehmen im Blick. Der Preisdruck werde immer von oben nach unten weitergegeben.

Kunzmann fordert, dass bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in allen Branchen soziale Kriterien wie Tarifbindung und Mitbestimmung eine Rolle spielten. Der Kampf gegen das Lohndumping bedeute, dass im Wettbewerb das beste Produkt und nicht unbedingt das günstigste gewänne. Dietrich ergänzt, auch international müsse es um die „best location“ statt um das „best cost country“ gehen. Und die Voraussetzung für das beste Angebot sei eben Innovation und Bildung.