Am 1. August beginnt für Luca Macri ein neues Kapitel: Der 17-Jährige startet in das Berufsleben. Dass er überhaupt so weit gekommen ist, war vor einigen Jahren kaum vorstellbar. Denn Luca ist einer von vielen Jugendlichen, die mit dem klassischen Schulsystem Probleme hatten.

„Als ich hierhergekommen bin, war ich ein ziemlicher Katastrophenschüler“, erzählt Luca. Mit „hier“ meint er das Projekt „Kopf Herz Hand“, das in Friedrichshafen angesiedelt ist. Die Einrichtung ist eine Anlaufstelle für Schulverweigerer im Bodenseekreis. „Wir sind eine offizielle Mischform aus Schule und Jugendhilfe“, erklärt Jens Weigand, Lehrer und Leiter der Einrichtung.

Wenn Schulen an ihre Grenzen stoßen

Zusammen mit einem Team aus Lehrern und Pädagogen kümmert sich Jens Weigand um schulentfremdete Jugendliche in schwierigen Lebenssituationen. „Wir fangen dort an, wo Schulsozialarbeit und Inklusion aufhören“, sagt er. „Wenn Schulen ihre Mittel ausgeschöpft haben, kommen wir ins Spiel.“

Jens Weigand ist Lehrer und leitet die Einrichtung „Kopf Herz Hand“.
Jens Weigand ist Lehrer und leitet die Einrichtung „Kopf Herz Hand“. | Bild: Lisa Sperlich

So war es auch bei Luca. Der 17-Jährige besuchte zuvor die Janusz-Korczak-Schule in Überlingen, eine Förderschule mit dem Schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung. Luca hat ADHS – eine neurobiologische Entwicklungsstörung, die mit Unaufmerksamkeit, Impulsivität oder übermäßiger Aktivität sowie sozial-emotionalen Beeinträchtigungen einhergehen kann.

ADHS und Cannabis bestimmen Lucas Schulzeit

Medikamente kamen für Luca nie infrage. „Danach schießt man wieder hoch, noch schlimmer als vorher“, sagt er. Auf der Schule in Überlingen kam er mit mehreren Lehrkräften nicht zurecht. Dazu kam der lange Schulweg von Meckenbeuren – etwa zweieinhalb Stunden Strecke. „Dann bin ich halt die letzten drei Monate nicht mehr hingegangen“, erzählt er.

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2023 kam Luca schließlich zu „Kopf Herz Hand“ – durch seinen Bruder, der dort ebenfalls betreut wurde. „Ich wusste, dass man hier offen mit den Lehrern reden kann“, sagt Luca. Damals konsumierte er regelmäßig Cannabis und hatte sein ADHS nicht unter Kontrolle. „Mein erstes Ziel war, mit dem Kiffen aufzuhören“, erzählt er. „Damit ich die Schule ernst nehmen kann.“

Krafttraining ist sein neuer Ausgleich

Seit Januar 2024 raucht Luca kein Cannabis mehr und hat sein Umfeld gewechselt. Er hat im Krafttraining einen Ausgleich für sein ADHS gefunden und seinen Hauptschulabschluss gemacht. „Ich bin tatsächlich ein sauberer Mensch geworden“, sagt er und lacht. „Mein Zimmer ist immer sauber und ich helfe im Haushalt.“

Die Veränderungen von Luca sind auch im Team von „Kopf Herz Hand“ spürbar. Naturpädagoge Silviu Heitz ist seit einem Jahr dabei und erlebte ihn von Anfang an als engagierten Schüler. Im Sportunterricht übernimmt Luca das Aufwärmtraining, beim gemeinsamen Gruppenausflug vor wenigen Wochen habe er viel beim Aufräumen und Kochen geholfen. „Luca ist ein positives Vorbild für alle“, sagt Heitz.

Als Naturpädagoge ist Silviu Heitz viel mit den Jugendlichen draußen. Den Garten haben die Schüler selbst angelegt.
Als Naturpädagoge ist Silviu Heitz viel mit den Jugendlichen draußen. Den Garten haben die Schüler selbst angelegt. | Bild: Lisa Sperlich

„Ohne Bindung keine Bildung“

„Kopf Herz Hand“ unterscheidet sich deutlich von anderen Schulen: Es gibt keine Jahrgangsstufen, keinen Stundenplan. Stattdessen arbeiten die Jugendlichen vormittags und nachmittags jeweils zwei Stunden – sei es fachlich, kreativ oder handwerklich. Das Team richtet sich nach den individuellen Schwächen und Stärken. „Wir fangen dort an, wo die Lücken sind“, sagt Leiter Jens Weigand. „Und wenn es einfaches Plusrechnen ist.“

Silviu Heitz (links) und Jens Weigand (rechts) haben Luca Macris Entwicklung begleitet.
Silviu Heitz (links) und Jens Weigand (rechts) haben Luca Macris Entwicklung begleitet. | Bild: Lisa Sperlich

Manchmal geht es auch einfach raus an die frische Luft – ein Baustein für die Beziehungsarbeit, wie Weigand erklärt. Denn im Vordergrund stehe der Zugang zu den Jugendlichen, bevor es an die Arbeit geht. „Man kann fast schon sagen: ohne Bindung keine Bildung.“

Nicht immer ist der Schulabschluss das angestrebte Ziel. Manchmal gehe es auch darum, junge Menschen langsam in die Arbeitswelt einzugliedern, wie Jens Weigand erklärt. Dass das Projekt nicht mit dem Schulabschluss endet, durfte auch Luca erfahren. Nachdem es bei ihm nicht sofort mit einer Ausbildungsstelle geklappt hat, ist Luca immer noch regelmäßig zum Team gekommen. Dort haben ihn Jens Weigand und seine Kollegen bei der Stellensuche und den Bewerbungen unterstützt.

Jetzt startet für ihn das Berufsleben

Für Luca ist es jetzt soweit: Er beginnt eine Ausbildung zum Koch in einem Häfler Restaurant. Für die Zukunft hat er klare Pläne: „Erstmal will ich die Ausbildung schaffen und danach ein paar Jahre in Deutschland, Italien und Griechenland arbeiten.“ Sein Traum: Eines Tages auf einem Kreuzfahrtschiff kochen.