Es sei wie der Antrittsbesuch bei den zukünftigen Schwiegereltern gewesen, sagt Anna Markfort. Kritisch und trotzdem herzlich sei sie im Mai 2022 in Friedrichshafen von Maria und Eckart Diesch empfangen worden. Der gewaltigen Sprachbarriere zum Trotz sei man sich aber schnell nähergekommen, schildert die gebürtige Berlinerin. Dann, beim Frühstück, wurde es familiär: „Schön, dass Du da bist, Anna“, sagte Maria Diesch zu ihr. „Du bist jetzt die nächste Frau, mit der ich meinen Sohn teilen muss.“ Wobei Anna Markfort keinen Mann fürs Leben suchte. Sie brauchte einen Steuermann.

Mit ihrer Schwester hatte es die Seglerin nicht zu den Olympischen Spielen in Tokio geschafft. Danach wurden die Regeln für die Zwei-Personen-Jolle, den 470er, geändert. Zukünftig sollten Männer und Frauen in ein Boot. Bis Paris 2024 blieb nicht mehr viel Zeit und Markfort ging erfolgreich in die Offensive. Simon Diesch, in derselben Situation, ließ sich überreden und das Team schaffte die Qualifikation.

Steuermann Simon Diesch mit Vorschoterin Anna Markfort im Trapez.
Steuermann Simon Diesch mit Vorschoterin Anna Markfort im Trapez. | Bild: Markfort/Diesch

87 Kleidungsstücke für jeden Athleten

In Düsseldorf wurden die Athleten eingekleidet. 87 Kleidungsstücke in sieben unterschiedlichen Boxen lagen für jeden bereit. Für die Eröffnungszeremonie, fürs Training, die Anreise, Accessoires und Schuhe, es wollte kein Ende nehmen. Dazu war auf 25 Seiten von der Unterhose bis zur Socke geregelt, was wie und womit zu tragen ist. Damit später nichts mit der Garderobe des Zimmernachbarn durcheinanderkam, hatte eine Helferin alles, selbst Dieschs 40 Socken, mit einem Namensschildchen markiert.

Zu den beiden Seglern

Ein großes Problem hatte der angehende Jurist mit der Kleidervorschrift für die Anreise. „Wer in Jogginghosen auf die Straße geht, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“, zitiert er Karl Lagerfeld. Flug nicht selbst gebucht, Zugfahrkarte nicht selbst gekauft, Hotel nicht selbst ausgesucht – und dann in Jogginghose auf dem Weg nach Paris. Doch er hatte die Kontrolle nicht allein verloren: Am Hauptbahnhof in Paris wartete ein TGV, um alle olympischen Segler nach Marseille zu bringen – alle in Jogginghosen.

Team Deutschland im Reise-Outfit am Bahnhof.
Team Deutschland im Reise-Outfit am Bahnhof. | Bild: Markfort/Diesch

Weite Wege und üppige Verpflegung

Zur Eröffnung in Paris kam das nächste Outfit zum Einsatz. Zusammen mit anderen Sportlern aus Deutschland bestiegen die Segler ein Schiff, das sie die Seine entlang ins Spektakel fuhr. Hier hatte Diesch ein Aha-Erlebnis. Egal ob Basketballer oder Segler, alle hatten dasselbe an und ihm wurde bewusst: „Wir gehören zur sportlichen Elite Deutschlands“. An den Ufern drängten sich die Zuschauer und die Sportler wurden, dem Regen zum Trotz, von ihren Emotionen überwältigt. Richtig erleben konnten sie das Ereignis erst später am Fernsehapparat. Dann erklärte der französische Präsident Emmanuel Macron die Spiele für eröffnet.

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Die Distanzen im olympischen Dorf in Paris waren nur mit dem Fahrrad zu bewältigen. Das Essensangebot in der Kantine bot Spezialitäten aus aller Welt. Weniger glamourös sollen dagegen die Betten aus Pappe gewesen sein. Der Rummel lag den beiden Seglern aus Berlin und Friedrichshafen nicht. Aber auch Marseille hatte seine Schwächen. Im Kraftraum gab es zwar jede Menge Stangen, aber keine Gewichte dazu. Wie sich herausstellte, hatte das Internationale Olympische Komitee den Gebrauch der Hanteln untersagt, da der Raum nicht überwacht werden konnte. Zudem war der Hafen noch nicht fertiggestellt. Zum Glück spendeten Zelte am dritten Tag den erlösenden Schatten. Die Stimmung blieb positiv.

Anna Markfort und Simon Diesch (rechts) werden von Steven Lovegrove trainiert.
Anna Markfort und Simon Diesch (rechts) werden von Steven Lovegrove trainiert. | Bild: Markfort/Diesch

Zwei gelbe Flaggen lassen Medaillentraum platzen

Die Windbedingungen waren es nicht. Der Wind schien einen Bogen um die aufgeheizte Stadt zu machen, was Markfort und Diesch überhaupt nicht entsprach. Überwältigend erlebten sie dagegen das Auslaufen aus dem Hafen. Zuschauer schwenkten Deutschlandflaggen, klatschten und jubelten ihnen zu. Lief es auf dem Regattafeld anfänglich noch ganz passabel, ging später alles schief. „Macht nicht im ersten Rennen irgendeinen Blödsinn“: Der Ratschlag von Dieschs Vater, Olympiasieger von 1976 half nicht. Der Blödsinn kam.

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Wie im Fußball gibt es auch im Regattasport strenge Regeln, nur wird statt einer gelben Karte bei Verstößen die gelbe Flagge geschwenkt. Die Nerven lagen blank. Der Kommentar ihres Trainers tat sein Übriges: „Wenn du versucht hast, so schlecht wie möglich zu segeln, dann bist du ganz unten angekommen.“ Was für ein Zirkus: Jeden Tag Jogginghose, ständige Kontrollen und ein Anschiss, der sich gewaschen hatte. Und dabei wollte Simon Diesch eigentlich nur segeln. Mit der entsprechenden Haltung ging es in den letzten Tag. Zuerst lief es gut, dann kam zum zweiten Mal die gelbe Flagge. Sie hätten das Boot geschaukelt, unerlaubter Vortrieb wird das genannt. Der Traum von der Medaille platzt.

Bundeskanzler Olaf Scholz begrüßt die deutschen Segler, rechts neben ihm stehen Simon Diesch und Anna Markfort.
Bundeskanzler Olaf Scholz begrüßt die deutschen Segler, rechts neben ihm stehen Simon Diesch und Anna Markfort. | Bild: Markfort/Diesch

Mittagessen mit Olaf Scholz und Nancy Faeser

Doch den angereisten Freunden und der Familie war das egal. In dem Moment, in dem die Sportler sich selbst am meisten hassten, waren sie für sie da. Auch zurück in Paris wurde ihnen Ehre zuteil. Olaf Scholz und Nancy Faeser wollten mit den deutschen Seglern zu Mittag essen. Respektvoll schüttelten sie sich die Hände und unterhielten sich ganz entspannt. „Olaf Scholz spricht auch im richtigen Leben so leise“, sagt Diesch.

Olympia ist auch Show. Aber den Sportlern geht es dabei um die Leidenschaft. Diese Begeisterung wollen die beiden nochmal erleben. 2028 in Los Angeles.