Herr Schauerte, Sie wohnen in Immenstaad. Wie kommen Sie denn zur Arbeit?
Mit dem Auto. Das ist tatsächlich ein sehr gutes Beispiel dafür, wie neue Straßen Autoverkehr nicht vermeiden, sondern generieren. Mit dem Bus müsste ich zweimal umsteigen und der Fahrtzeitunterschied ist mehr als Faktor drei. Mit dem Auto brauche ich elf Minuten, mit dem öffentlichen Verkehr zwischen 30 und 40 Minuten.

Ist der ÖPNV in unserer Region also keine gute Alternative zum Auto?
Es gibt drei Faktoren der Verkehrsmittelwahl. In den letzten Monaten stand sehr der Faktor Preis im Fokus, aber mit dem 49-Euro-Ticket haben wir ja jetzt ein günstige Flatrate. Dann gibt es noch den Faktor Qualität, da geht es auch um die Qualität der Angebote, also die Taktung, die Anschlüsse. Da bauen wir beim Stadtverkehr Friedrichshafen ab Januar 2024 ordentlich aus mit vielen schnelleren Verbindungen. Aber es gibt eben den dritten Faktor, die Reisezeit. Da geht es um persönliche Lebenszeit. Experten gehen davon aus, dass der ÖPNV dann uninteressant wird, wenn er 50 Prozent länger braucht als das Auto. Da muss man dann schon gute Gründe haben, sich das trotzdem anzutun.
Das heißt, die Reisezeit ist eine der wichtigsten Stellschrauben.
Ja, genau! Genau da setzen wir bei unseren neuen Angeboten ab Januar an. Wer zum Beispiel in Ailingen wohnt, hat bald alle zehn Minuten eine Verbindung in die Stadt – und das schön aufgeräumt, wie man das aus Großstädten kennt. Also gleicher Linienweg, gleicher Takt. Da muss sich niemand mehr einen Fahrplan merken. Da ist dann definitiv der Reisezeit-Vorteil gegeben, denn das lästige Parken in der Stadt fällt ja auch noch weg. Und das zu einem guten Preis. Außerdem wird es Schnelllinien nach Markdorf und Oberteuringen mit weniger Stopps und engeren Taktungen geben. Für 49 Euro.
Der Erfolg des 49-Euro-Tickets ist umstritten, weil zum Großteil bestehende Abos umgewandelt wurden. Wie ist das hier?
Wir haben im Stadtverkehr FN Kunden durch das 49-Euro-Ticket gewonnen, das wissen wir durch unsere App. Im gesamten Bodo-Gebiet hatten etwa 10.000 Menschen vorher eine Monatskarte. Und wir allein in unserer App haben 3500 registrierte Nutzer, 2500 davon ständig aktiv. Das deutet darauf hin, dass auch hier in der Region mehr Menschen den ÖPNV nutzen als vorher. Aber wir reden über eine Größenordnung zwischen 3 und 5 Prozent. Ehrlicherweise hat hier aber auch niemand eine Verdopplung der Fahrgastzahlen erwartet. Bei der Deutschen Bahn gibt es aber bei vielen Strecken einen echt großen Zuwachs, zum Beispiel in Metropolregionen. Da braucht es kein Zweitauto mehr.

Hier haben viele noch ein Zweitauto, weil sie die Verbindungen auf dem Land nicht gut finden.
Ja, und ich verstehe das auch. Da müssen die Kinder in den Kindergarten, beide gehen zur Arbeit, später geht es zum Flötenunterricht, zwischendurch noch einkaufen. Die Wegeketten sind lang, kompliziert, teilweise aber auch einfach gar nicht machbar mit dem ÖPNV. Viele Supermärkte sind auf der grünen Wiese, da kommt man ohne Auto kaum hin. Aber das ist ja nicht Gott gegeben.
Wie meinen Sie das denn?
Naja, wir haben das gesamte Leben über Jahrzehnte auf das Auto ausgerichtet. Wir haben öffentliche Flächen zu Parkplätzen gewidmet, Möbel- und Supermärkte weit außerhalb der Zentren gebaut, uns einfach auch an wahnsinnig viel Bequemlichkeit gewöhnt. Die Automobilindustrie hat diesem Land Arbeitsplätze und viel Wohlstand gebracht, das darf man nicht vergessen. Wir wissen jetzt aber, dass das aufgrund des Klimawandels und aus Umweltschutzgründen einfach nicht so weiter gehen kann. Jetzt geht es also darum, die alternative Mobilität durch richtige Pull-Maßnahmen wie zum Beispiel das 49-Euro-Ticket, ÖPNV-Ausbau oder gute Radwege, zu fördern. Es geht aber auch darum, den individuellen Autoverkehr einzudämmen – durch Push-Faktoren.
Also zum Beispiel durch hohe Parkgebühren in Innenstädten?
Genau. Mein Hauptwohnsitz ist in der Nähe von Wien. Dort hat die Stadt Einwohnerparkausweise für alle Bezirke eingeführt, die 175 Euro im Jahr kosten. Und man darf nur in seinem eigenen Bezirk parken. Sonst zahlt man sehr sehr teure Parkgebühren. Es gibt also überhaupt keine gratis Parkfläche mehr in dieser Stadt, nirgends, auch nicht am Straßenrand. Dagegen steht das Klima-Ticket für 1095 Euro im Jahr.
Man macht den ÖPNV günstiger und das Autofahren teurer?
Ein Auto ist ohnehin sehr teuer. Wenn man alles einrechnet, kommt man auf mindestens 500 Euro im Monat. Durch solche Push-Faktoren wie Parkausweise, hohe Parkgebühren wird es noch teurer. Wer das mal aufrechnet, wird schnell bei alternativer Mobilität landen. Der zweite Punkt ist aber: Lebensqualität. Dort, wo früher mal in Städten Parkflächen waren, stehen jetzt Tische und Stühle der Cafés, die erweitern konnten. Es werden Bäume gepflanzt, Parks geschaffen. Und wissen Sie was? Das bringt Menschen in die Innenstädte!
Junge Menschen kleben sich auf Straßen, weil ihnen die Verkehrswende und damit Klimaschutz einfach zu lange dauert.
Ich habe in gewisser Weise Verständnis, da herrscht Verzweiflung. Gleichzeitig ist es aber so, dass man für die Verkehrswende einen langen Atem benötigt. Da geht es um echte Verhaltensänderungen. Ein bisschen ist das doch wie bei einer Diät und einer Ernährungsumstellung. Wenn ich das nicht langsam und sorgfältig mache, tritt sofort der Jojo-Effekt auf. Wer jahrzehntelang gewohnt ist, sich morgens ins Auto zu setzen, um zur Arbeit zu fahren, wird beim ersten Regen rückfällig und steht nicht nass an der Haltstelle oder schwingt sich aufs Rad.
Außerdem plädiere ich dafür, all das zu nutzen, was unsere Demokratie bietet. Ich weiß, wie langwierig und manchmal auch frustrierend demokratische Entscheidungen an der Basis, zum Beispiel in Gemeinderäten, sind. Aber sie sind einfach wichtig, wenn man will, dass alle die Verkehrswende mittragen.