Der Nachwuchs im Handwerk und in den Ausbildungsberufen fehlt, die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze in Deutschland hat einen neuen Höchststand erreicht. Wie aus einem im Mai veröffentlichten Berufsbildungsbericht hervorgeht, blieben im vergangenen Jahr deutschlandweit rund 73.400 Ausbildungsstellen unbesetzt – so viele wie noch nie zuvor.
Doch wie kann die Generation Z für eine Berufsausbildung begeistert werden? Im Rahmen der Vocatium-Bildungsmesse, die bis Mittwoch im Graf-Zeppelin-Haus in Friedrichshafen stattfindet, stellen sich Vertreter von Unternehmen, Schulen und Berufsverbänden in einem gemeinsamen Gespräch genau dieser Gretchenfrage.
Lieber Abitur und Studium als Ausbildung
Stefan Oesterle ist Schulleiter der Claude-Dornier-Berufsschule in Friedrichshafen. Zwar rechnet er damit, dass aufgrund der demografischen Umstände die Schülerzahlen an den beruflichen Schulen ab 2030 wieder ansteigen, doch auch er beobachtet, dass immer mehr Jugendliche das Abitur und ein Studium anstreben. „Viele ziehen eine Ausbildung gar nicht erst in Betracht. So herrscht beispielsweise das Vorurteil vor, dass man in einem Handwerksberuf nicht gut verdient. Doch das Gehalt eines Handwerkermeisters ist oftmals höher als das eines Studierten.“
Joachim Hettler ist Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft in Friedrichshafen. Auch er sagt: Besonders Handwerksberufe haben ein Sichtbarkeitsproblem. „Die Jungen haben keinerlei Berührungspunkte mehr zu Handwerksberufen. Das Brötchen und die Wurst werden heute beispielsweise im Supermarkt gekauft und nicht mehr beim Metzger oder Bäcker.“ Hinzu komme eine Orientierungs- und Planlosigkeit der jungen Generation. „Was aber auch verständlich ist, bei der Masse an verschiedenen Ausbildungsberufen. Die Jugend hat die Qual der Wahl“, so Hettler. Wichtig sei, dass man den Jugendlichen zeige, dass ein Handwerksberuf auch nur eine Zwischenstation sein kann und man sich danach immer noch weiterbilden könne.
3800 Schüler aus 62 Schulen werden während der zwei Messetage erwartet. 108 Aussteller werben dabei um die Gunst der Jungen. Und die Unternehmen sind kreativ: An einem Stand gibt es Popcorn, an einem anderen gibt es Luftballons und Blöcke, an einem anderen Stand werden Süßigkeiten offeriert und am Stand der Stadtwerke am See ist gar ein Glücksrad aufgebaut, an welchem die Schüler begeistert drehen und dafür mit Strohhüten belohnt werden. Auch der Häfler ZF-Konzern ist auf rund 50 Quadratmetern vertreten.

Annette Leschinski ist Ausbildungsleiterin bei ZF. Sie betreut seit 20 Jahren Auszubildende. Auch sie sagt: „Früher konnten sich die Unternehmen ihre Bewerber aussuchen. Heute ist es andersrum: Man muss sich als Unternehmen richtig ins Zeug legen, um alle Ausbildungsstellen besetzt zu bekommen.“ 16 verschiedene Berufe und duale Ausbildungen kann man bei ZF absolvieren. „Ich würde sagen, dass wir 95 Prozent der Ausbildungsstellen besetzt bekommen“, so Leschinski. Und auf den Schulabschluss kommt es bei der Bewerberauswahl schon lange nicht mehr an. „Wir nehmen auch gerne Hauptschulabsolventen, es muss halt einfach passen.“
Ausbildungsbotschafter berichten aus ihrem Alltag
Und es bewerben sich vermehrt auch Studienabbrecher auf eine Ausbildungsstelle. „Auch die nehmen wir sehr gerne, da diejenigen dann bereits festgestellt haben, dass das Studium nichts für sie ist und die Chancen gut stehen, dass diejenigen im Ausbildungsberuf ankommen und sich wohlfühlen“, erläutert Leschinski. Für die diesjährige Vocatium-Messe hat sich ZF etwas Besonderes einfallen lassen: An zehn Stehtischen stehen Auszubildende und beraten die Schüler. „Die Schüler und unsere Azubis begegnen sich auf Augenhöhe. Wir machen unseren Azubis keine Vorgaben, was sie sagen dürfen und was nicht. Dadurch finden authentische Gespräche statt und die Schüler bekommen einen ehrlichen und ungeschönten Eindruck geschildert, was sie erwartet“, so Leschinski.

Eine der Ausbildungsbotschafterinnen ist Michelle Kurtic. Die angehende Industriekauffrau ist im zweiten Ausbildungsjahr. Sie selbst hat ein Schülerpraktikum bei ZF absolviert, als sie 16 Jahre alt war. „Die Arbeitsatmosphäre und der Berufsalltag haben mir sehr gefallen, deshalb war für mich auch nach der Schule klar, dass ich zu ZF möchte.“ Welche Fragen werden häufig an sie gerichtet? „Wie lange die Ausbildung geht, was die Inhalte sind, wie der Arbeitsalltag aussieht, welche Noten man braucht – und wichtig – wie hoch das Gehalt ist“, plaudert die 21-Jährige aus dem Nähkästchen.
Und das Engagement auf der Messe zeigt Wirkung, wie Leschinski resümiert. „Etliche Bewerbungen, die uns erreichen, lassen sich auf den Erstkontakt bei der Vocatium zurückführen.“ Und was Leschinski besonders freut: Der bis dato eher unbeliebte Elektroniker-Beruf erfreut sich dieses Jahr besonderer Beliebtheit, alle Gesprächstermine mit dem Ausbildungsbotschafter sind ausgebucht.