Vom Betätigen des Weckers am Morgen bis hin zum Glas Wein am Abend: Im Alltag ist man von Genossenschaften, gemeinschaftlich organisierten Betrieben, umgeben. Dieses Bild nutzt Roman Glaser, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands, im Gespräch gerne, um die Bedeutung von Genossenschaften zu verdeutlichen. Der Wein im Glas stammt dabei in Hagnau vermutlich aus der Produktion des örtlichen Winzervereines.
In Hagnau findet am 2. Juli der landesweite Genossenschaftstag statt. Die Gemeinde ist ein besonderer Veranstaltungsort. Auf kleiner Fläche bestehen gleich drei Genossenschaften mit langjähriger Tradition: die Hagnauer Volksbank, die 1873 gegründet wurde, der Winzerverein, der 1881 aus der Taufe gehoben wurde, und die Raiffeisen-Warengenossenschaft (RWG), die seit 1895 besteht. „Das ist regionale Wertschöpfung in einem relativ kleinen Einzugsgebiet. Sie beide merken relativ schnell, wenn sich etwas ändert“, sagt Roman Glaser. Gemeint sind Karl Megerle, Vorstandsvorsitzender des Hagnauer Winzervereins, und Thomas Urnauer, Vorstandsmitglied der Hagnauer Volksbank, die mit am Tisch sitzen.
Megerle erklärt zum Genossenschaftsgefüge: „Wir sind immer wieder Partner.“ 52 Familien sind im Winzerverein organisiert, junge Betriebsnachfolger hätten Perspektiven. Die Volksbank hinterlegt ihm zufolge Projekte mit der nötigen finanziellen Unterstützung. Vorstandsmitglied Thomas Urnauer fügt hinzu: „Die großen Genossenschaften am Ort sind wichtig. Der Winzerverein erwirtschaftet Gewinne, die in Umlauf kommen, und wir treten als Finanzierungs- oder Anlagepartner auf.“ Das Bankhaus, das noch eine Filiale in Immenstaad betreibt, hat 19 Mitarbeiter und 3700 Kunden, von denen 1900 Mitglieder sind. „Wir müssen aus begrenzten Verhältnissen viel herausholen“, berichtet Urnauer. Vor Hagnau liegt der Bodensee, potenzielle Kunden gibt es also nur in einem „180-Grad-Winkel“. Das betreute Kundenvolumen liegt laut Urnauer bei 240 Millionen Euro.

Genossenschaften sind im Ort verankert
Die Bankmitarbeiter, die selbst aus der Umgebung stammen, kennen die Familien und Verhältnisse im Dorf. Das erleichterte die Zusammenarbeit gerade in der Anfangsphase der Corona-Pandemie. „Man kann einen Betrieb über die Zeit bringen, wenn man weiß, dass das hinterher wieder funktioniert“, sagt Urnauer. Die Finanzexperten versuchten, etwas für die Betriebe zu erreichen und vermittelten etwa Förderkredite. „Das hat fast immer funktioniert. Wo es nicht funktioniert hat, waren die Probleme vorher schon da“, führt Urnauer aus, wobei nicht die Rede von Gewinnmaximierung, sondern dem „betriebsnotwendigen Gewinn“ ist.
Genossenschaften in Baden-Württemberg
Die Verbindungen sind jedoch nicht nur geschäftlicher Natur. Anfang Juni 2021 brachte ein Unwetter tischtennisballgroße Hagelkörner mit sich. Für die Winzer war das eine Katastrophe. Etwa 30 bis 40 Prozent der Ernte fielen vergangenes Jahr Frost, Hagel und Pilzbefall zum Opfer, darunter die komplette Biowein-Ernte, wie im Oktober bei einem Empfang am Winzerverein zu hören war. Thomas Urnauer sagt: „Wir blicken auch besorgt zum Himmel. Wir wissen, wie wichtig das Wetter für die Winzer ist.“ Volksbank und Winzerverein trennen in Hagnau nur wenige Minuten Fußmarsch. Vorstandsvorsitzender Karl Megerle findet: „Krisen übersteht man in der Gemeinschaft besser. Wenn die Perspektiven an Tag X am Boden liegen, ist geteiltes Leid halbes Leid. Das gilt hier.“

Mitglieder investieren viel Arbeit
Schon sein Vater war Mitglied des Winzervereins. In den 1950ern gab es schwere Fröste. Die Mitglieder überlegten, aufzuhören, da die bewirtschaftete Fläche auf 30 Hektar sank. Zum Vergleich: Heute sind es mehr als 170 Hektar, auf denen die Trauben gewonnen werden. Entschieden wird gemeinsam. Die Hagnauer gaben damals nicht auf. Ab den 60er Jahren gewann das Geschäft dann an Fahrt. Mit dem Tourismus und der Flaschenweinvermarktung, wie Megerle erläutert. Noch heute ist der Winzerverein zur Miete im Rathaus, verfügt aber ebenfalls über eigene Gebäude im Ort und jetzt den Neubau. Megerle sagt: „Uns fällt nicht alles in den Schoß. Wir müssen Chancen, die sich bieten, ergreifen und zusammenführen. Da steckt viel Arbeit dahinter. Wir liegen nicht den ganzen Tag im Strandbad.“ Der Winzer lacht.
Baden-Württemberg präsentiert sich hier auf kleinem Raum als Land der Schaffer mit Gemeinsinn. Roman Glaser vom Landesverband sagt: „Genossenschaften zeigen sich in Krisenzeiten stabil.“ Gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderungen würden gemeinsam bestritten. „Eine Genossenschaft ist gelebte soziale Marktwirtschaft“, meint Glaser, der damit rechnet, dass die Anzahl der Genossenschaften in der Zukunft weiter zunehmen wird.