10.30 Uhr im Café des Stotz Hofs in Wirrensegel. Zwei Besucherinnen genießen auf der Terrasse ihren morgendlichen Kaffee mit Aussicht auf ein Sonnenblumenfeld. Als der Koch Mario Enchelmaier nach dem Rechten sieht, wird er gefragt, wie er denn den Apfel-Quark zubereite – dieser schmecke so fantastisch, schwärmt die Besucherin. Enchelmaier verrät die Zutaten: „Zimt, Kardamom, Apfelmus und Quark – mehr ist das nicht“, sagt er lachend.
Regionale Lebensmittel
Und genau das – mit Lebensmitteln aus der Region zum Ursprung der Essenzubereitung zu finden – ist für Enchelmaier mittlerweile eine Herzensangelegenheit. Seit er Koch beim Stotz Hof ist, achtet er darauf, woher die Lebensmittel kommen. „Darin investiere ich viel Zeit: Ich kenne die Produzenten und die Landwirte oft persönlich, das netzwerken und mit den Menschen in Kontakt kommen, macht mir auch unglaublich viel Spaß.“ Discounter-Lebensmittel sind ihm ein Graus. „Wenn man im Supermarkt einkauft, wird man von der Angebotspalette erschlagen. Weshalb braucht es 30 verschiedene Teesorten? Oder abgepacktes Fleisch in jeglichen Formen aus fragwürdiger Tierhaltung?“ Er ist der Ansicht: „Wer sind wir und was ist aus uns geworden, dass wir das Leben in den Lebensmitteln nicht mehr erkennen?“

Ein spannender beruflicher Werdegang – mit Schattenseiten
Doch er möchte nicht belehrend daherkommen – im Gegenteil. Für ihn selbst war die Reise zu seinem heutigen Lebens- und Arbeitsstil eine beschwerliche. Doch von vorne: Seine Mutter kommt ursprünglich aus Immenstaad, sein Vater aus Stuttgart. „Die Hochzeitsreise der beiden ging nach Kenia – doch sie kamen nicht mehr zurück und sind dort geblieben. Ich bin dort geboren und in dieser Nomadenfamilie aufgewachsen. Dort zu leben war toll: Ich war viel in der Natur, das war mein Spielplatz“, erzählt er. Als er ein Teenager war, ist die Familie zurück nach Europa. Und da seine Eltern in Kenia im Gastgewerbe tätig waren und Hotels leiteten, lag der Beruf, den Enchelmaier erlernen wollte, auf der Hand: Er wollte Koch werden.
Seine Ausbildung absolvierte er in der Schweiz, in einem kleinen Restaurant, ausgezeichnet mit 16 Gault-Millaut-Sternen. Danach folgten Stationen in diversen Gourmetküchen. Er bekochte Stars und Sternchen in St. Moritz, brachte in Tokio Japanern die deutsche Küche nahe und versorgte die Schweizer Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen in Sotschi. Zuletzt war er bei der Lufthansa, wo er für die Airline kulinarische Konzepte umsetzte. „Das war eine spannende Zeit. Ich bin um die Welt gereist, immer auf der Suche nach den neuesten Essenstrends“, erzählt er.
Er hat sich selbst verloren...
Doch das Jetset-Leben des Kosmopoliten forderte seinen Tribut. „Ich habe mich über die Jahre darin verloren und den Bezug zum ursprünglichen Kochen verloren, da ich auch immer seltener am Herd und in der Küche war.“ Er manövriert sich in einen Burn-out. „Das kam schleichend. Ich habe funktioniert, aber war nicht mehr ich selber. Ich habe mich beruflich verirrt“, reflektiert Enchelmaier. Er kündigt daraufhin und war sich unschlüssig, wie es weitergeht. „Ich war mir nicht mal sicher, ob ich überhaupt noch in meinem Beruf tätig sein wollte.“
...und sich wiedergefunden
Doch dann kam die Kehrtwende. Während der Corona-Zeit, die viele als schwierig und einsam empfanden, fand Mario Enchelmaier endlich die Zeit, sich wieder mit sich selber und seinem gelernten Handwerk auseinanderzusetzen. Er ersteht einen alten Holz-Herd, wie er in vielen schwäbischen Haushalten zu finden war. „Diese alte ‚Küchenhexe‘ ist ein Sinnbild: Auch ich war ausgebrannt. Doch durch diese Art des Kochens – mit einem alten Herd, der mit Holz befeuert wird – habe ich Stück für Stück wieder zu mir gefunden. Ich kochte mich frei.“

Er bringt Koch-Events in Deutschland und in der Schweiz auf den Weg: „Kitchen Unplugged“, wie er es nennt. Dazu reiste er mit seinem Holzherd an verschiedene Destinationen, um dort seine Freunde und den Bekanntenkreis an einer großen Holztafel zu bekochen – mit Zutaten und Lebensmitteln der jeweiligen Region. Einmal hat er ein solches Event in Solothurn initiiert, bei einem Freund, der auf seinem Hof Highland-Rinder beherbergt. „Wir haben eine 15-jährige Kuh geschlachtet, welche ich zuvor noch gestreichelt habe. Ich habe dann die Fleischstücke zubereitet. Das war ein sehr emotionales und intensives Erlebnis“, erinnert er sich.
Heute ist Mario Enchelmaier beim Stotz Hof in Wirrensegel Koch. Und diese Arbeit ist genau das, was er jahrelang gesucht hat. „Ich war schon immer an Landwirtschaft interessiert und daran, etwas mit meinen Händen zu machen und in der Natur zu sein. Ich schätze mich sehr glücklich, dass ich meine Fähigkeiten und meine Erfahrung hier auf dem Stotz Hof ausleben darf.“
Privater und beruflicher Zenit ist erreicht
Doch mit der Zeit hat er sich nicht nur beruflich wiedergefunden – der Weltenbummler hat auch privat seine Ankerstelle gefunden. „Die Sehnsucht nach Heimat war schon immer tief in mir drin.“ Aufgewachsen in einem fernen Kontinent hat er immer wieder nach einem Ort gesucht, an dem er wirklich zu Hause ist. „Ich habe meine Großeltern früher oft am Bodensee besucht, deshalb war der See schon immer eine zweite Heimat“, sagt er. Und nun ist sie auch sein Heimathafen für immer geworden: Seine Frau kommt aus Immenstaad und dort leben sie nun gemeinsam mit ihrer dreijährigen Tochter.
All diese Erlebnisse und Einsichten hat er jetzt zu Papier gebracht. In dem Buch „Seehnsucht Heimat – Auf der Suche nach neuen kulinarischen Wegen“ schildert Enchelmaier seine Erkenntnisse, seinen Weg und seine wiedergefundene Lebensfreude. Doch das Buch ist nicht nur Ratgeber und Selbstfindungs-Biografie – sondern auch ein Kochbuch. Die Rezepte gibt es ohne Mengenangaben. Weshalb? „Ich möchte dazu anregen, mit dem einfachsten, was uns umgibt, kreativ zu werden. Jede meiner Ideen erzählt ihre eigene Geschichte.“ Und was in jeder Zeile offenbar wird: „Ich möchte Menschen mit Essen glücklich machen.“