Gegen neun Uhr am Montag herrschte Hochbetrieb vor dem Saal 1 des Ravensburger Landgerichtes. Der Prozess gegen einen 54-jährigen Mann aus dem Raum Tübingen sollte beginnen, der vor einem Jahr Babygläschen mit dem Gift Ethylenglycol versetzt hatte, um 11,75 Millionen Euro bei sieben großen Handelsketten zu erpressen.

In einem Supermarkt in Friedrichshafen fand die Polizei im September 2017 fünf solcher Gläser mit giftigem Inhalt. Kamerateams und Reporter sowie Zuschauer drängten sich vor Beginn der Sitzung in den Sitzungssaal, um eine Aufnahme des Angeklagten zu bekommen. 

Pressevertreter vor Prozessbeginn im Gerichtssaal des Landgerichts Ravensburg.
Pressevertreter vor Prozessbeginn im Gerichtssaal des Landgerichts Ravensburg. | Bild: Mommsen

Doch der tauchte nicht auf. Nachdem der Vorsitzende Richter Stefan Maier Fotografen und Filmteams des Saales verwiesen hatte, verkündete er die dramatische Wendung des Morgens: Der Angeklagte hatte sich in der Nacht mit einem Messer selbst verletzt, dazu Schlafmittel genommen. "Dies wurde bei der Morgenkontrolle in der Justizvollzugsanstalt bemerkt", erläuterte Richter Maier.

"Der Angeklagte wurde medizinisch versorgt und musste in den Krankenraum. Es besteht jedoch keine lebensbedrohliche Situation", fügte er hinzu. Weil der 54-Jährige aber nicht verhandlungsfähig sei, wurde die Sitzung auf 14.30 Uhr vertagt.

Prozessbeginn muss verschoben werden

Auch der Anwalt des Angeklagten, Manuel Reiger, wurde von den Ereignissen überrascht. Er hatte zu Beginn eigentlich noch mit seinem Mandanten sprechen wollen und hatte die anwesende Presse ermahnt, sich an das Anonymisierungsgebot zu halten. Am Mittag stand dann jedoch fest: Der Beginn der Verhandlung muss auf den 8. Oktober verschoben werden. "Der Angeklagte ist noch immer nicht vernehmungsfähig. Das haben ein Arzt und ein Psychologe festgestellt".

Der Richter Stefan Maier am Landgericht Ravensburg.
Der Richter Stefan Maier am Landgericht Ravensburg. | Bild: Trautmann

In der Mitteilung aus der JVA sei zudem von einem nicht ganz unernst gemeinten Suizidversuch die Rede. Es sei noch offen, ob der Angeklagte in das baden-württembergische Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg verlegt werde, so Richter Stefan Maier. Der Anwalt des Angeklagten wollte sich zu den Vorgängen nicht äußern.

Was dem Angeklagten vorgeworfen wird

Dem mutmaßlichen Supermarkt-Erpresser werden nach Angaben des Gerichts versuchter Mord in fünf Fällen, versuchte besonders schwere räuberische Erpressung in sieben Fällen und gemeingefährliche Vergiftung vorgeworfen. "Die Anklage geht davon aus, dass unter anderem die Mordmerkmale Habgier und Grausamkeit zutreffen", hatte Staatsanwältin Christine Weiss vor Beginn des Prozesses erläutert.

Das sagt die Staatsanwaltschaft Video: Kerstin Mommsen

Der Mann hatte nach seiner Festnahme im Herbst 2017 zugegeben, den Giftstoff Ethylenglycol in fünf Gläser mit Babynahrung gemischt und in Geschäften in Friedrichshafen platziert zu haben. Um 11,75 Millionen Euro zu erpressen, drohte er, 20 weitere vergiftete Lebensmittel in Umlauf zu bringen.

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Die Polizei konnte damals die fünf Gläser sicherstellen. Jede Portion enthielt laut Staatsanwaltschaft eine für Säuglinge und Kleinkinder tödliche Dosis. Tagelang hatte der Fall im gesamten Land für Schlagzeilen gesorgt. Zuständig für die Ermittlungen war das Polizeipräsidium Konstanz, das unter Leitung von Uwe Stürmer die Sonderkommission "Apfel" einrichtete.

Über 200 Ermittler im Einsatz

"Wir haben personell alles aufgeboten, was wir zur Verfügung hatten. Zu Spitzenzeiten waren 223 Ermittler plus Chemiker, Bildbearbeiter und weitere Spezialisten des Kriminaltechnischen Instituts des Landeskriminalamtes im Einsatz", erinnert sich Stürmer. Schließlich waren es Bilder aus einer Überwachungskamera, die die Fahnder auf die Spur des Erpressers brachten.

Staatsanwaltschaft und Kripo veröffentlichten die Bilder zwölf Tage nach Eingang des Erpresserschreibens, nur einen Tag später gelang ihnen der Zugriff in Ofterdingen im Landkreis Tübingen, wo der Angeklagte lebte. In seiner Wohnung fanden die Beamten eine Flasche mit Ethylenglycol, die zur Hälfte geleert war, exakt die Menge, die in den vergifteten Babygläschen in Friedrichshafen gefunden wurde, wie die Ermittler damals bekannt gaben.

So äußerte sich der Sprecher des Gerichts, Franz Bernhard, in unserem Interview: 

Sprecher des Landgerichts zum Vorfall Video: Mommsen