Vor 15 Jahren erschütterte eine besonders schwere Tat die Region. Andrej W. ermordete in Hagnau am Bodensee eine Taxifahrerin aus Friedrichshafen. Sie war die alleinerziehende Mutter eines sieben- und eines 14-jährigen Jungen. Einen Tag zuvor hatte er eine Taxifahrerin aus Singen fast umgebracht und sie vergewaltigt, als er sie tot wähnte. Als der Mordprozess begann, saß sie im Rollstuhl und war halbseitig gelähmt.

Im Februar 2011 verurteilte das Landgericht Konstanz Andrej W. wegen Mordes, versuchten Mordes, Vergewaltigung und schwerer Körperverletzung zu lebenslanger Haft: eine Freiheitsstrafe von mindestens 15 Jahren. Der Verurteilte muss seine Strafe in der Psychiatrie verbringen. Entlassen wird er erst, wenn Ärzte und Gerichte ihn für geheilt erklären. Die Prognose ist aber düster. Der Täter selbst sagte im Gespräch mit einem psychiatrischen Gutachter: „Wenn man mich nicht einsperrt, ist es wahrscheinlich, dass ich wieder töte.“

Erst Blumeninsel und Bodensee-Fähre, dann Mord

Der Mord geschah am 9. Juni 2010. Der unauffällig erscheinende, damals 28-jährige Andrej W., ließ sich von einem Taxi ab Friedrichshafen auf die Mainau bringen, besuchte dort in aller Seelenruhe die Insel – seiner Taxifahrerin war bis dahin nichts Besonderes aufgefallen, wie sich über eine Rekonstruktion ihres letzten Telefonats herausfinden ließ. Auf der Heimfahrt, die mit der Fähre über den Bodensee führte, lotste W. das Taxi zum Campingplatz vor Hagnau. Auf einem Parkplatz am Bodenseeufer ermordete er die 32-Jährige mit einem Messer.

9. Juni 2010: Das war die letzte Strecke der Taxifahrerin, die in Hagnau ermordet wurde.
9. Juni 2010: Das war die letzte Strecke der Taxifahrerin, die in Hagnau ermordet wurde. | Bild: Illustration: Jessica Wend

Was die Taxizentrale nicht wusste – weder, als sie den Auftrag annahm, noch beim letzten Telefonat mit der Taxifahrerin – war, dass die Polizei bereits dringend nach dem Mann suchte. Denn er steckte hinter einem ähnlichen Fall, der sich am Vortag auf einem Feldweg bei Singen ereignet hatte. Dass die Kriminalpolizei damals nicht früher eine Öffentlichkeitsfahndung startete, und auch nicht die Taxiunternehmen direkt kontaktierte, wurde als schwere Panne kritisiert.

Die Erinnerung wach halten: Am 9. Juni 2010 wurde in Hagnau in der Nähe des Bodenseeufers eine 32-jährige Taxifahrerin ermordet. Blumen, ...
Die Erinnerung wach halten: Am 9. Juni 2010 wurde in Hagnau in der Nähe des Bodenseeufers eine 32-jährige Taxifahrerin ermordet. Blumen, Kerzen, Engelsfiguren, ein Kreuz und ein Brief ihrer Kolleginnen und Kollegen erinnern bis heute an das Geschehen. | Bild: Stefan Hilser
Ein Bild vom Tatort in Singen, wo Andrej W. eine Taxifahrerin versuchte umzubringen.
Ein Bild vom Tatort in Singen, wo Andrej W. eine Taxifahrerin versuchte umzubringen. | Bild: Jörg Braun

Zunächst stand der falsche Verdacht im Raum, ein Erntehelfer sei der Täter. Hunderte Betriebe mit Saisonarbeitskräften am Bodensee wurden von der Polizei durchkämmt. Aufgrund einer DNA-Analyse mit Spuren vom Tatort, abgeglichen mit Proben aus früheren Taten, nahm die Kripo den 28-Jährigen ins Visier. Fünf Tage nach der Tat, am 13. Juni 2010, ermittelten ihn Zielfahnder in der Gartenlaube seiner Oma in Brandenburg. Der jungenhaft wirkende 28-jährige Mann sei „überrascht“ gewesen.

In dieser Gartenlaube in Senftenberg (Brandenburg) wurde Andrej W. von einer Sondereinheit der Polizei gefasst.
In dieser Gartenlaube in Senftenberg (Brandenburg) wurde Andrej W. von einer Sondereinheit der Polizei gefasst. | Bild: Steffen Rasche/dpa

Vor seinen Taten war der Taximörder vom Bodensee in russischer Haft

Der 28-jährige Täter mit deutschem Pass stammt aus Sibirien. Nach Maßstäben seiner Kinderärzte galt er als behindert, er kam in ein Kinderheim, fühlte sich abgeschoben. Die Schuld für alle Rückschläge suchte er vor allem bei seiner Mutter, auf die er einen abgrundtiefen Hass entwickelte, hieß es im Prozess. Anfang der 2000er-Jahre siedelte er mit ihr nach Brandenburg über. Er lernte eine Deutsch-Russin kennen und zog zu ihr in den Hegau. Sie ging einer geregelten Arbeit nach, er jedoch nicht.

Im Hegau führte er etwa drei Jahre lang das Leben eines Kriminellen, dann tauchte er in Russland unter, wurde auch dort straffällig und gelangte in russische Haft. Erst vier Wochen vor den Bluttaten war er zurückgekehrt. Da führte er bereits ein Messer bei sich, mit dem Plan, seine Mutter zu töten. „Doch ich habe es nicht fertiggebracht“, sagte er vor Gericht. Gutachter stellten bei ihm die Nekrophilie fest.

Gutachter: Täter nicht therapierbar

Bei seiner Urteilsverkündung bescheinigte das Gericht dem Angeklagten eine schwere dissoziale Persönlichkeitsstörung in Form einer Psychopathie, gepaart mit einem niedrigen Intelligenzquotienten von 74 Punkten. Er zeige narzisstische, paranoide Züge, Emotionslosigkeit, Triebhaftigkeit und mangelndes Schuldbewusstsein, hieß es. Noch im Prozess lieferte er für Letzteres die Belege. „All das“, sagte er aus, wäre nicht passiert, wenn seine Mutter seine flehentlichen Briefe beantwortet hätte, die er aus russischer Haft nach Brandenburg geschickt habe.

Der Angeklagte betritt mit einer Sturmhaube den Schwurgerichtssaal im Landgericht.
Der Angeklagte betritt mit einer Sturmhaube den Schwurgerichtssaal im Landgericht. | Bild: Patrick Seeger/dpa

„Er weiß, dass er nicht töten darf“, sagte der Vorsitzende Richter am Ende des Mordprozesses. Die Einsichtsfähigkeit von W. sei nicht eingeschränkt. Doch bei starkem Druck sei er nicht mehr in der Lage, sein Handeln normgerecht zu steuern. Der psychiatrische Gutachter erwarte nicht, dass W. therapierbar ist.

Fluchtversuch reißt Wunden auf

Der Täter geriet nach der Verurteilung erneut in die Schlagzeilen, als er im Mai 2011 auf spektakuläre Weise aus dem Zentrum für Psychiatrie in Wiesloch bei Heidelberg flüchtete. Mithilfe einer ausgehängten Tür überwand er die Mauern. Zuvor konnte er mit einem Nagel seine Fußfesseln öffnen. Schwere Straftaten beging er auf der mehrere Tage andauernden Flucht nicht, wegen seiner Gefährlichkeit löste er erneut Angst in der Bevölkerung aus. In der Folge verschärfte die Psychiatrie die Sicherheitsmaßnahmen. Mauern und Dächer wurden mit zusätzlichen Drahtrollen gesichert. Überwachungskameras und Bewegungsmelder wurden installiert. Der Inhaftierte durfte nur noch in Begleitung mehrerer Betreuer zum Hofgang.

Der Mordfall und die Polizei

15 Jahre sind abgelaufen – und nun?

Seit Juni 2010 sitzt Andrej W. nun in Haft. Er ist nach wie vor in der Psychiatrie in Wiesloch untergebracht. Wie die Staatsanwaltschaft Konstanz als zuständige Strafvollstreckungsbehörde mitteilte, sieht das Gesetz bei einer Unterbringung eine jährliche Überprüfung zu der Frage vor, ob der Maßregelvollzug noch gerechtfertigt ist, so Presse-Staatsanwalt Andreas Mathy: „Bei der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gibt es keine Höchstgrenzen. Solange ein Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist, wird man ihn nicht rauslassen.“

Zuständig für das psychiatrische Gutachten ist das Vollstreckungsgericht am Landgericht Heidelberg. Laut dem Vorsitzenden Richter, Lukas Kemnitz, läuft die Begutachtung „ergebnisoffen“. Mit einer Entscheidung sei frühestens im Oktober zu rechnen.